Das Gericht der Melpomene
„Venus im Pelz“ ist das nächste große Werk in meiner Polanski-Werkschau, eines das völlig anders ist und bei dem ich Freude hatte zuzuschauen und eine Analyse zu schreiben.
Schon der One-Shot von der Straße bis ins Theater hat mich besonders angesprochen, wenn die Tür zur Kammer geöffnet wird, in der das Spiel gleich stattfinden wird. Geöffnet wurde die Tür von Vanda, einer Frau die allen Stereotypen gemäß einer erfolglosen Amateurschauspielerin entspricht, die für das Schauspiel, ebenso wenig Talent, wie für Bildung und Kunst Achtung besitzt, deren einzige Kompetenz wohl darin liegt Männer für ein bisschen Geld zwischen ihren Schenkeln zu verwöhnen. Genau das muss Thomas durch den Kopf gegangen sein, als die schlampig gekleidete blonde Frau mit absoluter Verspätung sein Theater betritt und mit ihrer ungeschliffenen Sprache um ein Vorsprechen anbettelt. Thomas, der den ganzen Tag katastrophale Vorsprechen für die weibliche Hauptrolle ertragen musste – er brüstet sich gar damit - und gerade als Letzter aus der Tür gehen wollte, kommt diese impertinente Frau gar nicht recht. Sie hingegen will sich einfach nicht davon abhalten lassen vorzusprechen und nutzt jedes kleine Schlupfloch um mit dem Fuß in der Tür hindurch zu schlüpfen. Schließlich lässt sich Thomas genervt darauf ein und das was er dann erleben wird, hätte er beim besten Willen nicht ahnen können.
Als ich hörte von was das Stück handelt, habe ich erst eine große Abneigung verspürt, weil ich einfach nicht der Typ für BDSM-Geschichten bin. Grundlage für das Theaterstück ist nämlich eine Adaption des Klassikers "Venus im Pelz" von Leopold von Sacher-Masoch, der für den Begriff Masochismus Pate stand. Ich kann das eigentlich genauso wenig ertragen wie die "Leiden des jungen Werthers". Hier diese Unterwürfigkeit bis zum Tod, dort das devote, wie auch dominante Getue beim Sklavenspiel, das stößt mich ab. Doch mit "Venus im Pelz" als Film über die Adaption, quasi die Adaption einer Adaption, werden gleich drei verschiedene Gratwanderungen beschritten, die es doch Wert waren, dass ich drangeblieben bin.
Die erste Gratwanderung ist die plötzliche Metamorphose der Vanda von einer schlampig wirkenden Frau mit schlechter Erziehung, Bildung und Sprache zur begnadeten Schauspielerin, die Erziehung, Bildung und Sprache so akzentuiert einsetzt, dass sie ihr negatives Bild wieder komplett wettmachen kann. Doch das Ganze ist nicht stabil, denn in einem anderen Augenblick ist sie wieder die Frau mit den schlechten Manieren. Es ist wie ein Schock für Thomas, man sieht es ihm an, denn als sie ihr Talent kurz aufblitzen lässt mit einer Szene aus einer griechischen Tragödie, muss er kurz innehalten. Als Zuschauer würde ich seinen inneren Zustand beschreiben als schwer hingerissen beschreiben, denn nach außen versucht er sich wenig Blöße zu geben. Das Spiel im doppelten Sinne beginnt und damit fängt die nächste Gratwanderung an.
Mein Herz für Literatur, was Film und Theater im weiteren Sinne sind, schlägt lauter, wenn es um verschachtelte Geschichten und Metafiktion geht z.B. wie dieser Rahmengeschichte von zwei Personen im Theater, nämlich dem Autor und der Bewerberin zum Vorsprechen, aber auch die Binnengeschichte, dem Theaterspiel "Venus im Pelz" selbst. Es ist klar, dass das Theaterspiel der Binnengeschichte eine Fiktion ist, denn es wird von Schauspielern, hier Vanda und Thomas gespielt, aber zu schnell vergisst man als Zuschauer das der Film ebenso eine Fiktion ist, hier die Rahmenfiktion. Ich sage das deshalb, weil es hier ein besonders Prädikat des Films ist diese beide Ebenen nicht nur darzubieten sondern sie auch vermischen, dass man am Ende sagen kann, dass nicht nur das Bühnenstück den Namen "Venus im Pelz" trägt sondern auch der Film und zwar nicht bloß in dem Sinne, dass es sich im Film "Venus im Pelz" um die Adaption von "Venus im Pelz" handelt, sondern dass die Handlungen der Binnenerzählung und Rahmenerzählung einander folgen aber in ihrer Pointe gegensätzlich ausfallen.
