Schon der Titel dieser Rap-Komödie mit Gutbürgerschreck Sido in der Hauptrolle birgt die erste Wahrnehmungsfalle: „Blutzbrüdaz", das mag für viele zunächst einmal sehr gewollt und nach Pseudo-Slang klingen, dazu irgendwie machohaft oder schlicht doof - aber alle diese Einschätzungen erweisen sich als voreilige Fehlschlüsse, denn dieses „Blutzbrüdaz" entpuppt sich als pure Selbstironie. „Chiko"-Regisseur Özgür Yildirim bringt eine sympathische Komödie mit erstaunlicher Gagdichte an den Start und Sido überzeugt mit einem ebenso angenehmen wie lustigen Auftritt, der meilenweit entfernt ist von der schauspielerischen Totalblamage, die sein Ex-Erzfeind Bushido in Uli Edels unfreiwillig komischem Biografie-Drama „Zeiten ändern dich" erlebte. Das liegt vor allem daran, dass Sido sich im Gegensatz zu seinem Kollegen und Integrations-Bambi-Preisträger eben nicht allzu ernst nimmt. Erst gegen Ende von „Blutzbrüdaz" verheddert sich Regisseur Yildirim in den Fallstricken einer 08/15-Dramaturgie, wodurch der Film auf der Zielgerade einiges an Schwung verliert.
Das Jahr 2000: Die beiden Berliner Tagediebe Otis (Sido) und Eddy (B-Tight) sind Freunde fürs Leben und träumen von einer großen Karriere als Rapper. Leider fehlen ihnen aber die Kontakte in die Szene, und dann bekommt Otis bei einem Freestyle-Battle auch noch verbal den Hintern versohlt. Erst als die beiden den Club-Besitzer Fusco (Milton Welsh) von ihrem Talent überzeugen, kommt der Stein ins Rollen und sie sollen ein Demotape aufnehmen. Das stellt das Duo vor neue Probleme, denn Otis und Eddy besitzen für eine auch nur halbwegs professionelle Aufnahme nicht die passende Ausrüstung. Am Ende brauchen sie ein gerüttelt Maß an krimineller Energie und die Hilfe von Otis‘ altem Schulfreund Adal (Alpha Gun), um an die standesgemäße Technik zu kommen. Der umtriebige Adal ist es auch, der das Duo mit dem Sony-Plattenproduzenten Facher (Tim Wilde) bekannt macht. Die Probeaufnahmen der Blutzbrüdaz, wie sich Otis und Eddy nennen, sorgen für Aufsehen in der Rapperszene und bringen ersten Erfolg. Die zwei machen Fusco zu ihrem Manager, doch bald sticht Facher seinen Konkurrenten aus und nimmt die Blutzbrüdaz für den Plattenmulti Sony unter Vertrag. Das stellt die Freundschaft von Otis und Eddy auf eine harte Probe...
Ähnlich wie die Komiker zieht es auch viele erfolgreiche Musiker irgendwann wie magisch auf die große Leinwand. Die Herausforderung, sich auf einem artverwandten, aber gleichzeitig doch unterschiedlichen Terrain zu beweisen, scheint überaus reizvoll zu sein – ganz abgesehen vom enormen kommerziellen Potenzial. Schon Elvis Presley und Frank Sinatra ließen die Kinokassen klingeln, aber auch die deutschen Schlagerstars der 50er, 60er und frühen 70er Jahre waren mit ihren Filmen erfolgreich, ehe sie vom Zeitgeist eingeholt und von den Heroen der Neuen Deutschen Welle abgelöst wurden, die uns denkwürdige Peinlichkeiten wie Nenas und Markus‘ filmische Gehversuche in „Gib Gas - Ich will Spaß!" hinterließen. Heutzutage baut die Filmindustrie vorwiegend auf die Talente und die Geschichten der Hip-Hopper und Rapper. Den schauspielerischen Maßstab setzte Naturtalent Eminem in Curtis Hansons „8 Mile", während in Filmen wie „Get Rich Or Die Tryin'", „Notorious B.I.G." und auch in „Zeiten ändern dich" die dramatischen Biografien umstrittener Künstler im Mittelpunkt standen. Özgür Yildirim geht mit der lupenreinen Komödie „Blutzbrüdaz" einen anderen Weg, statt mit grimmiger Wirklichkeit wartet er mit trockenem Witz auf und nebenbei gelingt ihm sogar eine urkomisch-ätzende Satire auf den Boyband-Wahn der 90er Jahre.
Yildirims Film ist eine Milieu-Komödie über Rap-Musiker und die Rapszene, aber Ähnlichkeiten mit realen Vorbildern sind eher zufällig, Sido und B-Tight spielen sich nicht selbst. Daher ist es für den Film auch unwichtig, ob der Betrachter nun deren Musik mag oder nicht. Man muss nicht einmal ein Rap-Fan sein, um seinen Spaß zu haben, dazu trägt nicht zuletzt der gutgelaunte Auftritt von Sido (das steht für „super-intelligentes Drogenopfer") bei, der genauso ironisch ist wie der Künstlername. Damit hat er sich mittlerweile auch deutlich von den Anfängen seiner Karriere entfernt, als er mit frauenfeindlichen Texten und mit Provokationen wie dem „Arschficksong" auf Konfrontationskurs mit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien und dem Bürgertum ging.
Trotz oder gerade durch die komische Überhöhung ist die Schilderung des Berliner Rap- und Hip-Hop-Milieus punktgenau und wirkt jederzeit echt. Der Nährboden der Geschichte ist naturbelassen und die amüsanten Dialoge atmen Lokalkolorit, nur bei der Dramaturgie wandeln die Drehbuchautoren Nicolas J. Schofield und Jan Ehlert auf ausgetretenen Pfaden. Bis ins letzte Filmdrittel hinein ist das gar nicht störend, zumal das Autorenduo seine Protagonisten mit humoristischem Sprüche-Futter fast im Stakkato versorgt, am Ende werden zwei Figuren allerdings immer mehr zum Ärgernis: der platt angelegte Plattenboss Facher sowie seine emsige Assistentin Jasmin (Claudia Eisinger), die dann auch noch unnötigerweise eine Affäre mit Sido beginnt. Der zur Karikatur überzogene Facher übernimmt die Funktion eines dramaturgischen Holzhammers, was ebenso wenig nötig gewesen wäre wie die lieblos angehängte Liebesgeschichte. Sowohl Tim Wilde („Lasko - Die Faust Gottes") als auch Claudia Eisinger („13 Semester") haben zu Beginn einige gute Momente, aber letztlich sind ihre Figuren rein funktional und haben kein Eigenleben. Interessanter ist da schon Milton Welsh („Conan"), der als bodenständiger Manager und Produzent schon allein mit seiner unglaublich markanten und charismatischen Stimme beeindruckt.
Fazit: Nach Bushidos Bauchklatscher „Zeiten ändern dich" wurde Özgür Yildirims Sido-Film-Projekt „Blutzbrüdaz" während seiner Entstehung mit einiger Skepsis beäugt. Zu Unrecht, denn alle Beteiligten ziehen sich achtbar aus der Affäre: „Blutzbrüdaz" ist eine ungezwungen spaßige, entwaffnend selbstironisch gespielte Komödie, die zeigt, dass Sido keine Maske nötig hat.