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    Die dunkle Seite des Mondes
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die dunkle Seite des Mondes
    Von Lars-Christian Daniels

    Die „neurologische Trilogie“ ist eine der besten Arbeiten von Bestseller-Autor Martin Suter („Lila, Lila“): In den Romanen „Small World“, „Die dunkle Seite des Mondes“ und „Ein perfekter Freund“ beschäftigt sich der Schweizer Schriftsteller mit Persönlichkeitsveränderungen und verbindet die Krimihandlungen gekonnt mit gesellschaftskritischen Ansätzen. Während es Francis Girods Verfilmung von „Ein perfekter Freund“ 2005 nur in Frankreich auf die große Leinwand schaffte, wurde „Small World“ von Bruno Chiche 2012 ein größeres Publikum zuteil: Superstar Gérard Depardieu sorgte als geistig abbauender Demenzpatient für die stärksten Momente des Psychodramas. Nun knöpft sich der deutsche Regisseur Stephan Rick, der den ursprünglich für die Regie eingeplanten Oliver Hirschbiegel („Der Untergang“) ersetzt, den zweiten Teil von Suters inhaltlich nicht zusammenhängender Erfolgsreihe vor, die Geschichte eines Anwalts, dessen Leben sich nach einem durch halluzinogene Pilze ausgelösten Rausch radikal ändert: „Die dunkle Seite des Mondes“ ist eine spannende und top besetzte Mischung aus Psychothriller und Lebenskrisendrama.

    Für Wirtschaftsanwalt Urs Blank (Moritz Bleibtreu) läuft es wie geschmiert: Beruflich schwimmt er auf einer Erfolgswelle, und privat ist er glücklich mit der Künstlerin Evelyn (Doris Schretzmayer) liiert. Doch nachdem Blank den millionenschweren Dr. Fluri (Marco Lorenzini) mit einer cleveren Vertragsklausel in den Ruin getrieben hat, taucht dieser unangekündigt in seinem Büro auf und jagt sich vor seinen Augen eine Kugel in den Kopf. Blank ist geschockt und fortan nicht mehr derselbe. Als er sich nach der Beerdigung des Unternehmers im Wald verläuft, lernt er auf einem Flohmarkt die hübsche Lucille (Nora von Waldstätten) kennen, für die er schnell Gefühle entwickelt. Nach einer gemeinsamen Party lässt er sich von ihr zu einem Trip mit halluzinogenen Pilzen bei Alt-Hippie Joe (André Hennicke) überreden. Der ausufernde Rausch hat schlimme Folgen: Blank kann seine Instinkte und Aggressionen nicht mehr kontrollieren: Es kommt zu Gewalt- und Wutausbrüchen. Seinen Feinden kommt das gelegen, insbesondere seinem durchtriebenen Geschäftspartner Pius Ott (Jürgen Prochnow) war Blank schon länger ein Dorn im Auge ...

    Die zahlreichen Leser von Martin Suters Erfolgsroman „Die dunkle Seite des Mondes“ könnten bei der Leinwandadaption des Stoffes eine kleine Enttäuschung erleben: Regisseur Stephan Rick („Unter Nachbarn“), der mit Catharina Junk („Großstadtrevier“) auch das Drehbuch schrieb, dampft Urs Blanks Halluzinationserfahrungen stark ein und streicht seinen spannenden Exkurs in die Natur fast komplett, obwohl dieser die zweite Hälfte der gut 300 Seiten starken literarischen Vorlage klar dominiert. Während Blank sich im Roman in bester „Into The Wild“-Manier als Survival-Greenhorn in die Schweizer Wälder absetzt und sich dort über Monate von Pflanzen und Kleintieren ernährt, unternimmt der erfolgreiche Jurist im Film nur ein paar Rucksacktouren zum Pilzsammeln im Taunus. Alle anderen Änderungen erweisen sich allerdings als Vorteil: Unwichtige Nebenfiguren wie Lucilles Lover Arshad oder der Schweizer Wachtmeister Blaser wurden gestrichen, und die Mainmetropole Frankfurt liefert mit ihren gläsernen Konzerntürmen und Großbanken die perfekte Kulisse für das Geschäftsgebaren der Kanzlei, die im Film die Schlüsselrolle bei einem großen Deal eines Pharma-Konzerns spielt.

    Nach der knappen Einleitung, in der auch Blanks bester Freund Alfred Wenger (Luc Feit, „Frau Ella“) vorgestellt wird, riecht noch alles nach einem intrigenreichen Wirtschaftsthriller, doch nach dem folgenschweren Pilztrip wandelt sich der Film zum aufregenden Psychodrama, in dem alles möglich und nichts sicher scheint. „So ein Pilz holt doch nur das hervor, was ohnehin schon in dir steckt“, stellt Lucille (Nora von Waldstätten, „Das ewige Leben“) nach Blanks ersten Eskapaden nüchtern fest – nicht ahnend, dass dieser in einer der verstörendsten Szenen des Films brutal ihre Katze umgebracht hat. Ab diesem Zeitpunkt nimmt die Geschichte an Tempo auf, denn Blanks unkontrollierbare Ausbrüche nehmen bedrohliche Ausmaße an: Schon bald verursacht der Anwalt auf der Landstraße teilnahmslos einen tödlichen Autounfall. Die Opfer bleiben nicht die letzten: Die Filmemacher ziehen die Spannungsschraube kontinuierlich an und lassen den Protagonisten – der seine Taten schon im nächsten Augenblick bereut – vom souveränen Schlipsträger zur tickenden Zeitbombe werden. Und Moritz Bleibtreu („Das Experiment“), der die unterschiedlichen Facetten der vielschichtigen Rolle souverän meistert, sorgt dafür dass die menschliche Dimension des Thrillers nie aus dem Blick gerät.

    Seine stärksten Momente hat „Die dunkle Seite des Mondes“, dessen Filmtitel auf das Pink Floyd-Album „The Dark Side of the Moon“ anspielt, im Schlussdrittel: Auf der Zielgeraden entwickelt sich ein fiebriges Duell zweier Kontrahenten, die anfangs scheinbar auf der gleichen Seite stehen. Nachdem Blank und sein Geschäftspartner Pius Ott (stark als eiskalter Machtmensch: Jürgen Prochnow, „Das Boot“) im Mittelteil des Films noch einen gemeinsamen Jagdausflug unternehmen, entpuppt sich Ott später als erbitterter Gegner und beinharter Kämpfer, der nicht mal mit der Wimper zuckt, wenn er einen Faustschlag aufs Nasenbein einstecken muss. Entsprechend handfest gestaltet sich der packende Showdown zwischen Prochnow und Bleibtreu im nebligen Wald (für die expressiven Bilder sorgen die Kameramänner Stefan Ciupek und Felix Cramer). Zum wiederkehrenden Motiv wird dabei die Begegnung mit einem geheimnisvollen schwarzen Wolf, ohne dass der Film dadurch künstlich überhöht wirken würde.

    Fazit: Stephan Ricks Romanverfilmung „Die dunkle Seite des Mondes“ ist ein spannendes und erstklassig besetztes psychologisches Thrillerdrama, das nicht ganz an die Klasse von Martin Suters Romanvorlage heranreicht.

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