Highway to the danger zone
Selbst im Zeitalter der Retroekstase, des Rebootwahns und der ehrfürchtigen 80s-Kniefälle schien das Wiederbetanken der F14A Tomcat ein wahnwitziges Himmelfahrtskommando. Wie sein Fluggerät war der Pilot längst aussortiert, zumindest was seinen strahlend weißen Superstaranzug betraf. Gewiss, er war älter geworden, aber die Gene oder die Doktoren hatten es extrem gut mit ihm gemeint. Einen besser aussehenden - was in Hollywood bedeutet, einen jünger aussehenden - Endfünfziger dürfte ohne Photoshop jedenfalls kaum zu finden sein. Fürs Ray Ban-Lächeln aus der Pilotenkanzel reicht es nach wie vor allemal. Nein, dieser Strahlemann war über seine seltsamen Liebesschwüre auf einer TV-Couch und sein offensives Werben für die Scientology-Kirche gestolpert. Und die Abstrafung an den Kinokassen hatte wahrhaft biblische Ausmaße. Da musste der gefallene Engel dann zum ersten Mal den Titel seiner Blockbuserfranchise „Mission Impossible“ wörtlich nehmen, was nicht einer gewissen Ironie entbehrte.
Thomas Cruise, ihr habt es längst erraten, musste also erstmals den Rückwärtsgang einlegen. Für einen, der bis dato nur auf dem Erfolgshighway entlang gebrettert war, sicherlich so etwas wie der ultimative Albtraum. Zugegeben, seit dieser knapp 20 Jahre zurück liegenden Bruchlandung hat er sich wieder nach oben gekämpft, aber in den Everybody´s Darling-Olymp haben sie/wir ihn dennoch nicht mehr reingelassen. Da wirkte der späte Nachklapp eines der ultimativen Zeitgeistphänomene der 1980er fast schon wie eine Verzweiflungstat. Zurück ins Cockpit, zurück nach Miramar, zurück zu Top Gun. Die vermutlich unzähligen bereits vorbereiteten Verrisse - mal gehässig, mal mitleidig, je nach eigenem Cruisometer - harrten lediglich noch auf ein zwei Infos zum Plot. Soweit die Theorie.
Zu Beginn von „Top Gun: Maverick“ treibt Pete „Maverick“ Mitchell (Tom Cruise) ein Überschallflugzeug zu Mach 10 und einen auf Krawall gebürsteten Admiral (Ed Harris) zur Weißglut. Ganz nebenbei rettet er damit nicht nur seinen Job und den seiner Mitarbeiter, sondern zeigt auch der naserümpfenden Navy, dass ein altes Eisen noch so richtig glühen kann. Vor allem aber beweist er, was ein bis unter die Haarspitzen motivierter und zum äußersten Risiko bereiter Mensch erreichen kann. Damit wäre alles zu diesem späten und bei niemandem ernsthaft auf der Rechnung stehenden Sequel gesagt. Lediglich zwei Wochen nach Kinostart ist es keineswegs mehr vermessen vom größten Erfolg der an Erfolgen nicht gerade armen Filmkarriere des Tom Cruise zu sprechen. Die globale Box-Office-Schallmauer von 1 Milliarde US-Dollar ist zum Greifen nahe. Das ist umso erstaunlicher, da hier nirgends ein Disney- oder Marvel-Etikett drauf pappt und keine bunt gewandeten Superhelden gesichtslose CGI-Armeen erledigen. Willkommen bei der Wiederauferstehung ´des alten Blockbusterkinos und bei der Reaktivierung längst verloren geglaubter Zuschauerschichten. Ein Zufallstreffer? Nicht bei Cruise, bei dem seit jeher tollkühner Wagemut und totale Kontrolle eine symbiotische Beziehung pflegen.
Schon bei der Neuausrichtung des "Mission: Impossible"-Franchises ab Film Nummer 4, setzte Cruise alles auf die Stuntkarte und gewann. Sein Ruf als Adrenalinjunkie und mit Abstand waghalsigster A-List-Star erklärt auch in Teilen den erneuten Top Gun-Höhenflug. Schon früh erfuhren Presse und Fans von Cruises Vorhaben selbst in den fliegenden Jets zu sitzen und dies auch von seinem CoCast zu verlangen. Also verdonnerte er sämtliche Filmpiloten, selbstredend sich selbst eingeschlossen, zu einem mehrwöchigen, knallharten Trainingsprogramm im Grenzbereich. Und tatsächlich fühlen sich die zahlreichen Flugszenen so an, als wäre man mittendrin anstatt nur dabei und sorgen für eine Achterbahnfahrt, die sämtliche Superheldenabenteuer der letzten zwei Dekaden wie einen gemütlichen Dorfrummelplatz aussehen lassen. Hier spürt man die G-Kräfte, riecht Kerosin getränkten Angstschweiß und verliert in der Hektik des Luftkampfes ein ums andere Mal den Feindflieger aus den Augen.
