Der 2. Weihnachtstag zählt im deutschen TV-Programm zu den besonders umkämpften Ausstrahlungsterminen: 2014 hat das Fernsehpublikum zur besten Sendezeit unter anderem die Wahl zwischen dem Actiongewitter „Transformers 3“, dem Weihnachtsklassiker „Tatsächlich... Liebe“, dem Animationsspaß „Madagascar 3“ oder dem ZDF-Quotengaranten „Das Traumschiff“. Das Erste hielt schon in den vergangenen Jahren regelmäßig mit seinem Krimi-Flaggschiff dagegen: Die neuen „Tatort“-Kommissare Nora Tschirner und Christian Ulmen bekamen die verschärfte Konkurrenzsituation bei ihrem Debüt, das 2013 zunächst „nur“ acht Millionen Zuschauer sehen wollten, zwar zu spüren, stellten in den Tagen nach der Erstausstrahlung aber einen anderen Rekord auf: So oft wie ihr „Tatort: Die fette Hoppe“ wurde bis dahin kein anderer Fadenkreuzkrimi in der Online-Mediathek abgerufen. An diese hervorragenden Werte dürfte Filmemacher Zoltan Spirandelli mit seinem „Tatort: Weihnachtsgeld“ kaum anknüpfen können: Zum einen fehlt es dem „Tatort“ aus dem Saarland an einer entsprechenden Fangemeinde, zum anderen bleibt die diesjährige Weihnachtsausgabe der Krimireihe in Sachen Unterhaltungswert um Längen hinter „Die fette Hoppe“ zurück.
Saarbrücken, im der Nacht vor Heiligabend: Die hochschwangere Italienerin Maria (Fanny Krausz) flüchtet heimlich aus dem Haus ihrer Schwiegereltern Alfredo (Emilio De Marchi) und Nanna Ventura (Miriam Fiordeponti). Sie möchte mit dem Zug nach Sizilien reisen, um sich dort bei ihrer Großmutter einzuquartieren. Der Taxifahrer Josef (Florian Bartholomäi), der auf den Spitznamen „Jupp“ hört und mit dem Weihnachtsgeld seiner Kollegen durchgebrannt ist, bietet ihr überraschend an, sie kostenlos nach Sizilien zu fahren. Doch bei Maria platzt schon nach wenigen gemeinsamen Metern im Auto die Fruchtblase: Weil Jupp von der Polizei sowie den anderen Taxifahrern und Maria von ihren Schwiegereltern gesucht wird, quartieren sich die beiden notgedrungen in einer leerstehenden Scheune ein und bitten die Hebamme Hanna (Muriel Baumeister) um Unterstützung bei der Geburt. Die Saarbrücker Hauptkommissare Jens Stellbrink (Devid Striesow) und Lisa Marx (Elisabeth Brück) müssen derweil den Mord an Jupps Mitbewohner Theo „Teddy“ Diehl aufklären, der tot unter dem Christbaum aufgefunden wurde. Kurz vor seinem Ende hatte Teddy beobachtet, wie der Zuhälter Georg König (Gregor Bloéb) eine Frau überfahren hat und sie schwerverletzt liegen ließ. Musste der Zeuge für einen Erpressungsversuch mit dem Leben bezahlen?
Josef und die schwangere Maria nachts in einer Scheune, ein Bordellbesitzer namens König – das kommt einem doch irgendwie bekannt vor, oder? Na klar: Die Parallelen zur Weihnachtsgeschichte sind nicht zu übersehen. Selbst dem blond gelockten Christkind darf der Zuschauer beim Showdown auf dem Saarbrücker Christkindlmarkt ins Antlitz blicken, bevor der Hauptverdächtige König eine Seilbahn besteigt und in einer bunten Schlittengondel durch den Nachthimmel schwebt. Zuviel des Guten? Nicht unbedingt: Der vielfach krimierprobte Drehbuchautor Michael Illner verwebt die Motive der biblischen Vorlage augenzwinkernd mit dem Kriminalfall, und das funktioniert vor allem in der ersten Hälfte des Films überraschend gut. Das weihnachtliche Treiben wirkt zwar konstruiert, aber keineswegs abwegig – was auch daran liegt, dass Illner seiner „Tatort“-Variante der vielzitierten Weihnachtsgeschichte viel Zeit einräumt und diese zunächst getrennt von den Ermittlungen erzählt. Wenn dann im Minutentakt wohlvertraute Kirchenchor-Melodien, das unverwüstliche „Last Christmas“ oder andere Evergreens gedudelt werden, stellt sich beim Zuschauer schon bald gemütliches Weihnachtsfeeling ein – und nach der obligatorischen Feier im Präsidium steigen sogar Silvesterraketen in den Nachthimmel.
