David O. Russel setzte bei „Silver Linings“ auf die schräge Darstellung schräger Menschen. So auch und umso mehr bei seiner neuen Arbeit „American Hustle“. Wieder dabei, wenn auch von den Rollen her unterschiedlich gewichtet: Bradley Cooper, Jennifer Lawrence und Robert De Niro.
Irving Rosenfeld (Christian Bale), Berufsbetrüger sowie vorgeblich Waschsalonbetreiber, und Sydney Prosser (Amy Adams) haben Ende der 1970er als Pärchen zueinander gefunden, schlüpfen in vertrauenserweckende Rollen und begaunern ihre Zielgruppe der Leichtgläubigen und Notgedrungenen, sei es z.B. beim Handel mit gefälschten Bildern oder durch Kreditbetrug. FBI-Agent Richard DiMaso (Bradley Cooper) verhaftet „Syd“ und verlangt von den beiden, bei der Ergreifung korrupter Politiker mit ihren „Künsten“ mitzuwirken. Auf der Liste des übereifrigen Bundespolizisten steht zunächst Bürgermeister Carmine Polito (Jeremy Renner). Ein schwieriges Unterfangen, wie sich zeigt. Nicht nur, weil „Irv’s“ einfache Ehefrau Rosalyn (Jennifer Lawrence) ständig dazwischen funkt, auch die Mafia sitzt irgendwann mit im Boot, und „Rich“ bekommt Probleme mit seinem Vorgesetzen.
Vorangestellt: Gebilde können fragil sein, insbesondere „American Hustle“. Dieser Film funktioniert nur im O-Ton. So gut die deutsche Synchronarbeit allgemein auch sein mag, schneidet sie diesem Film das Komische fast vollständig aus dem Leib. Dass viele Zuschauer der eingedeutschten Fassung später nach der Komödie fragen und Längen beklagen, verwundert da nicht. Die Besonderheiten der Figuren in ihren Situationen funktionieren eben auch wegen dem sprachlichen Ausdruck, der ein wichtiger Bestandteil für die Vollkommenheit dieses Werks ist. Zudem ist „American Hustle“ immer wieder mit Off-Erzählern unterlegt, die den Bildern erst das gewollte Aussehen und die Wirkung verleihen. Auch „Silver Linings“ verliert hier erheblich.
Was Russel von „Silver Linings“ mitgenommen hat, ist die Veranschaulichung der Figuren. Es ist ein ständiges Posing der Mitwirkenden, die bei „American Hustle“ zudem in das bunte Outfit ihrer Zeit gesteckt wurden. Schon die erste Szene mit Christian Bale verrät den Russel-Style.
Das Pop-Kolorit harmoniert vor allem mit dem eigenartigen Gehabe der Protagonisten „Irv“, „Syd“ und „Rich“. Ständig sind die drei und auch viele andere mit Begeisterung zu beschmunzeln, pointierter Wortwitz hat den geringeren Anteil. Die Charaktere haben durch Russels Anleitung (und Ankleidung) eine jeweils eigene Kuriosität verliehen bekommen, die sie beliebig durch alle entweder nüchternen oder extravaganten Abschnitte des Films tragen können, dies begleitet von der Musik der 1970er. Es ist dann nicht seltsam, dass ernste Szenen mit dem sonst merkwürdig anmutenden Treiben ohne Störung zusammengefügt werden konnten. Die Handlung liegt ständig im Fluss von Anspannung sowie Missgunst und besteht nicht aus der Aneinanderreihung von gespielten Witzen, die zu Hauf in durchschnittlichen Komödien zu finden sind. Und das funktioniert dann z.B. beim Zickenstreit zwischen „Syd“ und Rosalyn genauso wie bei der haushaltsskurrilen Liebesauseinandersetzung, in der „Rich“ das lockenwicklerumrahmte Gesicht von „Syd“ schmachtend in seinen Händen hält. Die Charaktere werden durch ständige Nahaufnahmen immer mehr verinnerlicht. Jeder Gesichtsausdruck soll etwas dazu beitragen, die vielen sehr gut gewählten, beschwörenden Texte über die Lautsprecher ins Publikum zu treiben. Dadurch gerät der Erzählrhythmus zum Thema „Jeder glaubt immer das, was er glauben will“ in 138 Minuten nie aus der Bahn. Dass nicht jede Einstellung perfektioniert wurde, trägt dann eher zum Gelingen bei und passt in das Ambiente des Gesamtwerks.
