Bereits 2000 veröffentlichte Wladimir Kaminer „Russendisko", eine Sammlung autobiografisch eingefärbter, aber ansonsten unverbundener Kurzgeschichten, in denen er auf amüsante Weise von ganz unterschiedlichen Erlebnissen rund um die Emigration von Russland nach Deutschland erzählte. Obwohl das Buch schnell zum Bestseller avancierte, ließ eine Verfilmung über zehn Jahre auf sich warten. Der Grund: Produzent Christoph Hahnheiser wollte zwar schon früh einen Kinofilm aus Kaminers Vorlage machen, aber er wusste lange nicht wie. Zahlreiche Drehbuchautoren, darunter Hahnheiser und schließlich sogar Kaminer selbst, versuchten vergeblich, die zahlreichen Episoden der Vorlage zu einer stringenten Filmhandlung zu verdichten. Erst „Friendship!"-Autor Oliver Ziegenbalg kam auf die einfache Idee, die Episodenstruktur komplett über Bord zu werfen und erfand als neues Grundgerüst die Geschichte dreier Freunde, die zur Wendezeit aus Russland nach Berlin kommen. Diesen Rahmen füllte er mit Ideen und Themen, Einzelheiten und Figuren aus Kaminers Buch. So wird aus „Russendisko", mit dem Ziegenbalg zugleich sein Regiedebüt gibt, eine sympathisch-nostalgische Einwandererkomödie, die vor allem dank ihrer charmanten Hauptdarsteller und trotz einer bisweilen arg bemühten Inszenierung kurzweilige Unterhaltung bietet.
In den Zeiten von Glasnost und Perestroika erkennt Vater Kaminer (Rainer Bock), dass sein Sohn Wladimir (Matthias Schweighöfer) in der zusammenbrechenden Sowjetunion keine Zukunft haben wird. Daher empfiehlt er seinem Sprössling nach Deutschland auszuwandern, der dortige Sozialstaat sei genau das richtige Pflaster für lebenslustige junge Menschen wie Wladimir und seine besten Kumpel Mischa (Friedrich Mücke) und Andrej (Christian Friedel). Da die in der Abwicklung befindliche DDR eine unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis an russische Juden vergibt, dürfen Wladimir und Andrej sogar für immer bleiben. Schnell entpuppt sich Berlin im Sommer 1990 für die Einwanderer als der erhoffte Traum. Der schwermütige Andrej kommt auf die zündende Idee mit dem Verkauf von Dosenbier das nötige Kleingeld zu verdienen und Mischa träumt von einer Karriere als Musiker. Wladimir hat keinen Schimmer, was er machen soll, aber nachdem er zum ersten Mal Olga (Peri Baumeister) sieht, weiß er immerhin, wen er mal heiraten will. Doch dann läuft Mischas auf drei Monate begrenzte Aufenthaltserlaubnis ab und die Polizei sitzt den Jungs im Nacken. Wladimir hat die Lösung parat: Mischa soll Olgas bester Freundin Hanna (Susanne Bormann) den Hof machen und sie dazu bringen, ihn zu heiraten. Schließlich hat sie sich längst in den gutaussehenden Musiker verliebt...
Regisseur Oliver Ziegenbalg hat eine Trumpfkarte und spielt sie konsequent immer wieder aus: die hervorragende Chemie zwischen den Darstellern. Matthias Schweighöfer („Rubbeldiekatz") und Friedrich Mücke („Die Farbe des Ozeans") harmonierten schon in „Friendship" als allerbeste Freunde, die es nach dem Zusammenbruch der DDR in die USA verschlägt, prächtig und Christian Friedel („Das weiße Band") erweist sich als perfekte Ergänzung. Die Zuneigung und die Vertrautheit zwischen dem Dauer-Optimisten Wladimir, dem leidenschaftlichen Musiker Mischa und dem grüblerischen Andrej sind in jeder Sekunde zu spüren. Wenn die drei losziehen und eine Party nach der anderen feiern, überträgt sich der Spaß auf den Zuschauer. Peri Baumeister („Tabu - Es ist die Seele ... ein Fremdes auf Erden"), Susanne Bormann („Fleisch ist mein Gemüse") und Pheline Roggan („Soul Kitchen") als Jungenschwarm Helena sorgen im Freundschafts- und Liebesreigen für die weibliche Note, wobei die letztgenannte gegenüber den anderen fünf etwas abfällt. Das liegt aber weniger an der hervorragenden Darstellerin als an ihrer unnahbaren Figur, die dann im Verlauf des Films auch immer stärker in den Hintergrund rückt.
„Russendisko", früher nannte man so jene Diskotheken, in denen hauptsächlich Russen und andere ehemalige Sowjetbürger tanzten und wilde Partys feierten, Leute wie Wladimir und seine Freunde also. Diese Feierlaune wird im Film auf geradezu ansteckende Weise lebendig, bei jeder Gelegenheit wird hier ein Fass aufgemacht und die Musik aufgedreht, nicht nur bei den titelgebenden Russendisko-Abenden. Die mitreißende Dynamik und den Schwung der Partyszenen erreicht Oliver Ziegenbalg im übrigen Film allerdings nur selten. Der Autor, der nach dem Abgang des eigentlichen Regisseurs Oliver Schmitz („Geliebtes Leben") wegen „kreativer Differenzen" erst während der Dreharbeiten auch den Regieposten übernahm, verkalkuliert sich bei seiner neuen Aufgabe zuweilen. Einige der immer wieder eingeschobenen verschrobenen Nebenhandlungen und Abschweifungen kippen durch seine forcierten Stilbrüche ins Effekthascherische. An solchen Stellen ist Ziegenbalgs selbsterklärtes Vorbild „Die fabelhafte Welt der Amelie" dann auch oft allzu offensichtlich. Und so wirkt dann etwa die Bebilderung von Olgas Hintergrundgeschichte als Zeichentrickcomic abgeschmackt statt originell. Einige Ideen zünden allerdings auch, so wie bei den absurden Tipps des russischen Radiodoktors (gesprochen von Autor Kaminer) oder beim amüsanten ersten „Gespräch" zwischen Wladimir und Olga mittels unter der Tür durchgeschobener Zettel.
Der Zauber von Jean-Pierre Jeunets „Amélie" ist nicht unwesentlich auf sein poetisch überhöhtes Bild von Paris zurückzuführen – ein Traum von einer Stadt und ein märchenhafter Schauplatz. Auf dieser Ebene kann Ziegenbalg dem französischen Kultfilm nicht nacheifern, denn bei ihm sind Handlungsort und -zeit sehr real, „Russendisko" ist eben kein Märchen. Das erweist sich für die Produktion als beachtliche Herausforderung, schließlich hat sich kaum eine europäische Stadt so sehr verändert wie Berlin in den vergangenen zwanzig Jahren und geeignete Originalschauplätze gibt es nur noch wenige. So kommt das atmosphärische Flair der Stadt in den frühen Neunzigern etwas kurz, auch wenn die Ausstatter ganze Arbeit geleistet haben.
Fazit: „Russendisko" ist eine charmante Komödie, die vor allem durch ihr prächtig harmonierendes Hauptdarsteller-Trio überzeugt. Oliver Ziegenbalg hat eine freie und eigenständige Bearbeitung von Wladimir Kaminers Bucherfolg vorgenommen, dennoch fängt er seine Stimmung trotz einiger inszenatorischer Patzer gut ein.