Normalerweise sind diese Erzählebenen getrennt, denn es gibt die Schauspielerin Vanda und es gibt die weibliche Figur im Theaterstück, doch eben eine weitere Gratwanderung, letztlich jene die den Film erst delikat macht, ist der der fließende Übergang zwischen der schauspielerischen Darstellung einer Figur und der realen Person des Darstellers, wenn Begriffe wie Off- und On-Stage im Schein und Sein verschwimmen, also wenn Vanda nicht nur zwischen den Rollen ihrer eigenen Persönlichkeit switched, sondern auch zusätzlich mit der Charakterrolle, die sie im Stück darstellt. In „Mullholland Drive“ wurde mir zum ersten Mal bewusst, das zwischen der schauspielerischen Darstellung einer Figur und der realen Person des Darstellers ein sehr schmaler Grat ist, z.B. wenn Betty mit Rita für das Vorsprechen übt bzw. das Vorsprechen mit dem Alt-Schauspieler selbst, bei welchem Fiktion und Realität miteinander verschmelzen. Waren das nur ein paar Minuten, gelingt es Polanski genau jene Gratwanderung auf 90 Minuten verlustfrei auszudehnen, weshalb man manchmal droht den Überblick darüber zu verlieren ob jetzt der Regisseur mit der Schauspielerin spricht, im professionellen Sinne bzw. der verliebte Autor Annäherungsversuche bei der Schauspielerin übt oder ob die Gespräche die beide führen aufgrund der Rolle geführt werden, wobei der Rollentext zusätzlich durch Improvisationen verändert wird. Es gibt genügend Momente, wo die vier Ebenen miteinander so vermischt sind, dass man sie nicht mehr auseinanderdividieren kann.
Waren diese Gratwanderungen zwischen Erzählebene sowie Rolle und Person noch nicht genug spinnt Polanski eine weitere dazu, nämlich der Übergang der Dominanz von einer zu anderen Person. Am Anfang lag die Dominanz in Thomas Händen, die er jedoch nur mit größter Arroganz gegen Vanda verteidigen konnte, als er ihr nämlich doch erlaubte vorzusprechen. Ergriffen vom Aufblitzen ihres Talentes war er schon gefangen und eigentlich festgelegt, dass sie die Richtige sein wird, doch Vanda dreht hier schon den Spies um in dem sie ihn am Haken zappeln lässt beispielsweise in dem Moment als sie schon wieder gehen will. Thomas bemerkt, dass er zappelt und glaubt, dass er noch aus der Sache herauskommt. Schließlich steigt Thomas in die männliche Bühnenrolle mit ein, die aber von ihm verlangt die devote Figur zu spielen, bei der Vanda die dominante Rolle inne hat. Thomas glaubt, dass kontrollieren zu können z. B. als e an sein Telefon geht und sein Telefon geht und von „wenigen Minuten“ spricht in denen er das Vorsprechen beenden wolle. Vanda kontert mit einem Telefongespräch ihrerseits. Weder bei Vanda, noch bei Thomas könnte man mit Sicherheit sagen, dass die Gespräche nur Finten waren um den anderen zappeln zu lassen. Vanda übernimmt nicht nur in der Rolle die Dominanz, sondern übernimmt auch Stück für Stück die Steuerung wie die eines Regisseur. Sie lobt Thomas, für sein Werk, für sein Schauspiel und sie bringt ihn dazu das Stück zu erweitern, außerdem übernimmt sie die Kontrolle über die Kostümierung und Requisiten von beiden und sie reguliert die Bühnenbeleuchtung. Dabei hat mir besonders die Technik gefallen, wie durch gezielte Lichtregulation eine Bühne mit vielen Kulissen so bestrahlt wird, dass jeweils durch eine andere Belichtung auf der gleichen Bühne eine ganze neue Kulisse entsteht. Wenn man also etwas achtet, dann lernt man noch etwas über die Technik eines Theaterstücks hinzu.
Der Höhepunkt von Vandas Kontrolle passiert als sie Thomas vorschlägt, dass sie die Rollen tauschen sollten. Das macht sie geschickt, denn hätte sie das nicht erreicht, dann hätte das Stück vorgegeben, dass sie ihre Figur die Dominanz verlöre und damit auch ihre reale Persönlichkeit. So behält sie ihre Dominanz in Rolle und realer Person über das Stück, indem sie zu männlichen Charakter wechselt, der die Situation umdreht und die weibliche Rolle nun unterwirft. Die weibliche Rolle hat aber inzwischen Thomas übernommen, der nun als Frau verkleidet an den Sklavenpranger gefesselt wird, ein Pranger, der im Vorfeld schon scherzhaft als Phallussymbol bezeichnet wurde, der jetzt zum moralischen Pranger wird. Jetzt ist es diese Komposition der Gratwanderungen und schleichenden Übergänge, die es Vanda ermöglichen gegen einen arroganten und ignoranten Autor Gericht zu führen, ihn als Dieb und Lügner zu überführen, weil er sich eines anderen Autor bedient, ihn als Sexisten zu entlarven, weil er den ganzen Tag weibliche Vorsprecher mit seinen unhaltbaren launigen Ansprüchen quält, weshalb die Konsequenz ist, dass er seiner Dominanz beraubt wird, unfreiwillig in die Rolle einer gequälten Frau gebracht und hilflos sich selbst zu befreien an den Pranger der Schande gefesselt wird.
Es ist gewissermaßen „QUASI“ so, dass die Schutzgöttin der dramatischen Dichtung und des Theater, die Muse Melpomene, höchst persönlich, vom Olymp herabgestiegen ist, um Gericht über den undankbaren Künstler führen.