Die Filmbranche ist schnell mit ihren Urteilen und Vergleichen und als ein junger Brite 1998 eine kleine genial-dreckige Gangsterkomödie voller gefährlicher, durchgeknallter, skurriler und dämlicher Möchtegern- und echten Ganoven inszenierte konnte schon bald niemand mehr seinen Namen sagen, ohne einen Zusatz wie „Englands Antwort auf Quentin Tarantino“ anzuhängen. Ein paar Jahre später wurde daraus „der Ehemann von Popgöttin Madonna“ und man möchte sie alle packen und schütteln, die es nicht fertig bringen, diesen ungemein talentierten und eigenständigen Regisseur einfach GUY RITCHIE zu nennen. Denn schon sein besagtes Regiedebüt „Lock, Stock & Two Smoking Barrels“ (oder „Bube, Dame, König, GrAs“) ist nicht Tarantino, ist schon gar nicht Madonna, es ist RITCHIE! Und großartig so.
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Die Kumpel und Kleinstganoven Eddy, Tom, Bacon und Soap haben 100.000 britische Pfund zusammengekratzt, um dem kartenbegabten Eddy die Teilnahme an einem Pokerturnier von Pornokönig „Hackebeil“ Harry zu ermöglichen. Doch Harry zockt Eddy mit miesen Tricks böse ab und statt des großen Gewinns steht das Quartett auf einmal mit einer halben Millionen Schulden da, die Harry innerhalb von sieben Tagen beglichen haben will. „Hackebeil“ indes hat es nebenher auf zwei antike Gewehre abgesehen, während Eddy Morgenluft wittert, als er seine Nachbarn belauscht. Die wollen nämlich einen Haufen harmloser Kiffer um deren Erlöse aus dem Grasanbau erleichtern. Als schließlich alles zueinander findet herrscht Hochbetrieb in Londons Leichenschauhäusern…
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Den Inhalt von „Bube, Dame, König, GrAs“ kann man kurz anreißen oder ihn ausführlich nacherzählen, alles an drastisch-aberwitzigen, aber stets nachvollziehbaren Wendungen, vor Dialogwitz und visuellem Einfallsreichtum berstenden Szenen und herrlich auf- und abgedrehten Charakteren könnte man so oder so nicht unterbringen. Dabei schafft es Regisseur und Autor Guy Ritchie nicht nur, mit prägnanten Namenskreationen wie Barry The Baptist, Nick The Greek oder Hatchet („Hackebeil“) Harry auf seine Figuren aufmerksam zu machen, er führt beinahe ausnahmslos jeden von ihnen absolut genial in den Film und die verwinkelte Geschichte ein, jeder bekommt seine Szene, seine Erklärung, seinen ganz eigenen, denkwürdigen Moment. Dabei siegt die Durchdachtheit des Drehbuches über den Selbstzweck: wenn Harry einen Betrüger mit einem Gummidildo zu Tode prügelt, oder der Geldeintreiber Big Chris mit Sohnemann Little Chris einem solariumsgebräunten Schuldner auf der Sonnenbank die letzte Warnung überbringt, sind das nicht einfach mit Berechnung auf den skurrilen Gag getrimmte Momente. Ritchie bindet diese Absurditäten mit derart sicherer Hand an die Figuren, dass sie innerhalb des Milieus, das er entwirft, voll funktionieren und tatsächlich beim Erzählen der Geschichte und Ausdeuten der Charaktere hilfreich sind. Selbst bei der Fülle an handelnden Personen und Subplots bleibt bei dieser Ausprägung immer die Übersicht erhalten, so dass man, stünde man selbst neben einer der Figuren, stets wüsste, warum man sich mit ihr besser nicht anlegen sollte oder wen man mit ein bißchen Geschick locker über’s Ohr hauen könnte.
