Jim Jarmusch ist eine bedeutende Person des US-amerikanischen Independentfilms. Mit „Only Lovers Left Alive“ präsentiert er als Regisseur und Screenplay-Writer den Kinogängern ein Kunstwerk um Liebe und Lebensseelenlagen in der Vampirwelt. Der Film wurde 2013 für die Goldene Palme in Cannes nominiert und gewann den Preis der Jury beim spanischen Sitges-Filmfest.
Adam (Tom Hiddleston), ein Vampir im Detroit der heutigen Zeit, beschäftigt sich mit Experimentalmusik und sieht mit zunehmend depressiver Haltung in eine schwarze Zukunft. Die Menschen (hier Zombies genannt) richten aus Adams Blickwinkel ihre Welt zu Grunde. Demzufolge werde auch die Blutqualität schlechter. Adam besorgt sich Konserven (null negativ) aus dem Krankenhaus, damit er keine Menschen töten muss. Seine große Liebe und Ehefrau Eve (Tilda Swinton), ebenfalls Blutsaugerin, lebt in Tanger und bekommt „richtig gutes Zeug“ von ihrem Vampirfreund Marlow (John Hurt). Sie ist besorgt um Adam und besucht ihn. Nach einigen Tagen und Stimmungsbesserung funkt Eve’s junge Schwester Ava (Mia Wasikowska) dazwischen. Diese lebt sorglos in den Tag hinein und erhält daher keine Sympathien von Adam.
Jim Jarmusch macht sonderbare Filme mit Schwerpunkt auf die Entblätterung der Charaktere. Der bekannteste der letzten Jahre ist „Broken Flowers“ (2005) mit dem herrlichen Bill Murray als desillusionierter Mann auf der Suche nach seinem Kind. 2009 folgte „The Limits of Control“, der den Weg eines Auftragskillers zum Ziel erzählt, und zwar mit eigenartigen, wenigen Dialogen, dafür mit einer Fülle von Bildern und einer Vortragsweise, die weit weg vom Standard-Thriller liegt.
Jarmusch bedient sich gern eines bestimmten Umfelds, um seine Figuren zu präsentieren. War es bei „Dead Man“ (1995 mit Johnny Depp) der Western, ist es nun das Vampir-Milieu. Damit wird eine große Spielwiese von Bildern beschert, mit welchen Jarmusch offensichtlich Spaß hatte und der Zuschauer ebenfalls Spaß haben kann. Kern der gleichmäßig ruhig vorgetragenen Geschichte ist die Synthese der unterschiedlich gestimmten Wesen, die hunderte Jahre alt sind, über einen hohen Bildungsstand verfügen und gemeinsame, elitäre Prinzipien verfolgen, die dann letztendlich wegen Ausweglosigkeit über Bord geworfen werden.
Die Dialoge sind interessant abgeglichen, haben oft Diskussionscharakter und in vielen Szenen einen smarten Witz. Die schwarze Kleidung von Adam, der auch als Dr. Faust im Krankenhaus erscheint sowie die trostlose Umgebung von Detroit unterstützen seine depressiven Gemütszustände und Argumente genauso wie der Soundtrack und die von ihm eingespielte schräge Musik, die ohne Rückkopplungsquietscher seiner E-Gitarren nicht auskommt. Eve ist als lebensbejahendes Wesen in weiß gekleidet und schaut aus positiv strahlenden Augen.
Tom Hiddleston ist eine starke Besetzung für Adam. Der aus den Thor-Filmen bekannte Schauspieler (markante Rolle: Loki) hat schon einiges an Erfahrung bei Film- und TV-Produktionen gesammelt, auch wenn er ca. 20 Jahre jünger ist als seine Filmpartnerin Swinton. Den düsteren, trostlosen Blick von Adam verkauft er dem Zuschauer glaubhaft und beherrscht auch die Nuancen einer besseren Laune, wie es in den Filmen zuvor Bill Murray für Jarmusch konnte.
Tilda Swinton gehört als eine der besten Schauspielerinnen in der Branche quasi zum Jarmusch-Stammpersonal seiner letzten Filme („Broken Flowers“, „Limits of Control“). Oft spielt die Britin mit dem herbschönen Gesichtsausdruck wichtige Nebenrollen mit einer kalten Ausstrahlung, und dies mit außerordentlicher Klasse, z.B. als Hexe Jadis in den Chroniken von Narnia oder als gehässige Ehefrau Katie Cox in „Burn after Reading“ von den Coen-Brüdern. In „Only Lovers Left Alive“ verkörpert Tilda Swinton zwar auf den ersten Blick die bleiche Vampirdame, gibt ihr aber eine fein positive und auch warme Leuchtkraft. Der Kinobesucher kann sich gar nicht daran satt sehen und nimmt Eve ab, dass sie den schrecklichen Zustand von Adam vorübergehend aufhellen kann.
Die Australierin Mia Wasikowska ist ein aufsteigender Stern am Schauspielerinnenhimmel und hat nach ihrem Durchbruch mit dem australischen Spielfilm „Suburban Mayhem“ (2006 von Paul Goldman) in den letzten Jahren einige Akzente setzen sowie Auszeichnungen und Nominierungen erringen können (Alice in „Alice im Wunderland“, Joni in „The Kids are allrigt“). Insbesondere mit ihren (wie bei Swinton) ausstrahlungsstarken Augen kann sie wirkungsvoll Betroffenheit, Neugier und Genuss auf die Leinwand bringen. So auch als Ava, die ihre Jugend in Jarmuschs Inszenierung ausleben möchte.
Die Kamera schaut diesen Hauptfiguren gerne tief in die Gesichter und empfängt die in einfallsreichen Einstellungen und gefühlsbetontem Posing hervorragend von Jarmusch entwickelte Atmosphäre im Kaltwarmfarbenmix mit ihren Stimmungsphasen, die den Beobachter einnehmen, sodass dieser beim Trinkgelage gerne dabei wäre, wahrscheinlich mit anderem Glasinhalt und ohne Störung durch Apple Productplacement.
Dieser bewundernswerte Film läuft rund und ist ein Augen- und Ohrenschmaus mit einnehmendem Humor, nicht nur für Jarmusch-Geneigte.