Mehr als ein ganzes Jahrzehnt hat sich Regisseur Robert Zemeckis als Pionier des Motion-Capture-Films abgerackert. Vor allem mit „Der Polarexpress" hat der Oscar-Preisträger dabei wertvolle Grundlagenarbeit in der Computer-Animation von menschlichen Bewegungen und Gesichtszügen geleistet. Er setzte seine Innovationsoffensive mit „Die Legende von Beowulf" und „Eine Weihnachtsgeschichte" fort, wurde allerdings von Technik-Füchsen wie James Cameron im Lauf der Zeit rechts überholt. Nach dem katastrophalen Animations-Flop „Milo und Mars", den er als Produzent zu verantworten hatte, hat Zemeckis nun umgedacht und kehrt zum Realfilm zurück. Dabei gelingt dem Meisterregisseur („Zurück in die Zukunft", „Forrest Gump" „Contact") ein überzeugendes Comeback. Vor dem Hintergrund eines spektakulären Flugzeugabsturzes entwirft der Filmemacher in „Flight" ein großspurig-hochprozentiges Melodram, das von überragenden Darstellern, einer ungewöhnlichen, emotional packenden Geschichte und der inszenatorischen Klasse seines Regisseurs lebt.
Flugkapitän Whip Whitaker (Denzel Washington) genießt die Ausschweifungen des Lebens in vollen Zügen: Frauen, Alkohol, Drogen. Noch die Nacht vor einem Flug durchzecht er mit Kollegin Katerina (Nadine Velazquez), sternhagelvoll und zugekokst steuert der coole Profi seine Maschine auf einem Flug von Orlando nach Atlanta durch eine verheerende Schlechtwetterfront, so dass seinem unerfahrenen Co-Piloten Ken Evans (Brian Geraghty) die Blässe ins Gesicht steigt. Doch der wilde Rodeo-Ritt war nur der Anfang. Als das Flugzeug nach einem Knall dramatisch an Höhe verliert, scheint ein Absturz unvermeidlich. Mit einem Husarenmanöver gelingt Whitaker jedoch eine halbwegs kontrollierte Bruchlandung, bei der „nur" sechs der 102 Insassen ums Leben kommen. Er selbst überlebt leichtverletzt und wird zunächst als Held gefeiert. Doch nach einem Bluttest im Krankenhaus ist Whips Alkohol- und Drogenkonsum aktenkundig. Die Pilotengewerkschaft stellt ihm als Unterstützung seinen Freund Charlie Anderson (Bruce Greenwood) sowie den unterkühlt-cleveren Anwalt Hugh Lang (Don Cheadle) zur Seite, um die heikle Untersuchung der Luftfahrtkommission so gut wie möglich zu überstehen. Der Alkoholiker Whitaker schirmt sich zwar ab, aber lässt keineswegs die Finger von seinem ganz persönlichen Treibstoff. Weiter verkompliziert wird die Lage, als er sich in die Drogenabhängige Nicole (Kelly Reilly) verliebt...
Robert Zemeckis‘ glanzvolle Wiederauferstehung mit „Flight" ist äußerst smart eingefädelt. Das mit einem für Hollywood-Verhältnisse relativ bescheidenen Budget von 31 Millionen Dollar realisierte Drama hat zwar nur eine (sehr lange) Actionsequenz, aber die ist so unglaublich gut inszeniert, dass sich mit ihr prima werben lässt. Was der Zuschauer letztlich im Hauptgang geboten bekommt, ist dann allerdings ein kraftvolles Trinker-Drama, in dem der harte Alltag eines pathologischen Säufers trotz einiger launiger Schlenker lebensnah eingefangen wird. Zemeckis hat sein Gespür für die effektvolle Ansprache eines Massenpublikums nicht verloren und gibt einem Stoff, der sonst eher in der Arthouse-Problemfilmnische zu Hause ist, die Anmutung eines „großen" Hollywood-Films. Dabei ist insbesondere die verzwickte Konstellation der (fiktiven) Story ausgesprochen reizvoll: Wie ist mit einem Helden zu verfahren, der etwas Einzigartiges vollbracht hat, dabei aber indiskutabel unverantwortlich gehandelt hat? Niemand anderes als dieser Whip Whitaker hätte das Crashmanöver so glimpflich ausgehend hinbekommen, das macht ihn zum Lebensretter, aber auf der anderen Seite entsteht zugleich das Porträt eines selbstzerstörerischen und rücksichtslosen Mannes, der von düsteren Dämonen getrieben wird.
Obwohl die Geschichte von „Flight" fiktiv ist, bezieht sich Drehbuchautor John Gatins („Real Steel", „Coach Carter") lose auf zwei reale Vorbilder – zum einen auf das Leben des kanadischen Flugkapitäns Robert Piche, der 2001 einen Airbus 330 sicher notlandete, aber seinen Heldenstatus schnell aufgeben musste, weil die Presse anschließend in seinem chaotischen Privatleben marodierte. Und auch Whitakers sensationelles Flugmanöver, als er die Maschine kurz invertiert (Grüße an Tom „Maverick" Cruise in „Top Gun"), um den Absturz zu stoppen, gab es tatsächlich schon einmal. Allerdings hatte die Aktion damals keinen Erfolg: Flug 261 von Alaska Airlines krachte im Jahr 2000 ungebremst vor Los Angeles in den Pazifik - alle Passagiere starben. Nach dem fulminanten Auftakt - wahrscheinlich war noch nie ein so beklemmender fiktiver Flugzeugabsturz auf der Leinwand zu sehen - schaltet Zemeckis ohne Probleme vom Katastrophenfilm- in den Charakterdrama-Modus um und hält das Interesse trotz veränderter Ausgangslage hoch, weil er jede einzelne Szene bis an die Oberkante mit innerer Spannung auflädt. Nur die Auflösung der moralisch vertrackten Situation gelingt ihm nicht voll zufriedenstellend.
Beim Absturz leidet der Zuschauer förmlich physisch mit, aber auch im weiteren Verlauf wird er emotional stark gefordert. Regie-Schlitzohr Zemeckis überschüttet seinen (Anti)-Helden Whip Whitaker zwar mit Problemen gröbsten Kalibers, gemeinsam schaffen es der Filmemacher und sein Hauptdarsteller aber, einen komplizierten und durchaus unsympathischen Mann zur Identifikationsfigur zu machen, mit der man gerne mitfiebert. Der wie immer famose Denzel Washington („Training Day", „American Gangster") umschifft souverän alle Klippen des Trivialen und überspielt diverse Ansätze zum Plakativen mühelos. Seine mitreißende und charismatische Darbietung ist der Dreh- und Angelpunkt des Films. Unterstützung erhält Washington von einer vorzüglichen Nebendarstellerriege, von der John Goodman („The Big Lebowski") als Pusher im Paradiesvogelformat die schillerndsten Auftritte hat, gegen die die zurückhaltend, aber präzise agierenden Bruce Greenwood („Thirteen Days"), Don Cheadle („Boogie Nights") und Kelly Reilly („Sherlock Holmes") keineswegs abfallen. Vor allem Reilly beeindruckt als heroinabhängige Nicole mit einer leise nuancierten Darbietung und ist damit das ideale Gegengewicht zum Zampano Washington.
Fazit: Mit dem packenden Drama „Flight" kehrt Regisseur Robert Zemeckis auf die Realfilm-Bühne zurück, die er im Jahr 2000 mit seinem Welterfolg „Cast Away - Verschollen" verlassen hatte. Das smarte Schuld-und-Sühne-Melodram ist unerhört intensiv, emotional einnehmend und formal brillant.