[...]Fetischisiert wird Emily Browning von Beginn an, Lucys ertragsschwache Nebenjobs werden wie Themenzimmer in einem Puff vorgestellt, lange bevor sie sich offiziell dem Geschäft mit der Lust widmet: Deep Throating in der pharmazeutisch-forschenden Variante, kurz berockte Schuluniform, vorn übergebeugte Tischputze, die Andeutung einer Aisan Lesbian-Nummer in einer Klokabine und natürlich das Münzwurfspielchen mit einem sexwilligen Anzugträger. Zahl später, Kopf sofort. Selbst als Lucy von ihren Mitbewohnern zur Mietzahlung aufgefordert wird endet das auf Knien, nämlich beim Fliesen schrubben im Bad, von Anfang an und in jeder der ersten aufeinanderfolgenden Szenen wird Brownings Figur in Diensten stehend gezeigt, irritierend unterwürfig und doch nicht Opfer, devot und irgendwie doch selbstbestimmt, bewusst und willentlich unterdrückt und vor allem: ohne persönliche Deduktion. Lucy befriedigt nicht ihre eigenen Gelüste, lebt diese aber bedenkenlos aus, außer der Langeweile entsteht in ihr kein Konflikt gegenüber ihren Tätigkeiten, kein morgendlicher Gram nach Fick mit Unbekannt, der Pragmatismus des Geldes und und eine undefinierte Gleichgültigkeit, sich Situationen hinzugeben, wie sie kommen.[...]
[...]Zeigt Regissuerin und Autorin Julia Leigh also eine Nihilistin auf unbeirrter Irrfahrt durch ethisches Grauland? Nein. Viel zu konkret. Das ungewöhnlichste oder gar befremdlichste Merkmal von „Sleeping Beauty“ ist sicher seine Positionslosigkeit, der Verzicht auf jedwede Form der Stellungnahme. Wird man da nun Zeuge einer Perversion, wenn Lucy später in Dessous, deren Blütenweiße sich kaum von ihrer Porzellanhaut unterscheidet, und mit ihren barbusigen Kolleginnen alte Herren bedient (mit Getränken und Speisen wohlgemerkt), oder wenn die selben Männer die bewusstseinsberaubte Lucy bekuscheln, betatschen, ablecken und etwas Verborgenes, Zurückgehaltenes an ihr ausleben? Vielleicht, aber eigentlich nicht, denn „Sleeping Beauty“ ist ein Film ohne jede Ästhetik und damit ist nicht zuvorderst gemeint, dass sich hier Männer weit jenseits der Sechzig bis auf den Schrumpelschniedel entblößen. Der Film ist nicht erotisch und er ist nicht abstoßend, er äußert sich zu nichts und folgt überhaupt keinem dramaturgischen Schema, aus dem heraus er irgendeinen Reflex beim Zuschauer anschlagen könnte, die Situationen in Stellvertreterrolle Lucys einzuordnen und auf ein Erwachen ihrerseits zu hoffen. „Sleeping Beauty“ ist eine unkommentierte Szenenfolge von Minute Eins bis Minute Einhundertzwei, die selbst keine Schlüsse zieht und kaum welche zulässt.[...]
[...]Wenngleich klar aufgestellt und oft den immer gleichen Platz einnehmend legt die wie zufällig anwesend wirkende Kamera nahe, dass es sich bei Kameramann Geoffrey Simpson um eine Schildkröte oder eher noch eine Schnecke handeln muss, mit kriechtierischer Bedächtigkeit bewegt er, wenn überhaupt mal, sein Werkzeug und mit dem Unverständnis und dem Desinteresse für das Treiben der Menschen beglotzt er es. Die Namen von Trier und Lynch liest man hier und da im Zusammenhang und zum Vergleich mit Julia Leighs „Sleeping Beauty“. Aber wo offenbart sich im Regiedebüt der Australierin der Schleier der Metaphorik, wo lässt ihr Werk Interprattionsspielraum, wo erzeugt es das Gefühl, dass es hier zumindest irgendetwas über gezeigtes Bild und gesprochenes Wort hinaus zu verstehen gibt? Nirgends. „Sleeping Beauty“ ist ein Film, der im Nichts seiner Selbst beginnt und endet, als gäbe es keine Welt jenseits des Bildausschnitts, als würden sich die Figuren in den gedehnten Wide Shots durch regungslose Momente, einen allgegenwärtigen und nur sie selbst unberührt lassenden Stillstand bewegen. „Sleeping Beauty“ dauert weit weniger lange, als er sich anfühlt, nichtmal die Halbstundenmarke ist überschritten, wenn das Gefühl aufbricht, einen ermattenden Dreistünder in den Knochen und Sehnerven zu haben.[...]
[...]Und heißt das nun in klaren Worten und endgültigem Werturteil, „Sleeping Beauty“ sei ein schlechter Film? Nein. „Sleeping Beauty“ ist ein Faszinosum, ein Film, den zu sehen sich so wenig lohnt, wie er Zeitverschwendung ist, der einen nicht mit Frage- oder Ausrufezeichen zurücklässt, sondern mit den drei Punkten der Unbestimmtheit, die in irgendein offengelassenes Nichts ohne Ende führen, in dem er, wie oben gesagt, eben auch begonnen hat. Ein Film, bei dem sich eine leicht adjustierte Umbenennung in „…Sleeping Beauty…“ empfiehlt. »You’ll go to sleep. You’ll wake up. It’ll be as if those hours never existed.« So beschreibt Club-Chefin Clara Lucys Job und so ist auch der Film, der keine formellen Standarts erfüllt, sich Vergleichbarkeiten konsequent entzieht und damit keinen Maßstab an sich anlegen lässt.[...]
komplett: http://christiansfoyer.de/2012/03/10/review-sleeping-beauty/