Ähnlich wie Christopher Nolan ging Regisseur Kosinski dabei bewusst weg vom vermeintlich hyper-authentischen Handkamera- und Schhnittgewitterstil der Bourne-Filme und drehte mit schweren IMAX-Kameras. Und das Ergebnis ist schlicht überwältigend im Sinne einer wirklich realen Actionerfahrung. Die wuchtige Inszenierung nimmt die Erlebnissehnsucht seines Publikums endlich mal wieder ernst, macht sie zu einem Feuerwerk für alle Sinne und entlarvt damit gleichzeitig den faulen und sterilen Consolen-Zauber vieler moderner Blockbuster. Da stört es dann auch kaum, dass der Plot des Originalfilms mitsamt Figurenkonstellationen und finaler Prämisse nur leicht variiert wieder aufbereitet wird, zumal äußerst geschickt an den richtigen Stellen entweder die Modernitäts- oder die Hommageknöpfe gedrückt werden.
Vor allem aber wird die Geschichte des unkonventionellen Kampffliegers Pete Mitchell glaubwürdig und überzeugend weiter gesponnen. So werden die logischen Folgen seines Draufgängertums und seiner Unangepasstheit ebenso thematisiert, wie sein Trauma wegen des Todes seines besten Freundes und Copiloten „Goose“. Dass er wider Erwarten selbst zum Ausbilder wird und dabei auch noch Gooses Sohn „Rooster“ (Miles Teller) zugeteilt bekommt, klingt auf dem Papier vielleicht cheesig, aber im Film funktioniert beides wie ein perfekt gewarteter und eingeflogener Düsenjet. Und wer Cruise schon immer für einen farblosen Darsteller mit lediglich famosem Äußeren und entwaffnendem Dauergrinsen hielt, der wird sich sehr schnell verwundert die Augen reiben, denn Cruise schaltet auch mimisch auf Mach 10. Als Schauspieler war er nie besser. Apropos Skepsis. Auch die Vorbehalte ob des Auftritts des schwer kranken Val Kilmer, der seine Rolle als Mavericks alter Rivale Iceman wieder aufnimmt, löst sich binnen Sekunden in Luft auf. Es gibt nur eine gemeinsame Szene zwischen Kilmer und Cruise, aber die ist des Herzstück des Films, zumindest was die Charakterzeichnung des Titelhelden betrifft. Emotionaler, ergreifender und auch Gänsehaut-produzierender wird es weder vorher noch nachher, wenn auch der gesamte Film gespickt ist mit solchen Momenten.
„Top Gun: Maverick" - und das verbindet ihn mit dem Original - ist der beste Bauchgefühlfilm seit Dekaden. Es ist beinahe beängstigend, wie vermeintlich spielend leicht Cruise und Regisseur Kosinski diese längst vergangene Blockbuster-Erfahrung wieder aufleben lassen. Wenn gleich zu Beginn Kenny Loggins Danger Zone durch die Lautsprecher fetzt während das Personal auf dem Flugzeugträger die startenden und landenden Kampfjets abfertigt, dann sind sowohl Illusion wie Zeitreiseflash perfekt. Und ob Maverick auf der Kavasaki, die geckenhaften Flugschüler in Kneipe, Hangar oder beim Beach-Football, oder die in Posteroptik zelebrierten Bilder der kalifornischen Flugbasis, jede Reminiszenz verwandelt den eigentlich zu erwartenden Fremdschämanfall in ein wohliges Kribbeln in der Magengegend. Zu guter letzt wurden auch noch dem Original gern vorgeworfenen Hurrapatriotismus und Machismo erkennbar Zügel angelegt, ohne dass es anbiedernd wirkt. Ähnlich verhält es sich mit der seinerzeit so heftig geschwungenen Promokeule, obgleich die US-Navy auch dem Sequel bedenkenlos zuprosten kann und zweifellos auch wird.
Also liebe Filmfreunde. Wenn ihr euch auch mal an die gute alte Blockbusterzeit erinnern wollt, oder wenn ihr endlich mal wissen wollt, wie eure Eltern ganz ohne Superhelden und Computerwelten in die Lichtspielhäuser strömen konnten, dann löst ein Ticket für Top Gun: Maverick. Einen mitreißenderen, unterhaltsameren und befriedigenderen Filmhit für Jung und Alt werdet ihr dieses Jahr nicht mehr zu sehen kriegen. Vermutlich auch nicht in absehbarer Zukunft. Euer Pilot mag nicht immer die von euch bevorzugten Manöver geflogen haben, aber ihr werdet kaum jemanden finden, dem eure Unterhaltung mehr am Herzen liegt, oder der sich mehr dafür ins Zeug legt. So geht generationübergreifendes Überwätigungskino und so schließt sich der Kreis. Top Gun 2022 ist wieder ein Hochglanzwerbevideo, ja, aber diesmal in allererster Linie für das Medium selbst. Also runter von der piefigen Streaming-Couch und rein in den ledernen Deluxe-Recliner, am besten nehmt ihr gleich den Highway zum nächst gelegenen IMAX. Die Fahrt wird sich lohnen. Oder wie der gute alte Kenny röhren würde: "Revvin´ up your engine, listen to her howlin´ roar. Metal under tension, beggin´ you to touch and go. Highway to the danger zone, ride into the danger zone!"