Das Schiffsradar piepst alarmierend. Kapitän Phillips identifiziert ein abgenutztes Schnellboot durch das Fernglas – und hat Angst, denn er weiß, was passieren wird. Piraten steuern in Rasanz auf das US-Containerschiff zu und schießen wild auf die Maersk Alabama. In ihrer Nussschale liegt eine Leiter, die sie versuchen an der Schiffsrehling festzuhaken. Die Leiter sitzt. Fest. Einer nach dem anderen klettert daran hoch, augenblicklich stehen sie vor Phillips. „Sieh‘ mich an!“, fordert der somalische Anführer Abduwali Abdukhadir Muse mit bedrohlichem Blick. „Sieh‘ mich an! Ich bin jetzt der Käpt‘n!“
Phillips und die Piraten machen einen Deal: 30.000 Dollar und das Rettungsboot mit dem sie verschwinden. Muse reagiert blitzschnell, denn plötzlich befinden sich die Somali auf freier Fahrt auf hoher See – mit Phillips als Geisel, eingezwängt in klaustrophobischer Enge.
Der Regisseur Paul Greengrass ist seit seinem Film Bloody Sunday (2002), ein Film über den irischen Blutsonntag vom 30. Januar 1972, bekannt für Politthriller, die sich auf reale Begebenheiten stützen. Auch dieser Film, Captain Phillips, basiert auch einer wahren Geschichte: Somalische Piraten überfallen im April 2009 das Frachtschiff Maersk Alabama, das von Oman nach Mombasa das Horn von Afrika, Piratengewässer, passieren muss. Der Kapitän Richard Phillips hat das autobiographische Buch „Höllentage auf See“ darüber verfasst, denn er kam mit seinem Leben davon. Nicht so wie die anderen 62 der 2000 Seeleute, die zwischen 2009 und 2012 Geiseln der Piraterie wurden.
Nichts wird verschönt, es ist ein schnörkelloser Thriller. Es gibt keine Nebenhandlungen, der Regisseur visualisiert das reine, unpolierte Ereignis – die gewaltsame Geiselnahme Phillips auf dem Meer – und aggressiven Nervenkitzel; ohne übertriebene, lächerliche, ohne künstliche, fehl am Platz wirkende Action. Im Fokus steht das Wesentliche, aber mit einer so hochspannenden Intensität, das es den Atem raubt, denn die Piraten sind undurchschaubar. Die Farben sind blass, sie wirken als wäre das Leben aus ihnen herausgesaugt worden, die Aufnahmen sind dokumentarisch, und manchmal so schnell und durcheinander, als würde der Film außer Kontrolle geraten. So wie die fünf Gestalten im Rettungsboot es tun.
Die Piraten sind permanent überfordert und paranoid. Muse ermutigt sich selbst: „Alles wird gut.“ Das bedeutet so viel wie: Nichts ist gut. Nichts wird gut. Es bleibt ein Zwei-Mann-Kampf: Muse gegen Phillips. Er verweigert Phillips das Trinkwasser und hält ihm die Waffe an die Schläfe, lächelt gefährlich dabei, spart nicht mit Morddrohungen. Er knallt durch und die Piraten eskalieren unter einander. Nach und nach werden die Nerven des Kapitäns zermürbt bis er nur noch von nackter Todesangst zerfressen wird. Jede Bewegung seiner Pupillen, jede Silbe, jedes schmerzhafte Aufstöhnen kauft man Tom Hanks ab. Er und Kapitän Phillips sind eins – die Geisel der Somali –, denn jede von Hanks Bewegungen und Gesichtsausdrücken und insbesondere seine Augen – durch die man bis ins Gehirn schauen und die Furcht spüren kann – sind so klar, dass sie keine Sekunde an der Authentizität des Charakters Zweifel aufbringen. Hanks trägt den Film.
Im Film – so wie auf dieser Welt – zeichnen sich die Gegensätze scharf und in einer unbegreiflichen Gewaltsamkeit ab. Es ist nicht nur ein Film, es ist die Verzahnung von Film und Wirklichkeit, ein Verweben von Tatsachen und Filmaufnahmen ineinander. Die abgemagerten Somali haben schlechte Zähne und tragen zerlumpte Kleidung. Sie haben nichts – außer Waffen, die töten können. Genau das macht die Gefahr aus: Sie haben nichts zu verlieren. Phillips aber ist ein alltäglicher Mann mit Familie, einer ihn liebenden Frau und Kindern, er trägt eine Brille, einen grauen Bart und stammt aus der Nation, die sich Fortschritt und Macht auf die Flagge geschrieben haben. Die USA und die United States Navy SEALs nehmen in diesem Kontext eine sehr überwältigende Stellung ein. Sie eilen mit drei Kriegsschiffen zur Hilfe: dem Zerstörer USS Bainbridge, der USS Boxer und der Fregatte USS Halyburton. Sie wirken wie die Götter des Meeres und hier vollzieht sich der Höhepunkt des ungleichen Kampfes zwischen der US-amerikanischen Macht, der kühlen, militärischen Präzision und der Not der barfüßigen somalischen Armen. Der Film ist Abbild der Asymmetrie von Arm und Reich, Kontrolle und Kraftlosigkeit.
Am Ende bleiben das Gefühl der Erleichterung und der Wunsch nach einem Happy End aus. Eigentlich bleibt auch der Wunsch danach aus, denn die Grausamkeit des Films fordert nach einem angemessenen, der Grausamkeit würdigendem Ende. Tom Hanks zittert und liegt nervlich am Boden. Der Film geht tief unter die Haut – und hinterlässt Schock, Einsamkeit und Unfassbarkeit. Es ist schier unerträglich.