Immer wenn Pulp Fiction-Mastermind Quentin Tarantino einen neuen Film in der Pipeline hat, überschlagen sich PR-Experten, Fanforen und Feuilleton nahezu; die Spekulationsblase bläht sich bis zum Platzen auf, und Fanboy-Diskussionen über Tarantinos popkulturelles Universum machen die Runde. Neuerdings findet das Regie-Genie auch bei Banausen Gehör, die sein Werk bisher als ein tobsüchtiges Stillen seines juvenilen Spieltriebs abtaten. Die Kriegsfarce Inglourious Basterds (2009) polarisierte zumindest insoweit, als dass sie unter dem Preisregen Anlass zur Ereiferung darüber bieten konnte, wie Tarantino die historischen Begebenheiten um das Dritte Reich nonchalant umschrieb und in eine Pulp-Opera verwandelte, in der Hitler samt NS-Gefolgschaft durch brennbaren Nitratfilm ums Leben kommen. Seinen aktuellen Streich verortet er ins 19. Jahrhundert, in die Zeit kurz vor Ausbruch des amerikanischen Bürgerkrieges. Auch dafür hat er vereinzelt Schelte einstecken müssen. Dabei ist „Django Unchained“ ein pointierteres Statement gegen die Sklavenhalterei in diesem dunklen Kapitel der US-Historie, als so mancher selbsternannte politische Lehrfilm, der sich nur auf Faktenfledderei vor nicht selten fiktionalisiertem Hintergrund verlässt. Zudem ist Tarantino Nr. 8 einfach ein saustarker, geradliniger Genrefilm, dem man seine ganz wenigen Drehbuch-Schwächen nur
zu gerne nachsieht.
Erst kauft der deutsche Zahnarzt Dr. King Schultz (Christoph Waltz), der sich in Amerika als Kopfgeldjäger sein Zubrot verdient, den schwarzen Sklaven Django (Jamie Foxx) mithilfe seines Colts frei, dann macht er ihm bei einem selbstgezapften Bier im nächstbesten Saloon ein Angebot, das der nicht ablehnen kann. Django führt ihn zu den drei Brittle-Brüdern, die Djangos Frau Broomhilda (Kerry Washington) verschleppt haben, und Schultz exekutiert die Männer für ihn. Das Kopfgeld wird brüderlich aufgeteilt. Django soll Schultz bei der Drecksarbeit im winterlichen Mississippi helfen (hier winkt Corbuccis „Leichen pflastern seinen Weg“ aus der Ferne), und der begleitet ihn auf der Suche nach Broomhilda. Diese wird auf der entlegenen Plantage des Sklavenhändlers Calvin Candie (Leonardo DiCaprio) gefangen gehalten. King Schultz und Django geben sich als Geschäftsmann und sein treuer Lakai aus, heuern auf der Farm zum Diner an, und kommen mit Candie in Verhandlungen. Bis dessen Diener Stephen (Samuel L. Jackson) die Tarnung der potentiellen Galgenvögel auffliegen lässt…
Ein Festmahl für die Geier: „Django Unchained“ ist wieder ein kleines Novum in Tarantinos Filmografie. Zwar hat der Regisseur schon in „Kill Bill Vol. 2“ und „Inglourious Basterds“ Anklänge an den Spaghettiwestern erkennen lassen, doch nun hat er ein lupenreines Produkt seines Lieblingsgenres hervorgebracht. Ein Italo-Reißer á la Tarantino, der im Titel direkt Bezug auf Sergio Corbuccis „Django“ von 1966 nimmt. Ansonsten hat der Film wenig mit seinem avisierten „Original“ zu tun. Tarantino reitet Rodeo mit dem Genre und zeigt abermals Lust am Nicht-Erfüllen der Zuschauer-Erwartungen. Denn selbst das Bestreben, mit dem Eintritt in ein neues Genre selbigem den patentierten Tarantino-Stempel aufzudrücken, scheint ihm in „Django Unchained“ nicht genug zu sein. Auf eine verschachtelte Erzählstruktur verzichtet Tarantino zugunsten einer locker aus der Hüfte geschossenen, episch angelegten Wildwest-Hommage. Diese beginnt humorvoll, trocken wie die texanische Prärie, mit Kautabak zur Nibelungensage am Lagerfeuer, dazu spielt Ennio Morricone seine elegischen Instrumentalstücke, die uns in die Sergio