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Bei allen Wendungen und Drehungen, die die Story während der Anderthalbstunden nimmt, hält Ritchie den Zuschauer immer auf genau dem Stand, auf dem er ihn halten will, wobei ab einem gewissen Punkt ein fliegender Wechsel stattfindet. Zunächst ist man aufgrund der schieren Fülle des Geschehens ein wenig hinten dran, ehe man jeden und alles zu positionieren weiß und schließlich sämtlichen Figuren einen Schritt voraus ist. Aus beiden Ausgangslagen zieht Ritchie ungeheure Reize. Was mit der Selbstüberschätzung Eddys, Toms, Bacons und Soaps beginnt, die sich eindeutig mit einer zu großen Nummer der Londoner Unterwelt angelegt haben, und damit in den Thrill übergeht, wie die vier sich wohl vor der standesgemäßen Gliedmaßenamputation durch „Hackebeil“ Harry retten können, mündet mit der Zusammenführung ihres Problems und den bis dahin nebenherlaufenden Handlungssträngen um zwei antike Schießgewehre und einen ganzen Haufen Gras und Scheine in einem Hagel aus Blei, Blut und Twists im Sekundentakt. Annähernd niemand blickt zum Schluss noch durch, was eigentlich abgeht, wer wen warum abknallt und in wessen Auftrag, einzig der (aufmerksame) Zuschauer hat den Durchblick und kann sich auf’s köstlichste über dieses tiefschwarzhumorige Getümmel amüsieren, aus dem kaum jemand heile herauskommt.
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Obwohl die Rollen der vier Hauptdarsteller bodenständiger angelegt sind (wodurch aber sehr glaubhaft wird, wie hoffnungslos sie sich übernommen haben und nun immer weiter verzetteln), benötigt man für eine solche Ansammlung von Originalen natürlich entsprechendes Schauspielerpersonal und hier kann Ritchie auf einen wahrlich beachtlichen Fundus an Visagen zurückgreifen. Ob der 1998 an Krebs gestorbene ehemalige bareknuckle fighter Lenny McLean als zürnender Barry The Baptist, Ex-Fußballrüpel Vinnie Jones als cooler Big Chris und nicht zuletzt Musikergröße Sting, wohl der Coup des Cast, als Eddys Vater, der um seine Bar fürchtet und den Leichtsinn seines Sohnes verdammt, jeder wird seiner kauzig-überhöhten Figur mehr als gerecht, ohne dass selbst Knallchargen wie die Diebe Gary und Dean, gespielt von Victor McGuire und Jake Abraham, oder Drogenbaron Rory Breaker (Vas Blackwood) ins lächerliche oder parodistische abrutschen.
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Guy Ritchie hat mit „Bube, Dame, König, GrAs“ ein völlig zu Recht in Richtung Kult gewachsenes Erstlingswerk und einen der Höhepunkte des britischen Gangsterkinos abgeliefert. Sein Buch ist so clever, wie es zum Teil zum Brüllen komisch ist, seine Bildsprache, unterstützt durch die bemerkenswerte Arbeit von Kameramann Tim Maurice-Jones und Cutter Niven Howie, wirkt jederzeit methodisch einwandfrei, alle verwendeten Techniken und Elemente, wie SlowMo’s, Zeitraffer, Freezeframes, Splitscreens…, greifen schlüssig ineinander. Vor allem verliert Ritchie über all die Mätzchen (die in ihrer hier angewandten Ausgefeiltheit natürlich viel mehr als das sind) nie die Geschichte und das Milieu aus den Augen, alles, jeder Schnitt und Kamerawinkel, jeder Off-Kommentar und jeder Einsatz des hervorragenden Soundtracks sitzt zum Zweck der Atmosphäre genau dort, wohin er gehört. Dazu gehört auch die nicht gerade zimperliche Gewaltdarstellung, wobei Ritchie es nie direkt einfängt, wenn Zehen abgeschossen und Schädel mit der Autotür zerdroschen werden. Das ist sicher in seinen Zutaten dem von vielen als Meister betitelten Quentin Tarantino nicht unähnlich – aber von dem soll jetzt hier gar nicht wieder angefangen werden, denn der Name ist RITCHIE, GUY RITCHIE!
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komplette Review siehe: http://christiansfoyer.wordpress.com/2010/01/25/classic-bube-dame-konig-gras/