Woody Allen's beliebte Filme zeigen im Mittelpunkt neurotische Figuren - die mehr oder weniger Woody und New Yorker sind - in tragischen Komödien. Erst viel später wagt sich der begeisterte Jazz-Musiker aus der Stadt, die niemals schläft, nach Europa und inszeniert in Barcelona, Paris und London. Mit „Blue Jasmine“ darf es wieder Manhattan und ganz viel San Francisco sein.
Jasmine (Cate Blanchett) hat ihr Anthropologiestudium aufgegeben für ein Leben mit dem erfolgreichen Finanzjongleur Hal (Alec Baldwin) in Manhattan und zieht den gemeinsamen Sohn groß. Es könnte für sie vom Wohlstand her nicht schöner sein, aber da hängen die Verdachtsmomente um Hal’s Affären und Geschäfte in ihrem Leben. Als Hal von den Behörden ins Gefängnis gesteckt wird, geht der Reichtum dahin und Jasmine kommt quasi mittellos bei ihrer zuvor abschätzig behandelten Adoptivschwester Ginger (Sally Hawkins) in San Francisco unter. Diese arbeitet im Supermarkt, ist geschieden, hat zwei junge Söhne, einen machomäßigen Lebensgefährten (Chili, Bobby Cannavale) und eine für Jasmine selbstverständlich viel zu kleine Wohnung. Jasmine, die das nur mit Pillen und Alkohol übersteht, muss sich mit „minderer“ Arbeit bei dem drängelnden Zahnarzt Dr. Flicker abgeben, findet nebenbei Verbindungen in die vergangene Welt und zieht Ginger mit.
Der fast 78-jährige Woody Allen ist sicherlich einer der Regisseure, die Menschen (und sich selbst) nicht nur gut beobachten, sondern deren Verhalten auch leinwandgerecht zubereiten können. Für die vorliegende Geschichte um die gestrandete Jasmine zeigt Allen im ständigen, Unruhe vermeidenden Wechsel die Zeitstränge ab ihren Zweifeln gegenüber Hal und ab der Ankunft in San Francisco, womit der Film beginnt. Das ist smart aneinandergereiht und nicht so kompliziert wie bei dem handlungsreicheren und ernsteren „21 Gramm“, den der Zuschauer im Kopf zusammenbauen muss (was aufgrund des genialen Aufbaus auch gelingt). So entweicht Allen‘s Inszenierung möglichen Längen und behält sich ein kleines Überraschungsmoment um die Verhaftung von Hal.
Der Fokus in Allen’s Film ist auf Jasmine gerichtet, die in ihren ständigen Ups und Downs von Cate Blanchett mit überragender Brillanz gespielt wird. Die markante Australierin mit der tiefen Stimme wurde für Oscar-Verleihungen bereits fünffach nominiert, einmal ausgezeichnet (beste Nebendarstellerin 2005, „Aviator“) und darf sich im kommenden Frühjahr für ihre aktuelle Rolle gerne wieder in die Reihe stellen. Sie beherrscht einfach ihre Jasmine in den vielen Szenen, die ihr Allen gegeben hat. Nicht nur, aber vor allem wenn ihr die Kamera sehr nahe kommt, darf das Publikum der immer aufs Neue gequälten Upper-Class-Seele mit einem Lächeln entgegen sitzen. Darum ist dieser Film reichlich mit lebhaften Gipfeln beschmückt und hat einen besonderen, als Jasmine im Fast-Food-Restaurant vor Ginger’s Söhnen eine Ansprache übers Leben hält. Das alles passt fast perfekt und unterstützt den komischen Allen-Stil um seine aus der Art geschlagenen und neurotischen Gestalten. Die als Hauptdarstellerin in „Happy-Go-Lucky“ (R: Mike Leigh) bekannte Sally Hawkins und Bobby Cannavale können ihre Wirksamkeit auch im Schatten der Blanchett noch versprühen, aber - und damit einziger Wermutstropfen - Alec Baldwin ist als machthungriger Hal zu schwach und hat wenig Szenenanteil bekommen, um sein dargestelltes Umfeld und den Zuschauer zu überzeugen.
Dieser mit beschwingender Jazz-Musik begleitete und mit starken Charakteren ausgestattete Film ordnet sich als typischer Woody-Allen-Film ein und ist unter den vielen starken einer der überragenden. Und Cate Blanchett trägt erheblich dazu bei. Nachdem Allen dreimal auf Scarlett Johansson setzte, sind für die weiblichen Hauptrollen der nächsten Projekte Sharon Stone und Emma Stone ausgesucht worden. Man darf sich darauf freuen.