Wer am 2. Weihnachtsabend nichts (mehr) für Adventskerzenschein und Glühwein übrig hat, dürfte mit der 927. „Tatort“-Ausgabe der Krimireihe allerdings eine Enttäuschung erleben: Die Spannung köchelt angesichts der vielen Weihnachtselemente auf Sparflamme, zudem ist der Erzählton des vierten „Tatorts“ mit Devid Striesow („Zeit der Kannibalen“) extrem uneinheitlich: selten fesselnd, hin und wieder witzig, mal ernst, in Ansätzen doppelbödig, aber unter dem Strich alles andere als geradlinig. „Weihnachtsgeld“ ist weder Fisch noch Fleisch, am ehesten erinnert der Weihnachtskrimi noch an die beliebten „Tatort“-Komödien aus Münster. Die extrem alberne Grundausrichtung der ersten beiden Saarbrücker Folgen wurde nach der vernichtenden Kritik von Presse und Publikum bereits im „Tatort: Adams Alptraum“ auf ein gesundes Maß zurückgeschraubt und diesen Trend setzen die Filmemacher hier fort. Das Ergebnis ist seichte, aber bei weitem nicht mehr so polarisierende Krimi-Kost, der es an einem klaren Konzept mangelt. Anders als in Münster ergibt sich nämlich vor allem im Hinblick auf das Ermittlerteam noch kein homogenes Gesamtbild.
Während die unterkühlte Staatsanwältin Nicole Dubois (Sandra Steinbach) und die einmal mehr blasse Hauptkommissarin Lisa Marx (Elisabeth Brück) zum Lachen in den Keller gehen, macht der anstrengende Spurensicherungsleiter Horst Jordan (Hartmut Volle) vor allem durch Übereifer auf sich aufmerksam. Stellbrink hingegen fehlt es nicht nur an einem Gegenpol auf Augenhöhe, sondern auch an Seriosität und Realitätshaftung: Der dauerwitzelnde Rollerfahrer gibt zwar amüsante One-Liner zum Besten, wirkt mit seinem Helm und den orangefarbenen Jeans aber immer wieder fast wie eine Witzfigur. Zudem wirkt das Geschehen überfrachtet, so quetschen die Filmemacher (offenbar wollte man möglichst viel vom Christkindlmarkt) etwa eine völlig überflüssige Jagd auf einen kostümierten Taschendieb in die Handlung. Spätestens, als sich der Film auch noch vom Fahrerfluchtkrimi zum Familiendrama wandelt, ist das des gut Gemeinten einfach zu viel. Noch am ehesten Eindruck macht da Stellbrinks Besuch im Bordell, in dem bunte Penis-Anhänger am Tannenbaum baumeln: Anders als die drei Könige aus der Weihnachtsgeschichte ist der Betreiber Georg König (stark: Gregor Bloéb) nämlich wahrlich kein Heiliger. Der aufbrausende Zuhälter ist zwar nicht minder stereotyp angelegt als die sizilianischen Schwiegereltern und die kecken Prostituierten, aber er punktet mit Charisma und Charakter.
Fazit: Weihnachtsstimmung ja, Nervenkitzel nein – Zoltan Spirandellis „Tatort: Weihnachtsgeld“ versprüht gemütliches Feiertagsfeeling, lässt dafür aber die Spannung vermissen.