Wenn eine Sache zu groß wird, geht sie schief: Das ist eine der Lebensweisheiten, die Irving Rosenfeld seiner Partnerin Sydney und den Zuschauern in „American Hustle“ vermitteln will. Natürlich wird die „Sache“ für Rosenfeld dennoch zu groß und gerät komplett außer Kontrolle. Regisseur David O. Russell allerdings befolgt den Ratschlag, hält seinen Film in allen Bereichen schön übersichtlich und spekuliert nicht auf den großen Wurf, sondern liefert stattdessen einfach nur 138 Minuten intelligente Kinounterhaltung vom Allerfeinsten.
Es ist beeindruckend, wie kompromisslos Russell sein Werk von sämtlichem übertriebenen Anspruch befreit und nie den Eindruck erweckt, dass es ihm um mehr geht als um das Schicksal seiner kunterbunten Protagonistentruppe. Natürlich hat der Regisseur von „The Fighter“ und „Silver Linings“ trotzdem eine Menge zu sagen, und so wird “American Hustle” zu einer ehrlichen Liebeserklärung an die Kunst, das Kino und die Schwindelei. Doch die Botschaft ist hintersinnig und unaufdringlich, sodass jeder, der daran nicht interessiert ist, es auch einfach ignorieren und dennoch richtig viel Spaß haben kann.
Das klappt, weil der Tonfall von „American Hustle“ in jeder einzelnen Sekunde stimmt bis ins kleinste Detail. Herausragende Lacher findet man selten, dafür schmunzelt man quasi durchgängig über die gesamte Laufzeit. Die Dialoge sind scharf geschliffen und die Spannung angemessen hoch. Es gibt keine Durchhänger, keine Längen, das Timing sitzt in jeder Szene auf den Punkt perfekt. Der Vergleich mit dem ohne jedes Augenmaß oder Fingerspitzengefühl auf drei Stunden ausgewalzten „The Wolf of Wall Street“ drängt sich geradezu auf: „American Hustle“ ist genau so lang, genau so humorvoll und genau so tiefsinnig, wie er sein sollte, nicht mehr und nicht weniger.
Sich nicht zu viel vorzunehmen, dafür aber alle seine Stärken voll ausspielen zu können: Das ist das Konzept von David O. Russell, und es geht zu 100 Prozent auf. Russells Inszenierung ist das, was ein US-Kritiker als flawless bezeichnen würde; elegant, makellos und über jeden Zweifel erhaben. Dabei wirkt „American Hustle“ jedoch nie glattgebügelt, sondern betont seine Ecken und Kanten geradezu. Wenn man darüber nachdenkt, hat der Film sogar genau so viele Macken wie seine allesamt mehr oder weniger durchgedrehten Charaktere, deren Beziehungen untereinander sich teilweise so schnell und abrupt verändern, dass man als Zuschauer ziemlich auf Zack sein muss, wenn man nicht abgehängt werden will.
Christian Bales größte Leistung als Irving Rosenfeld ist es, die Zuschauer mit jemandem mitfiebern zu lassen, die gnadenlos unsympathisch ist, kein attraktives Äußeres vorweisen kann und jede Person in seiner Reichweite zu manipulieren versucht. Bale schafft das, indem er mit den Schwächen seiner Figur nie hinterm Berg hält, sondern jederzeit glaubwürdig und lebensecht wirkt. Auch wenn er zwischendrin kurz aus dem Fokus der Erzählung verschwindet, ist Rosenfeld das Herzstück des Films – und Christian Bale bei der kommenden Oscarverleihung ein ernsthafter Konkurrent für Chiwetel Ejiofor, der die Auszeichnung als bester Hauptdarsteller eigentlich schon in der Tasche hatte.
Aber wenn man es genau nimmt, eigentlich könnte man die Oscars auch einfach unter der Besetzung von „American Hustle“ auslosen, und fertig. Neben Bale sind auch noch Amy Adams, Bradley Cooper und Jennifer Lawrence nominiert, und mit keinem von ihnen läge die Academy falsch. Zählt man noch Jeremy Renner, Louis C.K., Michael Peña und den im Abspann nicht einmal erwähnten Robert De Niro dazu, dann ergibt das schlicht und einfach den fantastischsten Cast seit, tja, vielleicht sogar seit immer. Und jeder einzelne auf dieser Liste liefert eine Leistung ab, die allein schon das Eintrittsgeld wert wäre. “Spiel deine Rolle”, sagte Bale schon im Trailer zu Adams. Die Antwort: “Spiel du deine”. Selbstironie in Perfektion.
FAZIT:
„12 Years a Slave“ und „Gravity“ mögen ambitionierter und visionärer sein und deshalb im Rennen um den Oscar für den besten Film die Nase vorn haben, doch „American Hustle“ ist in jeder Hinsicht ein schlichter Hochgenuss für Kinoliebhaber.