Hierzu wurde entsprechend talentiertes Personal engagiert:
Amy Adams hat ein so wuchtige Erscheinung, dass sich für die Darstellung der Sydney Prosser nach der Auszeichnung mit dem Golden Globe auf direktem Weg zum Empfang des goldenen Academy Awards ist, für den sie nun zum fünften Mal nominiert ist, bisher ohne Erfolg. In den vielen Szenen fällt bei ihrem meisterlichen Mimenspiel weniger auf, dass sie als Sydney jeweils mit passend geändertem Outfit erscheint, welches sie bzgl. der Textilien aus dem Lager von „Irv’s“ Waschsalon bezieht, und im stetem, von Russel angeleiteten Powerposing mit vielen Frisuren die Pop-Komponente des Films bereichert.
Christian Bale, der in den letzten Jahren vor allem den smarten Typen machen musste, z.B. als Zauberer („Prestige – Die Meister der Magie“) oder Gangsterjäger („Public Enemies“) und Millionenerbe Bruce Wayne / Batman, darf als übergewichtiger Betrüger mit kaschierter Halbglatze agieren. Und auch hier stimmt einfach alles: Das Spiel mit den warmen braunen Augen Irving Rosenfelds zeigt joviale Überzeugungskraft, Eifersucht, Unsicherheit, auch durch die Gläser seiner coolen Sonnenbrille. Unterstützt durch die geschickte Inszenierung der Mafia-Leute verkörpert Bale überdies den ängstlichen und lauten „Irv“ bravourös; es kribbelt in der Phase dieses Films.
Jeremy Renner, der den Hänsel im Hexenjagd-Actioner spielt und bei besseren Actionfilmen als gutes Beiwerk hinzugestellt wird, aber auch schon gute Hauptrollen ablieferte („The Hurt-Locker“), glänzt als familienfreundlicher Bürgermeister Polito.
Bradley Cooper, der sich u.a. mit „Hang Over“ und „Silver Linings“ einen Namen machte, hat viele Stärken. In den beiden vorgenannten Filmen spielt er mit irrem Blick durchgeknallte oder verhaltensgestörte Typen. So einer ist auch Richard DiMaso, aber eben auf der guten Seite des Gesetzes. Dass er auch andere Rollen spielen kann, beweist der frühere TV-Serien-Star („Alias – Die Agentin“) z.B. bei „The Place Beyond The Pines“, ebenfalls als Polizist.
Und dann wieder die, die offensichtlich alles kann. Jennifer Lawrence darf das blonde Dummchen machen. Das gelingt ihr mit den geeigneten Texten in der Mischung über Belangloses, unpassend Philosophisches und der grenzenlos vielfältigen Mimik bis zum Maximum an glaubhafter Naivität, ohne dass dabei ein Blondinenwitz entsteht und in dem Moment gipfelt, als Rosalyn „ihren“ Irving schon in den Fängen der Mafia weiß und zu „live and let die“ von den Wings einen ausufernden Putzanfall im Haushalt erleidet.
Robert De Niro gibt routiniert den in die Jahre gekommenen Mafiazwischenboss Victor Tellegio und gibt der Geschichte als Gespenst einige weitere heitere Komplikationen mit auf den Weg.
Ein schöner Twist rundet die exzellent ausbalancierte, poppig bunte Veranstaltung um überdrehte Protagonisten ab. Und das alles für FSK 6.