„R100“ ist ein schwieriger Film, ja, wenn nicht sogar der am schwierigsten zugängliche Film der letzten Jahre. Dabei fängt alles recht rational und konservativ an. Ein Mann tritt einem Club bei, ein Ausstieg ist nicht möglich, und letztenendes eskaliert die Situation. Natürlich kennen wir bereits diverse Filme, die diese Thematik eines perversen Spieles als Kernhandlung haben. Doch das von Hitoshi Matsumoto inszenierte Meisterwerk wählt einen vollends unbekannten Pfad als sämtliche andere Filme dieser Kernhandlung. Welchen Weg der Regisseur dabei einschlägt?
Hitoshi Matsumoto wandert in einen Bereich des Mediums Film, den viele Regisseure aufgrund der Erwartungshaltung des Zuschauers meiden. Der Drang, alles detailgenau erklärt bekommen zu wollen steckt in zu vielen Menschen, die sich einen Film ansehen. Und wenn ein Regisseur dann mal bewusst die Dinge im Unklaren lässt, kommt als Reaktion ein „Versteh ich nicht. Macht keinen Sinn. Schlechter Film.“. Matsumoto provoziert diese Reaktion gewissermaßen, denn „R100“ beantwortet nichts. Er lässt sämtliche Geschehnisse als Tatsachen im Raum stehen, ohne dabei auf die Gründe für die Situation einzugehen. Doch damit nicht genug. Hitoshi Matsumoto greift immer tiefer in sein Absurditätenkabinett und macht vor nichts Halt. So erfindet er im Minutentakt neue Logiken, Gesetze der Physik existieren in seinem Film nicht. „R100“ wird von Sekunde zu Sekunde abstruser, und erreicht seinen Höhepunkt über mehrere Zwischenstationen wie menschenfressende Stripperinnen in einem furiosen, epischen und abgedrehten Finale. Beethovens „Ode an die Freude“ unterstreicht dabei ein wildes, aber höchst stilvolles Feuergefecht zwischen dem Protagonisten und dem Sadomasoclub, bei dem die audiovisuelle Perfektion des Regisseurs ein wahres Fest für die Sinne ergibt. Für das Gehirn weniger. Denn dieses hat an dieser Stelle bereits aufgegeben, die Flut von Eindrücken rational zu verarbeiten. Und doch liegt das, was letztendlich durch „R100“ ausgesagt werden soll deutlich vor dem Zuschauer. Beim Medium Film geht es nicht darum, sämtliche Eindrücke zu kommentieren und gegebenenfalls zu erläutern. Es geht um Spielraum für Interpretation, um Möglichkeiten der Diskussion über Werke, die einzig durch das Auslassen der Erklärungen zustanden kommen kann.
Somit ist „R100“ ein Appell für freieres und losgelösteres Denken. Ein Film, der sich gegen den Drang des Rationalen Denkens auflehnt. Ein Film, der den Zuschauer auffordert, sich einem scheinbar sinnfreien Sturm aus Bild und Ton hinzugeben, ohne sofort ein Urteil über den Streifen zu fällen. Denn genau darin liegt die Genialität von Hitoshi Matsumoto; es geht bei „R100“ nicht um den augenscheinlichen Film und die Geschichte selbst, denn diese dient lediglich als Demonstration der Aussage. Es geht um das, was in Form einer Gruppe Filmemacher, die Passagenweise in den Film hineingeschnitten werden, sowie eines hundert Jahre alten Regisseurs ausgedrückt wird, denn „R100“ ist ein Film in einem Film. Und nach Aussage des Regisseurs muss der Zuschauer einhundert Jahre alt sein, um diesen Film wirklich verstehen zu können. Insofern man also bereit sein sollte, sich diesem aberwitzigen Trip hinzugeben, und nicht sofort nach Sichtung eine Erleuchtung zu haben, wird man mit einem der surrealistischsten, perversesten und zugleich besten Werke der letzten Jahrzehnte belohnt werden.