Tatorte werden ja gern und oft kritisiert, und das zu Recht. Die meisten sind unlustig, uninspiriert, laufen immer nach dem gleichen Schema ab und sind ganz einfach langweilig. Selbst der Quotenliebling aus Münster, der eigentlich für seine humorvolle Interpretation der Krimireihe bekannt ist, lässt in letzter Zeit sehr zu wünschen übrig. Beinahe jeder Tatort gleicht dem anderen – gleiche Optik, gleicher Ablauf, gleiches Schema, eine fast schon anstrengende Ernsthaftigkeit. Doch aus dem Jahr 2014 gibt es einen Lichtblick, einen Versuch, die Genregrenzen einmal etwas mehr auszuloten und abzuweichen von dem um Realismus bemühten Einheitsbrei. Und dieser Versuch schafft etwas Unglaubliches: Er überrascht den Zuschauer, zeigt etwas völlig neues in der Krimireihe, distanziert sich von der geradlinigen Erzählform der Filme, vom Realismus und dem ermüdenden grauen Look, den alle Tatort. Krimis haben. Die Rede ist vom hessischen Tatort Im Schmerz geboren. Dieser Film ist anders, der Hipster unter den Tatorten. Er ist bunt, brutal, laut und doch keine sinnloses Actiongewitter wie die Til Schweiger-Tatorte. Im Schmerz geboren ist dabei weniger ein Krimi, als vielmehr ein Sammelsurium vieler verschiedener Filme und Genre. Es ist ein Racheepos, ein Italo-Western, ein Shakespeare-Stück, erinnert an Tarantino-Filme und auch ein wenig an Kung Fu-Streifen aus den Achtzigern – und das alles unterlegt mit klassischer Musik. Somit eigentlich all das, was ein Tatort nicht ist.
Nun gut, das mag ja zuerst mal ganz gut klingen, aber überambitionierte Regisseure gibt es ja zu genüge, die dann letzten Endes aber trotzdem versagen. Florian Schwarz schafft hier aber einen Film, der durchaus gut durchdacht ist, der mehr ist, als nur ein billiger Versuch, die Tatortreihe wieder aufzuwecken. Das beginnt schon mit der sehr ungewohnten Anfangssequenz, in der Schauspieler Alexander Held die vierte Wand durchbricht, und den Zuschauer, wie in einem Theaterstück in die Geschichte einführt. Und diese Geschichte ist durchaus interessant.
An einem Bahnsteig stehen drei bewaffnete Männer, die auf jemanden warten. Dieser jemand erweist sich als der aus Bolivien angereiste Drogenboss Richard Harloff (Ulrich Matthes), der nach mehr als dreißig Jahren wieder in seine Heimat zurückkehrt, sehr zum Leidwesen seines alten Freundes und jetzigen Ermittlers Felix Murot (Ulrich Tukur), denn Harloff lässt am Bahnhof die drei Männer tot zurück, die, das beweist das Videoband, jedoch nicht von ihm, sondern von einem unbekannten Heckenschützen getötet wurden. Natürlich ist klar, das Harloff etwas damit zu tun hat, doch was er eigentlich im Schilde führt, und warum er nach so langer Zeit wieder zurückkehrt, das kann sich Murot nicht erklären.
Und so entwickelt sich aus dem Film eine spannend Rachegeschichte, die ihren Reiz vor allem daraus zieht, dass der Ermittler selbst davon betroffen ist, und es sich um eine persönliche Angelegenheit handelt. Das liefert eine intensivere Charakterisierung und auch der Antagonist Harloff hat eine Charaktertiefe, wie sie nicht in vielen Filmen zu finden ist. Das ist aber auch den hervorragenden Schauspielern zu verdanken. Ulrich Matthes überzeugt auf ganzer Ebene, er verleiht Harloff etwas so unbeschreiblich Finsteres und Böses, man merkt sofort, dass der Mann nicht Gutes will, und gleichzeitig bleiben seine Beweggründe am Ende nachvollziehbar. Tukur verkörpert mit seiner Rolle als Murot hingegen den Gegenpol, das Gute, etwas an dem sich der Zuschauer festklammern kann. Egal was passiert, der Murot wird das schon irgendwie richten. Oder doch nicht?
Auch wenn Murot am Anfang noch sagt, dass ihm der Fall nicht persönlich werde, das die beiden sich ja seit 30 Jahren nicht mehr gesehen haben, so hält seine objektive Sichtweise nicht lange an. Schon nach einem kurzen Gespräch beginnt er, die guten alten Zeiten herbeizusehnen. Und Gespräch ist auch schon das nächste Stichwort. Denn die Dialoge sind durch und durch gut geschrieben und haben auch einen Wortwitz. Ja, sie erinnern fast schon an Filme vom Meister der Dialoge Tarantino. Denn so ernst die Geschichte auch sein mag, so locker kommt das ganze rüber. Verflogen ist der moralisierende Ernst der Tatort-Filme, die humorlose Grundstimmung. Man hat Spaß, den Film zu sehen und das, ohne dass der Film dabei in eine Komödie abdriftet. Der Film bietet eine Handlung, die an Dramatik an ein Shakespearestück erinnert. Eine Atmosphäre wie in einem Italo-Western und eine perfekte musikalische Untermalung. Farblich ist der Film viel bunter, fast schon wie ein Gemälde wirken die Bilder, viele sind es auch.
Und so ist der Film mehr als nur ein einfacher Arthouse Film, der sich unter die Tatort-Filme geschlichen hat. Im Schmerz geboren schafft es endlich wieder zu überraschen, Emotionen zu zeigen, und am wichtigsten: zu unterhalten. Dieser Film wird einem auf jedem Fall im Gedächtnis bleiben, nicht unbedingt als Tatort, aber vielleicht als ein besonders Stück deutschsprachiger Spielfilm, abseits von Krimis und Weltkriegs-Dramen, der sich nicht um irgendeine Pseudo-Moral schert, sondern einfach ein Film sein will, ein kleines Stück Kunst.