„Man muss stark sein, um da draußen zu überleben.“ – Was Captain Phillips zu Beginn des gleichnamigen Films ganz allgemein über das Leben in der modernen, globalisierten Gesellschaft sagt, bewahrheitet sich für ihn selbst bald auf äußerst konkrete und dramatische Weise: Auf dem Weg nach Mombasa überfallen somalische Piraten sein amerikanisches Frachtschiff Maersk Alabama. Um seine Crew zu schützen, die sich im Maschinenraum versteckt hält, bietet sich der Kapitän als Geisel für ihre Lösegeldforderungen an und verlässt im Rettungsboot mit den Piraten das Schiff. Als dann noch die US Navy hinzukommt, um ihn zu retten, entsteht eine gefährliche Pattsituation auf dem Meer - bei der nicht nur Phillips um sein Leben kämpfen muss.
Dass Regisseur Paul Greengrass, international bekannt seit seinem Film „Die Bourne Verschwörung“ im Jahr 2004, mit „Captain Phillips“ erneut eine packende Mischung aus Thriller und zeitgeschichtlichem Dokudrama präsentieren würde, war vorherzusehen. Sein Talent für die spannende Verfilmung brisanter politischer Themen hat der ehemalige Journalist und Dokumentarfilmer mit Filmen wie „Bloody Sunday“ oder „Flug 93“ bereits mehrfach unter Beweis gestellt. Auch die Handlung von „Captain Phillips” beruht auf wahren Ereignissen: Die spektakuläre Geiselnahme fand im April 2009 tatsächlich so statt. Hinzu kommt auch hier ein hochaktuelles, politisch-soziales Hintergrundthema: Das Wesen unserer globalisierten Welt.
„Die Schönheit dieser Geschichte liegt darin, dass alle finanziellen und wirtschaftlichen Kräfte am Ende auf zwei Personen heruntergebrochen werden“, sagt Greengrass in einem Interview mit . Da ist zum einen Captain Richard Phillips, brilliant dargestellt von Oscarpreisträger Tom Hanks in seiner Paraderolle des einfachen Mannes, der angesichts großer Herausforderungen heldenhaft über sich hinauswächst. Ihm gegenüber steht Muse (Barkhard Abdi), Anführer der vier somalischen Piraten, die das Schiff überfallen. Zwei Kapitäne, die auf den ersten Blick unterschiedlicher kaum sein könnten: Phillips, besonnen, pflichtbewusst, zivilisiert, und dabei der Inbegriff amerikanischen Heldentums. Muse, wild, fremd, gefährlich, schlau, und mit dem Mut der Verzweiflung.
Erste Welt gegen Dritte Welt - hier prallen die krassesten sozialen Gegensätze knallhart aufeinander, das prägt den ganzen Film und zeigt sich mit ungeheurer Wucht in vielen Szenen. Ein winziges, schrottreifes Motorboot nimmt es mit einem riesigen, vollbeladenen, modernen Containerschiff auf. Schmutzige, dürre, zerlumpte Schwarze bedrohen gepflegte, wohlgenährte Weiße. Die volle Kampfkraft der US Armada samt Kriegsschiffen, Hubschraubern und modernster Computertechnik richtet sich tödlich präzise gegen vier chaotisch agierende Fischer-Piraten mit Gewehren in einem gekaperten Rettungsboot. Und über allem schwebt die Angst.
Die so entstehende filmische Intensität verstärkt Paul Greengrass noch durch den dokumentarischen Charakter, den er seinem Werk verleiht. Dazu trägt die für seine Thriller charakteristische, unruhige Kameraführung ebenso bei wie die physische Präsenz der Szenen - drei Viertel des Films wurden auf offener See gedreht. Musik wird selten eingesetzt. Die Somalier sind Laienschauspieler, was die Authentizität ihrer Figuren erhöht, wenn man auch nicht ganz darüber hinwegsehen kann, dass Muses Figur im Vergleich zu Phillips´ nur oberflächlich ausgearbeitet ist und man enttäuschend wenig über seine Hintergründe erfährt. Auch wenn Greengrass behauptet, beide Seiten gleichermaßen beleuchten zu wollen, konzentriert sich der Film vor allem gegen Ende doch sehr überwiegend auf die amerikanische. Das ist schade, denn das kennt man von Hollywood bereits zur Genüge.
Immerhin wird kein plattes Gut-gegen-Böse-Schema vorgeführt. Bei aller Gegensätzlichkeit der beiden Kapitäne gibt es doch seltene Momente des gegenseitigen Verständnisses. Denn letztendlich sind sie beide nur Menschen in einer verzweifelten Situation, und dabei hilflos Mächten ausgeliefert, auf die sie keinen Einfluss haben. Phillips´ Schicksal ist vollkommen abhängig vom Verhalten der Navy. Muse wird durch die Überfischung der Meere und somalische Warlords zur Piraterie gezwungen. „Es muss doch was anderes geben als Fischer sein und Menschen entführen“, sagt Phillips zwar. „Vielleicht in Amerika“, antwortet Muse. Trotzdem glaubt er bis zuletzt, dass alles gut wird.
„Captain Phillips“ ist ein hochspannender Thriller, der durch eine außergewöhnliche wahre Geschichte, intelligente Gestaltung und einen großartigen Tom Hanks überzeugt. Ein Film, der unter die Haut geht und lange dort bleibt.