DIE FEHLER DER VERGANGENHEIT
von Michael Grünwald / filmgenuss.com
Marty McFly kann davon ein Liedchen singen, wie es ist, in der Zeit zurückreisen zu müssen, um die Zukunft wieder dorthin zu biegen, wo sie hingehört. Die Avengers werden wohl mit einem großen Fragezeichen auf der Stirn nicht mitreden können, da ihr Zeit-Kontinuum nicht stringent verläuft, sondern parallel zueinander und somit unendlich viele Multiversen erzeugt. Ein Umstand, den Dr. Strange bald näher erläutern wird. Nun ist aber Ryan Reynolds an der Reihe, nochmal alles von vorn zu beginnen, und hebt schon in den ersten Sekunden des neuen Streifens The Adam Project mit einer ähnlichen Lässigkeit den Flieger aus dem Orbit, wie es vielleicht Chris Pratt alias Star Lord machen würde, begleitet vom Sound aus den späten Sechzigern, nämlich Gimme Some Lovin. Alles erinnert an die Guardians of the Galaxy, die zur Freude des Publikums bald nicht mehr wussten, wo ihnen der Kopf stand. Reynolds hat da mehr den Überblick, obwohl er sich auch hier um einige Jahre verkalkuliert: Sein Flieger landet im Jahr 2022, unweit seines Elternhauses, in dem er selbst als zwölfjähriger Lümmel seinen verstorbenen Vater vermisst und mit Mama (Jennifer Garner) den Alltag schmeißen muss, dabei aber nicht sehr viel Kooperationswillen zeigt. Das ändert sich, als dieser junge Adam seinem älteren Ich begegnet. Shawn Levy nimmt sich hier klugerweise viel mehr Zeit als anderswo in seinem Film, um das langsame Sickern der Erkenntnis, sich selbst gegenüberzustehen, mit kleinen, kuriosen Alltäglichkeiten, die längst keine Zufälle mehr sein können, auszuschmücken. Bis dahin lässt das ganze Szenario immer noch so etwas wie Zurück in die Zukunft vermuten. Die Vermutung wird ausgeräumt, als der doppelte Adam versucht, ins Jahr 2018 weiterzureisen, um zu verhindern, dass Zeitreisen überhaupt möglich werden, da das Böse in Gestalt von Katherine Keener (kann überhaupt nichts mit ihrer Rolle anfangen) zukünftig die globale Macht an sich reißen wird. Natürlich bleibt die Antagonistin nicht tatenlos und hetzt durch die Zeit hinterher.
Shawn Levy hat hier alles, um Science-Fiction-Fans und Zeitparadoxon-Nostalgiker vor dem Bildschirm glücklich zu vereinen. Er hat auch Ryan Reynolds, der für ihn schon letztes Jahr als Free Guy die Komödie unter seine Fittiche genommen hat – das ganze Programm, von verschmitzter Selbstironie bis zur Popkultur-Parodie. Was Levy aber nun fehlt, ist das Bindemittel dazwischen, um Zutaten und schauspielerisches Potenzial entsprechend zu verbinden. The Adam Project lässt den sympathischen Schönling nur zögerlich von der Leine. Der tut das, was er ohnehin schon immer tut, nur sentimentaler. Dieser Methode bemächtigt sich der ganze Film – er tut, was er angesichts seiner Versatzstücke tun muss: Ein routiniertes, womöglich teures Abenteuer mit Publikumslieblingen zu sein, die alle schon mal Erfahrungen im Superhelden-Genre gesammelt haben und somit wissen, was ihre Aufgaben sind. Was Neues fügt Levy dem Thema aber nicht hinzu. Natürlich, es ist ganz nett, Reynolds und seinem jungen Co-Star dabei zuzusehen, wie sie den Fieslingen von der Schippe springen und dabei ihren alten Vater finden wollen, der 2018 noch gelebt hat. Da gesellt sich auch noch Mark Ruffalo hinzu – und auch er schöpft aus dem Charakter, den er als Bruce Banner gut gelernt hat. Weiteres Engagement gilt als vermisst – somit bleiben fast alle Rollen schemenhaft und blass. Bob Gale und Robert Zemeckis hätten wohl den Rat geben können, bei Zeitreisen stets Wert auf das Besondere eines Charakters zu legen.
Doch lieber scheint es Levy, der mit so einem knackigen Drehbuch wie in Free Guy wohl sowieso nicht mehr rechnet, sich und die Crew nicht überanstrengen zu wollen. Der Unterhaltungswert ist da, der Rest ist 08/15. Will heißen: Gesehen und – wie so manches aus der Vergangenheit – bald vergessen.
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