Commando B(allermann)
Ja, das waren noch Zeiten, als ein österreichischer Einwanderer ins gelobte Filmland kam und dort ein neues Spaßprodukt etablierte: den wertigen B-Kracher. Auf einen kurzen Nenner gebracht: Story pfui, Action hui. Filme wie „Commando“, „Raw Deal“, „Red Heat“ oder „Running Man“ gelten heute als Kultklassiker, vor allem vor dem Hintergrund der traurigen Entwicklung, die dieses einst so glänzend da stehende Spartenprodukt genommen hat. Zunächst ging es in die schummrigen Niederungen der DTV-Releases und später dann in den ähnlich morastigen Streaming-Sumpf. Die Budgets sanken merklich, die „Stars“ mussten mangels jeglicher Form von Charisma nicht um eine spätere A-Karriere fürchten und die fähigen Action-Handwerker waren sich für solche Discount-Ware inzwischen zu schade.
Aber siehe da, plötzlich haben die Nachfahren der Videotheken wieder richtig prall gefüllte Festgeldkonten. Und um die Couchpotatoe-Masse bei Laune zu halten ist man durchaus zu der ein oder anderen Investition bereit. Auch wenn die verantwortlichen bei Netflix es selbst bestimmt ganz anders sehen, aber sie haben ganz nebenbei dafür gesorgt, dass das hübsch verpackte B-Kino wieder Furore macht. Sicher werden jetzt viele sagen, dass Namen wie „The Rock“, Ryan Reynolds, Chris Hemsworth, Gal Gadot oder Charlize Theron nun wirklich nichts mit zweiter Wahl zu tun haben. Stimmt, aber wenn man sie in eine Story packt, die ein Grundschüler beim Klassenaufsatz in maximal 15 Minuten hinkritzeln würde und den Rest des Films mit Postkartenmotiven bekannter Touristenhotspots sowie mit mehr ausladenden als herausragenden Actionsequenzen auffüllt, dann bekommt der einstige B-Connoisseur dann doch den ein oder anderen Erinnerungsflash. Denn suggeriert wird vielleicht ein Drei-Gänge-Blockbustermenü, aber serviert bekommt man dann den Commando-Burger.
Ein solcher ist definitiv „The Gray Man“. Angesichts der Tatsache, dass der Agententhriller das Monsterbudget von 250 Millionen Dollar verpulvert hat um in kaum mehr als 120 Minuten die papierdünne Handlung durch neun! breit ausgestellte Action-Sequenzen zu kaschieren, kann man mit Fug und Recht von einem Royal Deluxe, mindestens aber von einem Doppel-Whopper sprechen. Als Burger-Brater hat man die beiden Russo-Brüder Anthony und Joseph angeheuert, die selbst in der Blockbuster-verwöhnten Superhelden-Schmiede von Marvel noch heraus stechen (u.a der Doppelpack "Avengers: Infinity War" und "Avengers: Endgame"). Das Servierer-Trio stammt ebenfalls aus der aktuellen Beletage Hollywoods und ist definitiv bestens geeignet ein profanes Gericht als Gaumenschmaus zu verkaufen.
Gesagt, getan. Ein guter Service ist die halbe Miete - besonders in den USA - und Ryan Gosling, Chris Evans sowie Ana de Armas liefern dementsprechend ab. Ersterer gibt den CIA-Superagenten Sierra Sechs in gewohnt stoischer "Drive"-Manier, garniert mit ein paar Spritzern Sarkasmus und Selbstironie. De Armas darf als kampffreudige Agentenkollegin auf ihre jüngsten Bond-Erfahrungen zurück greifen und wirkt fast schon wie ein alter Action-Hase. Am meisten Spaß macht (und hatte wohl auch) Chris Evans, der sein Saubermann-Image als Captain America genüßlich in seine Einzelteile zerlegt und einen herrlich überdrehten Psychopathen von der Leine lässt, der die beiden Helden über den ganzen Globus hetzt und dabei auf jegliche Regeln und Konventionen pfeift. Das ist manchmal har an der Grenze zum Overacting, manchmal auch gnadenlos drüber, aber nicht vergessen, wir befinden uns in einem B-Szenario und da passt dieser exaltierte Schurken-Troll wie die Panzerfaust auf Arnolds Schulter.
Apropos „Commando“. Die Lust am Zerstören und die lästige Pflichtübung einer dazwischen geschobenen Handlung lassen den Vergleich durchaus zu. Dass das unbeabsichtigt passierte, geschenkt. Wenn die Russo-Brüder in sämtlichen Interviews fabulieren, dass sie besonders viel Wert auf die Charterzeichnung ihrer Figuren geachtet haben und so fasziniert von der komplexen Storyline der Romanvorlage des Tom Clancy-Epigonen Mark Greaney gewesen seien, dann hat das fasst schon etwas Drolliges.
Mensch Jungs, macht euch locker und gebt einfach zu, dass ihr auch mal einen Haufen Kohle für eine völlig hohl drehende Actionsauße rausjagen wolltet. Zumindest hoffe ich das für euch, denn sonst wird’s peinlich. Dabei braucht ihr euch nun wirklich nicht für die brachiale Verwüstungsorgie schämen, die ihr im altehrwürdigen Prag veranstaltet, da hätte auch John Matrix anerkennend genickt. Und auch die Auftakt-Keilerei bzw. -Balgerei in Bangkok atmet tatsächlich ein wenig Hongkong-Kino-Flair. Sicher, es würde nicht schaden bei John Woo oder James Cameron noch mal die Schulbank zu drücken, aber wie gesagt, wir sind hier im Fast Food-Geschäft und dafür mundet das Ganze dann doch ganz gut. Mit Ausnahme vielleicht der digitalen VFX, die sehen billig aus obwohl sie garantiert teuer waren. Aber wer einen saftigen Burger will, der kann mit irgendwelchen neumodischen Firlefanz-Toppings nun wirklich nichts anfangen.
Ob das Menü dauerhaft auf der Netflix-Karte landet, werden die Bestellungen der Abonnenten zeigen. Die Weichen sind jedenfalls gestellt. Das geheime Auftragskiller-Programm ebenso wie die Hintergrundgeschichte ihres Aushängeschildes Sierra Sechs wurden bestenfalls angerissen. Außerdem ist der gefallene Antiheld inzwischen auf der Flucht und die bösen Strippenzieher hinter den Kulissen sind noch immer im Spiel. Die Bourne- und die John Wick-Filme haben gezeigt, wie lange man ein solch simples Szenario höchst erfolgreich ausschlachten kann, allerdings hatten/haben die auch eine eigene Action-Handschrift sowie (zumindest im zweiten Fall) ein interessantes Worldbuilding als Beilagen. Da gibt es also noch Nachholbedarf, denn leckere Action-Burger können auch andere braten. Also liebe Russos, eine kleine kulinarische Bildungsreise könnte nicht schaden, und in der schönen neuen Streamingwelt kommt man ja in Windeseile und ganz bequem an die entlegensten Orte, selbst an die aus längst vergangenen Zeiten. Solltet ihr allerdings weiterhin ernsthaft ein gehobenes Gourmet-Restaurant im Sinne haben, dann droht euch die Pleite. Aber wenigstens kam die dann stilecht mit einem riesigen Knall.