Lars von Trier hat die Geschichte einer Sexsüchtigen in Bilder gefasst und als Ergebnis einen Zweiteiler in die Kinos gebracht.
Joe (Charlotte Gainsbourg) wird von Seligman (Stellan Skarsgård) verletzt aufgefunden. Der belesene ältere Herr nimmt die Frau bei sich auf und hilft ihr. Sie schildert ihm ihren Lebenslauf als Nymphomanin in acht Kapiteln. Begleitend entsteht zwischen den beiden eine Diskussion.
Lars von Trier hat sich mit seinen außergewöhnlich intensiv erzählten Werken einen herausgehobenen Stellenwert als Regisseur geschaffen. In der sogenannten „Depression Trilogy“ ist „Nymph()maniac“ der letzte Teil. Angeblich hat der dänische Ausnahmeregisseur unter Depressionen gelitten, als er die Werke dieser Reihe schuf (die anderen: „Antichrist“, „Melancholia“). Die Frage, ob diese Zuordnung zu Marketingzwecken lanciert wurde und in welchem Zustand der Depression ein Künstler in der Lage ist, sein Schaffen zu realisieren, kann dahingestellt bleiben. In allen drei Filmen wirkt Charlotte Gainsbourg als Darstellerin mit und kann als Muse des Dänen bezeichnet werden.
Nymph()maniac wurde nicht nur in zwei Teile geschnitten, sondern für das Kino – mit von Triers Zustimmung – auch insgesamt um ca. 1 ½ Stunden gekürzt. Herausgekommen ist eine Fassung, die für die deutsche Kinolandschaft die Einstufung FSK 16 und somit einen größeren Zuschauerkreis bedeutete. Ein Kinofilm ist eben auch ein kommerzielles Projekt. Darin scheint Lars von Trier nun gefangen zu sein. Das muss jedoch nicht zwingend zur Folge haben, dass das Gesamtwerk leidet, weil explizite Sex-Szenen entfernt werden und die Teile um sechs Wochen versetzt auf die Leinwand kommen.
Die Filme des dänischen Regisseurs verfügen über eine Erzählstruktur, die den Zuschauer emotional mitreißt und fassungslos werden lässt (z.B. „Dancer in the Dark“, „Antichrist“, „Melancholia“). Die Komposition der allmählichen Steigerung einer Negativ-Stimmung in ruhig erzählter Weise mit wenigen Schnitten und vielen Kameraschwenks bis zum drastischen Finale und der dramatisierenden Musikbegleitung hat bei von Trier eine ganz besonders meisterliche Qualität. Zwischenmenschliche Liebe wird dabei oft in ein unerträgliches Licht gestellt.
Und so gelingt es dem Dänen auch bei „Nymph()maniac“, die Blicke der Zuschauer auf die Leinwand zu bannen. Während bei „Dancer in the Dark“ die Kamera, unruhig schaukelnd, die Protagonistin nicht aus ihrem gläsernen Auge lässt, führt beim aktuellen Werk zunächst eine ausgeklügelte Kamerafahrt mit Rammstein-Musik in den Plot ein. Unaufgeregt erzählt Joe ihre Geschichte, begleitet von Bildern ihres überbordenden Sexlebens und dem Gespräch mit Seligman, der sexuell unerfahren ist und Vergleiche anstellt. Durch den sachlichen Meinungsaustausch erhält die Geschichte Hintergrund zugleich Tiefgang und fesselt den Beobachter. Charlotte Gainsbourg und Stellan Skarsgård spielen mit Hingabe und natürlicher Ausstrahlung ihre Rollen. Besonders beeindruckend sind auch Christian Slater als Vater von Joe und Uma Thurman als betrogene Ehefrau sowie Shia LaBeouf.
Was bei Teil I (Kapitel 1 bis 5) in von Trier-Manier noch gelingt, ist in Teil II (Kapitel 6 bis 8) jedoch weitgehend verschwunden. Der vordere Part trägt die Entwicklung der Joe von Kind auf und damit den chronologischen Vorteil einer Erzählung in sich. Dies nutzt von Trier typischweise auch hier, um - den Kinogänger längst in seinen Fängen wissend - auf ein bedrückendes Ende hinzuzusteuern, welches aber in Teilen eher überraschend kommt oder sich erst kurz vor Schluss erahnen lässt, zumindest die primitive Seite eines gebildeten Mann zeigt und Lars von Trier zum Feministen macht. Ebenso entsteht der Eindruck, dass diverse Szenen aus Teil II in Teil I besser untergebracht gewesen wären. Die Rückblenderei und der ungewohnt häufige Szenenschnitt hinterlassen etwas Zerfahrenes, nachträglich Komplettiertes und aus der Not des Filmvertriebs Geborenes. Befremdliche Gegebenheiten wie das Casting eines jungen Mädchens für ein Inkassobüro oder die Beschäftigung mit Fleming’s Bond und seinen Waffen wirken dann lediglich wie eingestreute eigenartige Mittel zum Zweck.
Unterm Strich steht ein sehenswerter Film von Lars von Trier, der über die Erzähldauer nicht die expressive Kraft der Vorwerke entwickelt.