Die Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne sind Schöpfer authentisch wirkender Dramen. Für „Zwei Tage, eine Nacht“ führten Sie Regie und schrieben das Drehbuch.
Sandra (Marion Cotillard) soll gemäß einer Abstimmung entlassen werden, damit ihre Kollegen nicht auf die Jahresprämie von 1.000 € verzichten müssen. Die mit einer ausklingenden Depression belastete Sandra erhält die Möglichkeit, die Abstimmung wiederholen zu lassen, und versucht in der verbleibenden Zeit (s. Filmtitel), die 16 Mitarbeiter zu überzeugen, auf die Prämie zu verzichten. Ehemann Manu (Fabrizio Rongione) unterstützt sie.
Zwickmühle trifft Depressive. Und die Brüder Dardenne fühlen sich wohl. Das Eingangsszenario muss das Publikum schlucken wie Sandra ihre Pillen. Das Drama nimmt seinen Lauf. Die Kollegen reagieren sehr unterschiedlich gegenüber der verzweifelten, aber sachlich auftretenden Sandra. Dies ist erforderlich, um Langeweile auszuschließen und wird sehr gut dargestellt. Die Differenzen sind nicht zu groß gewählt und haben wenige, glaubhafte Ausreißer mit Hang zur Gewalttätigkeit. Die mal zustimmenden und mal ablehnenden Reaktionen der Befragten (die meisten haben die 1.000 € nötig und verplant) zehren an der angeschlagenen Sandra, die immer mehr auf Pillen und ihren Mann angewiesen ist und angetrieben werden muss.
Kameramann Alain Marcoen, der mit langen, wenig geschnittenen Einstellungen und gefühlvollen Kameraschwenks schon oft für die Dardenne-Brüder tätig war, lässt Marion Cotillard nie aus den Augen. Sie ist in fast jeder der Dardenne-typisch unspektakulären Szenen zu sehen und darf zurzeit als eine der besten und meist gebuchten Schauspielerinnen bezeichnet werden, die Frankreich zu bieten hat, zudem mit Hollywood-Erfahrung (u.a. „Inception“, „Contagion“, „The Dark Knight Rises“). Ihre Sandra drückt mit geknicktem Gang und leerem Blick Verzweiflung und mit sachlicher Emsigkeit Hoffnung aus. Die wenigen positiven Augenblicke spiegelt Marion Cotillard ohne Übertreibung in Sandra wider und bestätigen die Intensität der Negativerlebnisse. Eine Meisterleistung der Französin.
Schließlich von Stamm-Cutterin Marie-Hélène Dozo zusammengebaut, sieht der Film optisch schlicht aus wie die meisten Werke von Jean-Pierre und Luc Dardenne. Die allmähliche Zuspitzung des Dramas mit der beständigen Konzentration auf Sandra ist die Kür der belgischen Regisseure. Ein genialer Fastüberraschungsmoment an „Zwei Tage, eine Nacht“ ist dennoch die Entscheidung, das von Sandra an sich selbst ohne Medikamente verabreichte Antidepressivum nach der erneuten Abstimmung. Und der Beobachter erkennt, dass ein fein durchdachter Aufbau des Dramas der Effektgeber für das Ergebnis ist.
„Zwei Tage, eine Nacht“ ist ein mit vorzüglicher Leistung der Regisseure geführtes Drama.