"Drecksau" von Irvine Welsh ist ein extremes Buch in vielerlei Hinsicht. Welsh bleibt dort seinem altbekannten Stil zwar treu und schreibt in Dialekt und ohne ordentliche Grammatik. Doch wagt er dort einige sehr abgedrehte Szenen und bietet dem Leser ein derart vulgäres Vokabular, dass es einem auf den ersten Seiten bereits fast den Atem raubt. Dennoch gilt Welsh's Buch zu Recht als Meisterwerk und sicherlich schwer zu verfilmende Polizeimileustudie im freimaurerischen Schottland. Jon S. Baird trifft jedoch den rauen, verfilzten Ton der Vorlage, auch wenn er in seiner derben Härte etwas zensiert: Die "Drecksau", herausragend von James McAvoy in Szenen gesetzt, ist auch hier ein brutaler, vulgär – fäkaler Psychopath, dessen Leben sich seiner Kontrolle mehr und mehr entzieht.
Baird zieht einen wagemutigen Inszenierungsstil auf. Er entfernt ganze Kapitel aus Welsh's Buch, auch auf Kosten der ein oder anderen sehr dreckig-humorvollen Pointe, wie beispielsweise dem genialen Flughafenstreich. Trotzdem weiß er mit seiner Machart, auch ganz ohne Bandwurm – Metaphysik, zu überzeugen, schreibt einiges gekonnt um, wie den Ausflug von Amsterdam und bündelt die Handlung auf somit straffe 90 Minuten, die es auch gebraucht hat, sonst hätte sich das abgedrehte Spiel von D.S. Bruce Robertson vielleicht auch verheddert und in Nichtigkeiten aufgelöst. Denn trotz der kurzen Spielzeit kostet "Drecksau", vor allem für Buchlaien, ganz schön Nerven. Da wird mittels sadistischer Sexspielchen und wandelnden Sexpartnern, egal ob männlich, weiblich oder ein surrealer Adolf Hitler, einiges an Härte aufgeboten, was der ein oder andere Kinobesucher mit einer Flucht aus dem Saal beantwortet. Und doch übertreibt Baird in kontrolliertem Stil, er reißt einige Szenen teils Wort für Wort aus dem Buch, setzt den Fokus zu Beginn sehr ironisch und suggeriert der Handlung einen immer dramatischeren Wandel mit dem wohl genialsten filmischen Schlusspunkt des Jahres. Dabei bleibt er der dreckigen Atmosphäre von Welsh zu jeder Zeit treu und arbeitet gelungenerweise mit dem teils schwarzhumorigen, teils satirischen Off – Voice von D.S. Bruce Robertson.
Der Film fällt und steigt mit McAvoy's Auftreten, folglich überhöht er sich immer wieder selbst mit krasser exponentieller Steigung. McAvoy flucht, masturbiert, bumst, kokst und intrigiert, wo er nur kann, er wird sich seinem Kontrollverlust nicht bewusst und strauchelt dann gegen Ende über seinen eigenen psychischen sowie physischen Zustand. Der auch äußerlich, dank herausragender Ungepflegtheit(!), passende schottische Schauspieler spielt hier nichts weniger als die Rolle seines Lebens, die aufgrund seines Extrems aber wohl bei Filmpreisen leer ausgehen wird. Buchkenner und Welsh höchstselbst, das will ich mal vermuten, dürfen sich über seine filmischen Umsetzung allerdings freuen und sie in Erinnerung halten.
Alle anderen Figuren in Robertson's Umfeld repräsentieren gut die eigenen Schwächen, und das vor allem durch ihre physische Natur. Eddie Marsan's Bladsey ist eine, wie Bruce immer wieder betont, erbärmliche und leichtgläubige Gestalt, Gary Lewis' Gus Bain ein grobschlächtiger konservativer Rassist und John Sessions' Bob Toal, meine persönliche Lieblingsnebenrolle im Film, ein Möchtergern Drehbuchautor (diesbezüglich ist der Running Gag mit Toal's "2001 – A Space Odyssey" Poster sehr gelungen) ein unwürdiger Chef der Polizei sowie unfähig in Bezug auf richtige moralische Entscheidungen innerhalb des Dienstapparats. Bleibt neben dem sehr anrüchig in Szene gesetzten durchaus passenden Spiel von Shauna Mcdonald als Carole noch Imogen Poots' Ammanda Drummond, der hier eine größere Rolle zuteil wird, dem Zuschauer aber als einzige Sympathieträgerin Erdung verschafft.
Letztlich ist da noch die Rolle von Jim Broadbent als irrer Dr. Rossi. Mit ihm schafft Baird einen wunderbar verschrobenen Charakter und verknüpft ihn surreal mit dem im Buch thematisierten Bandwurm. Broadbent's Mimikspiel schafft es dazu spielend, Bruce immer wieder ziemlich effektiv den Spiegel vorzuhalten und seine Probleme zu hinterfragen.
Fazit: Baird schafft mit "Drecksau" einen anfangs witzigen und dramatisch zulaufenden Höllenritt in psychische Untiefen. Dabei hat er einen abgedrehten Inszenierungsstil, einen dankbaren sowie genialen Schlussakkord, passende Nebendarsteller und die herausragende Darstellung James McAvoy's zur Hand.