Der junge Regisseur Ryan Coogler hat die Ereignisse der Nacht auf den 01.01.2009 an der Fruitvale Station (Oakland, nahe San Francisco) in einem Film verarbeitet und das Drehbuch geschrieben.
Oscar Grant III (Michael B. Jordan) wurde in den frühen Stunden des Neujahrstags 2009 von einem Bahnpolizisten erschossen. Er war 22 Jahre alt.
Coogler möchte, dass sich der Zuschauer mit Oscar und seinem Umfeld auseinandersetzt. Dazu gehören hauptsächlich seine Mutter Wanda (Octavia Spencer), die Lebensgefährtin Sophina (Melonie Diaz) und Tochter Tatiana (Ariana Neal). Die Kamera fängt nicht nur das Familienleben leben ein, Oscar selbst wird im Detail beleuchtet. Er dealt mit Drogen, musste einsitzen, verlor seine Arbeitsstelle wegen Unpünktlichkeit, Sophina verzeiht ihm einen Seitensprung. Die kleine Tatiana, „T“ genannt, ist sein Ein und Alles. Trotz der schiefen Bahn wird er als netter, hilfsbereiter Sympathieträger präsentiert. Das eine schließt das andere nicht aus. Na ja, mit 22 ist Mann noch nicht wirklich erwachsen, der Weg aus bescheidenen Verhältnissen in die Kriminalität verlockend kurz und Sophina viel reifer. Ohne die Moralpredigten, Ratschläge und Unterstützung von Mom und Grandma Bonnie (Marjorie Shears) würde einiges mehr daneben laufen.
Wie viel echter „Os“ in dem Gezeigten steckt, kann die Leinwand schlecht zeigen, doch die Inszenierung ist mitreißend stark. Coogler setzt auf reale, dialoglastige Darstellung. Oscar möchte sein Leben aufräumen. Als er den mit Marihuana gefüllten Beutel ins Meer entleert, mag das für einen Abschied aus der Illegalität den Tick zu theatralisch sein, doch das ist dem Regisseur zu verzeihen. Die hervorragenden Schauspielerleistungen vervollkommnen die vielen Aufnahmen (inklusive Rückblende: Gefängnisbesuch der Mutter) und ziehen das Publikum in die Familie, allen voran Oscar-Preisträgerin Octavia Spencer („The Help“), die derzeit auch in „Snowpiercer“ zu sehen ist und als Mutter von Oscar den Wunsch hat, dass er und seine Freunde zur Neujahrsfeier mit der Bahn fahren sollen und nicht mit dem Auto. Und an der Fruitvale Station passiert das, was nicht hätte passieren dürfen: Ein Bahnpolizist schießt auf den am Boden liegenden Oscar. Es folgt dessen Agonie im Krankenhaus mit der vorm OP-Saal wartenden Familie. …es hätte berührender nicht sein können. Das ist kein Hollywoodtränendrüsendrücker, nicht übertrieben und ergibt sich dank der Arbeit Cooglers und des Ensembles von selbst.
Der 27-Jährige, des Mordes angeklagte Todesschütze wird wegen fahrlässiger Tötung zu 22 Monaten Haft verurteilt und sitzt davon 11 Monate ab, bekommt der Zuschauer vor dem Abspann zu lesen. Sollte er denken, nur 22 Monate und nur 11 Monate?
Große Trauer wird in diesem Film gezeigt, keine expliziten Rachegefühle. Nur 86 Minuten vergehen und davon sind gefühlte 85 ½ Minuten Familienleben um Oscar Grant. Ein mäßig objektives Bild des Vorfalls in der Bahnstation wird gezeigt, denn die Nahaufnahmen von gereizten, aggressiven Bahnpolizisten sind dominierend. Diese ziehen nach einer Schlägerei im Wagon Beteiligte, darunter Oscar, aus dem Zug und nehmen sie hart ran. Die Drangsalierten sind widerspenstig, die Situation heizt sich auf, Fahrgäste filmen. Als der tödliche Schuss fällt, liegt Oscar Grant bereits bäuchlings am Boden.
Das große Manko ist, dass der Ausblick über den Tellerrand völlig verweigert wird. Wer ist der Täter, der Johannes Mehserle heißt? Die Höhe der Bestrafung hängt nicht nur von der Tat, sondern auch von der Person ab, die diese verübt hat. Vielleicht ist Mehserle auch nett und hilfsbereit und hat eine problemlose Kindheit verbracht. Ist er bis zur Tat verantwortungsbewusst in seinem Job gewesen, den er wie lange schon ausübt? Wie ist der Dienst vor dem Einsatz verlaufen? Hat er eine Familie und einen gewaltfreien Umgang mit dieser? Oder ist er ein misanthropischer Waffennarr, der das N-Wort seinen Maximen zuordnet?
Und auch ohne die Strafe einschätzen zu müssen, wäre ein Blick auf den Täter eine Bereicherung für den Film gewesen. Welche Gedanken haben Mehserle bei Dienstantritt und beim Anlegen der Waffe bewegt? Inder Spannweite von „Hoffentlich muss ich die nie benutzen“ bis „Heute hätte ich mal Lust einen umzunieten“ kann einiges aufgehängt werden. In dem hervorragenden Film „The Place Beyond the Pines“ ist ein großer Abschnitt dem Cop zugeordnet, der zuvor einen Straftäter ohne Notwehr in Panik erschießt. Wer ist Johannes Mehserle? Coogler hätte die Möglichkeit gehabt. Sein unvollkommener Film dauert 86 Minuten.
Dass Coogler die Solidarität mit der Person Grant sucht und die Kinogänger mitnehmen will, ist unverkennbar und nicht zu bemängeln. Aber sein Film ist auch ein ungeschickter Schrei nach mehr Rechten und Gerechtigkeit.