Auch wenn man Wes Anderson's eigenen Aussagen Glauben schenken will, die besagen, dass ihn die Ideen für seine Filme lange Zeit beschäftigen und nicht von jetzt auf gleich entspringen, ist es doch erstaunlich, dass „Grand Budapest Hotel“ gerade mal ein Jahr nach „Moonrise Kingdom“ in die Lichtspielhäuser kommt. In diesem Kontext ist es umso erstaunlicher, dass ihm seine romantisch-skurrile Hotelmär so spielend und perfekt gelingt. Herausragende Kulissen, exzellenter Cast, passender Soundtrack, ein gewitztes Drehbuch vom Exzentriker unter den handwerklich begabtesten Regisseuren der Gegenwart. Und der Film – mal wieder ein echtes Unikat.
Für „Grand Budapest Hotel“ wurde im Vorfeld soviel Werbung getrommelt, wie wohl für seine gesammelten Werke zusammen. Sogar in die Fernsehwerbung hat es Wes Anderson's neuster Film gebracht, aber das liegt wohl nicht nur daran, dass er der diesjährige Berlinale Eröffnungsfilm war, sondern eher an seinem enormen Cast um Ralph Fiennes mit dem auch die Kinoposter werben. Doch sollte man als geneigter Kinogänger nie vergessen, bei Wes Anderson – Filmen ist Wes Anderson der Star.
Noch mehr denn je vertraut Wes Anderson der offensichtlichen Künstlichkeit – es gibt nahezu keine originalen Außenaufnahmen, er konstruiert seine Szenen mit durchweg charmanten und retro – orientierten Leinwänden und vertraut bei dynamischen Szenen, wie bei seinem „Fantastic Mr. Fox“, genauen Choreographien und Capture Motion Verfahren. Neben seinen ohnehin zum Markenzeichen gewordenen teils quietschbunten Requisiten und genaustens kalkulierten abgeschlossenen Räumlichkeiten, in denen seine Schauspieler stets agieren und reagieren müssen (ein Hotel eignet sich dafür übrigens bestens), arbeitet Anderson auch seine Handlung detail- und anspielungsreich aus.
Dass das „Grand Budapest Hotel“ in vielen Einzelheiten in Nostalgie verharrt, ist auch Ursache des Drehbuchs, dass wieder mit gelungenen pointierten Dialogen aufwartet, aber eine gewisse Schwermut und den drohenden Schatten des Krieges nicht kaschieren kann und will. Viel schwarzhumoriger und auch blutiger ist Anderson's Ansatz diesmal unterfüttert, es wird munter erzählt zu skurrilen Szenenwechseln und wechselhafter Musik, welcher dann oft von einem aufrüttelnden Donnerhall unterbrochen wird.. So ist auch das Schicksal des „eigentlichen“ Concierge (Ralph Fiennes) gegen Ende mit einer Überraschung versehen.
„Was ist mit dem Concierge geschehen?,“ fragt der Reporter. Die Antwort: „Er wurde erschossen.“
Natürlich wird auch hier augenzwinkernd aufgelockert, eine Gruppe unter dem Namen ZZ verbindet man schließlich schnell mit etwas anderem, aber Wes Anderson macht es sich glücklicherweise nicht so einfach, zu banalisieren. „Grand Budapest Hotel“ ist neben seiner offensichtlichen Erzählung nicht ein Stück des Versuchs der komplizierten Verdrängung, denn er schaut nicht weg. Sondern wohl eher ein düsteres, wenn auch nostalgisches Generationenwerk, wozu auch die zu Anfang und Ende einsetzende verschachtelte Erzählweise und immer wiederkehrende Symbolik beiträgt.
Und verbunden mit seiner altertümlich anmutenden Ästethik passt das wie die Faust auf's Auge.
Trotzdem ist „Grand Budapest Hotel“ auch mit denkwürdigen Szenen versehen, der Regisseur und Drehbuchautor verlässt sich hier nicht blindlings auf seine Optik. Zum wahren Augenöffner, mit Zitaten unterlegt, entwickelt sich eine wahnwitzige Abfahrtsszene mit Skiern und Schlitten. Aber auch viele gelungene Actionsequenzen, die wie in der finalen Hotelszene in einem wirr – amüsanten Schusswechsel enden, schließen sich dem stimmigen Gesamtbild an.
Schwieriger gestaltet sich da der Freiraum der Schauspieler, die immerhin zur nominellen Spitze Hollywoods gehören. Anderson ist Inszenierer von Abfolgen und lässt keine Zufälle aufkommen. Aber anstatt an dem genaustens kalkulieren Werk zu scheitern, überzeugen vor allem Mimik und Situationskomik der beiden Protagonisten Ralph Fiennes und dem hervorragenden Newcomer Tony Revolori. Performance – Lücken hat der Film auch im Verlauf nicht zu bieten, denn selbst einfachste Archetypen wie der Dorfpolizist (Edward Norton) oder der rachsüchtige Sohn ( mit durch-den-Wind-Frisur Adrien Brody) der gealterten Tilda Swinton (sehr gutes Altersmakeup) werden hier interessant und unterhaltsam eingeführt. Als Szenendieb erweist sich zudem ein bedrohlich wirkender Willem Dafoe, der in seinem minimalistisch wirkenden Gesicht größst mögiche Gefahr entfaltet und als Charakter trotzdem überaus erhalten bleibt.
Fazit: Wes Anderson's „Grand Budapest Hotel“ ist eine weitere ganz große Perle des modernen Kinos. Diesmal präsentiert sich Anderson viel melancholisch - düsterer ohne seinen Erfolgszutaten wie dem perfekten Produktionsdesign oder der furios – ironischen Inszenierung abzuschwören. Durch diese perfekte Verschmelzung wird sein neuster Film tatsächlich meisterlich, vom unbedingten Wiederanschauungswert ganz zu schweigen.