Leone-Western zurückversetzen. So weit, so brillant. In der zweiten Filmhälfte verdichtet sich die Story zum böse blitzenden Schauspielerkino mit gewohnt feingeschliffenen Dialogen und spitzt sich dramatisch zu, so dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Die große Darsteller-Überraschung, die der Starregisseur dabei aus dem Hut zaubert, ist Leonardo DiCaprio, der hier endlich mal einen richtigen Fiesling gibt und dabei so überzeugend diabolisch aufspielt, dass es einem die Sprache verschlägt. Dass es der einstige milchgesichtige Posterboy zu einem seriösen Charaktermime gebracht hat, ist schon seit seinen gemeinsamen Arbeiten mit Martin Scorsese („Gangs of New York“, „Departed“ usw.) bekannt, doch nun dürfte er auch den letzten Fleck seines Schwiegersohn-Images aus seiner Weste herausgewaschen haben. Christoph Waltz kann nahtlos an die Rolle des weltmännischen, eloquenten SS-Offiziers Hans Landa aus „Inglourious Basterds“ anknüpfen. Sein Zahnarzt King Schultz, auf dessen Kutsche ein riesiger Zahn an einer Metallfeder hin- und herbaumelt, ist ähnlich gestrickt, nur dass man ihn sozusagen als menschliche Version Landas bezeichnen könnte, der die Idiotie und das Verbrecherische an der Sklavenhändlerei erkennt, der, um den Job für sein Gewissen zu rechtfertigen, beteuert, dass er schließlich „mit Leichen sein Geld verdient“, und nicht mit Menschen.
Bei Tarantino feiert die Blaxploitation-Bewegung aus den Siebzigerjahren fröhliche Urständ. Django ist schwarz – und tritt den Weißen, die seine Rasse unterdrücken, gehörig in den Arsch. Tarantino lässt dazu HipHop-Beats ablaufen, zitiert „Shaft“, und dazu gibt Foxx` Revolverheld allen im Film lodernden Vermutungen einen Nährboden, dass er „der eine Nigger unter Zehntausenden“ ist. Jamie Foxx` Figur ist ikonografisch genug, um den Vorwurf des zu laxen Umgangs mit der Thematik zu entkräften – wenn dies nicht schon vorher die Szene mit dem Mandingo-Fight erledigt hat, die in ihrer Brutalität alles im Film überstrahlt. Und das, obwohl „Django Unchained“ tarantino-typisch nicht gerade anämisch ausfällt. Das Blut spritzt gar aus Pferdeleibern, und selbst tote Körper bleiben nicht verschont. Die Leichen stapeln sich am Ende unaufhaltsam in Candies Plantage, wenn Django demonstriert, dass er nicht nur gelernt hat, dass man den Steckbrief des ersten Kopfgeldes immer aufbewahrt, da dieser einem Glück bringe. Ur-„Django“ Franco Nero bekommt indes einen Cameo-Auftritt gewährt, Michael Parks gehört seit „From Dusk Till Dawn“ ohnehin zum Tarantino-Inventar, ebenso wie Samuel L. Jackson, der hier einen Sklaven spielt, der aus Gram selbst zum Sklavenhalter wird. Leicht bedauerlich ist nur, dass Tarantino sich im Mittelteil des Films, bevor er auf das Grande Finale zusteuert, ein paar Mal verzettelt (Stichwort: Jagd auf die Brittle-Brüder), so dass man den Eindruck hat, dass hier in letzter Sekunde ein paar unnötige Skriptänderungen vorgenommen wurden. Amüsant ist es natürlich trotzdem, wenn Tarantino sich kurz den Spaß gönnt, einen nächtlichen Ritt des Ku-Klux-Klans in eine Kabbelei darüber enden zu lassen, wie bescheuert ihre Masken doch zurechtgeschnitten sind.
Fazit: Mit „Django Unchained“ serviert Quentin Tarantino seinen Fans endlich den heißersehnten Italowestern, auf den er so lange hingearbeitet hat – und er enttäuscht sie nicht. Das ausufernde, bleihaltige Genre-Epos ist sozusagen „Pulp Fiction“ im Wilden Westen, ein Fünf-Sterne-Menü für Cineasten, an dem es nur wenig auszusetzen gibt, ja, das sogar ein Herz hat. Auch das hatte man nicht unbedingt erwartet…