Genau genommen bin ich kein großer Fan von Musicals und kenne in diesem Fall sowohl die Romanvorlage als auch andere Verfilmungen, wieso komme ich dann zu einer so postiven Bewertung:
Besonders hervorzuheben ist die spielerische Leistung des Ensembles, durch ausgeprägte Mimik gewinnen die Charaktere an Tiefe, ohne affektiert zu wirken. Die Verletztlichkeit die Anne Hathaway wiedergibt erscheint mir einzigartig und ich hatte den Eindruck, dass sie durch diese Rolle ihre schauspielerisches Können endlich unter Beweis stellen konnte. Auch die Wandlung der Hauptcharaktere Valjean und Javert im Laufe der Erzählung werden gut herausgearbeitet.
Nun zur musikalischen Umsetzung:
Ein häufig genannter Kritikpunkt scheint zu sein, dass es so gut wie keine gesprochenen Dialoge gibt. Allerrdings sollte man anmerken, dass der komplette Film durchkomponiert wurde und auch musikgeschichtlich lange das Rezitativ vorherrschend war. Ich finde es in diesem Fall als filmisches Mittel sinnvoll eingesetzt, weil lange, trockene Dialoge den Spannungsbogen des Films meiner Meinung nach unterbrechen würden.
Da der Gesang direkt am Set aufgenommen wurde, ist die Intonation sicherlich nicht perfekt, allerdings wird gerade durch die gefühlvolle Wiedergabe und den direkten Bezug zur Szene eine dem Film ganz eigene dramatische Stimmung geschaffen - eine Art von Menschlichkeit, die sich auch als ein Grundthema des Geschichte ansehen lässt.
Gesanglich brilliert die ausgebildete Sängerin Samantha Barks mit dem Stück "On my own", auch, wenn sie natürlich nur einen relativ kurzen Auftritt hat. Sowohl Hugh Jackman als auch Russell Crowe überzeugen durch ausdrucksstarken, rollengerechten Gesang, genauso wie Anne Hathaway, die traurig wie nie "I dreamed a dream" wiedergibt.
Nicht so gut gefallen hat mir hingegen Amanda Seyfried, die auch in diesem Film stimmlich nicht wirklich an Ausdruck gewinnt. Geradezu perfekter Gesang, allerdings mangelt es doch etwas an Tiefe.
Die Männerstimmen der Studentengruppe sind durchweg gut besetzt und harmonieren gut, genauso wie die Chorszenen.
Ein komisches Element erhält der Film durch Sacha Baron Cohen und Helena Bonham Carter als Ehepaar Thénadier. Ich hätte vorher nicht erwartet, dass die beiden so gut harmonieren, sie geben allerdings gemeinsam das perfekte Gegenstück zu den dramatischen Hauptfiguren und sorgen dafür, dass man auch einpaar Freudentränen vergießt. Besonders gut inszeniert ist der Part in ihrem Gasthaus, indem die beiden Figuren jeden möglichen Trick anwenden, um sich an den Gästen zu bereichern.
Das Szenenbild des Film gefällt mir gut, die düstere Stimmung passt zur Grundstimmung der Geschichte und ein wiederkehrendes Element sind die französischen Nationalfarben in der Ausstattung und den Kostümen.
Die Kostüme sind sehr gut umgesetzt, jedoch zum Teil mehr an das Szenenbild angepasst als an die historischen Umstände. Die Kulissen sind sehr aufwändig gestaltet, erdrücken den Zuschauer jedoch nicht. Dennoch ist die Kameraführung durch viele Perspektivwechsel und handkameraartige Episoden etwas gewöhnungsbedürftig, wenn auch zur Geschwindigkeit der Handlung passend.
Mein Fazit:
Schauspielerisch und gesanglich ein Erlebnis wie live, mit dem Pluspunkt, dass man ganz nah am Geschehen ist. Die Charaktere werden gut ausgebaut und somit wird neben der Haupthandlung auch die Wandlung der einzelnen Figuren sehr gut dargestellt. Durch die Stimmgewalt in den Chorszenen und in der Ausstattung gewinnt der Film dennoch an Hollywood-Glamour, wirkt aber nicht übertrieben.
Und vor allem, der Grundton der Geschichte und der Epoche wird gut herausgearbeitet und berührt den Zuschauer genauso wie der wirklich gefühlvolle, nicht überladene Gesang und die atemberaubende Gestik der Schauspieler.