„Ich liebe dich, aber wenn ich dich nicht haben kann, heirate ich deine Schwester. Ich werde immer nur dich lieben und das werde ich der ganzen Welt mitteilen. Aber ich werde mit deiner Schwester zusammen sein." So erklärt Regisseur John Turturro eingangs seines musikalischen Abenteuers „Passione" die paradoxe Hass-Liebe, welche die Neapolitaner mit ihrer Stadt verbindet. Die Menschen brauchen, ja, sie leben ihre Stadt. Besonders dann, wenn sie aus ihr flüchten mussten. Und das einzige, was sie dann mitnehmen konnten, waren oftmals ihre Lieder.
Mehr als 70 Filmproduktionen weist John Turturros Vita auf. Die immense Bandbreite des Nachfahren sizilianischer Einwanderer findet ihren Ausdruck in so unterschiedlichen Werken wie „Barton Fink", „Jungle Fever" oder der kommerziell ausgelegten „Transformers"-Reihe. Als Regisseur hingegen widmet sich Turturro bevorzugt Themen, die ihm persönlich am Herzen liegen. „Ich bin ein Musikliebhaber", sagt der New Yorker über sich, „deshalb habe ich in jedem Film getanzt, bei dem man es mir erlaubt hat." Mit „Passione" kehrt der Regisseur nun zu seinen italienischen Wurzeln zurück. Als Führer auf einer „Awentura musicale" erkundet Turturro die Musik Neapels und die Künstler, die sie in die Welt getragen haben. Dabei gelangen Klassiker der neapolitanischen Musik durch zeitgenössische Interpreten zu neuem Leben und illustrieren die Verkommenheit, den Schmutz, aber auch die verschwenderische Schönheit der süditalienischen Perle.
Probleme wie Armut, die Müllskandale der vergangenen Jahre oder die allgemeine Vernachlässigung der einst wunderschönen Stadt, finden in Turturros Dokumentation keinen Platz. Die Geschichte Neapels selbst wird in Einsprengseln erläutert, bietet jedoch lediglich den Rahmen für eine tiefere Exkursion in die musikhistorische Bedeutung der Stadt. Der Funktion Neapels als künstlerischem Schmelztiegel hingegen wird deutlich Rechnung getragen. Die Stadt, die über die Jahrhunderte Ziel von Invasoren war (zuletzt der Amerikaner im Zweiten Weltkrieg), vereinte verschiedenste Einflüsse zu einer musikalischen Schule. Dass Neapel diesen Status bis heute nicht eingebüßt hat, zeigt sich zum Beispiel an den im Film vorgestellten Künstlern Misia aus Portugal, der Tunesierin M'Barka Ben Taleb oder dem bedeutenden Jazz-Saxophonisten James Senese, selbst Sohn einer Neapolitanerin und eines schwarzen US-Soldaten. Sie stehen stellvertretend für eine Entwicklung, zu deren historischer Einordnung Turturro entweder keine Lust hatte oder für die er einfach keine Notwendigkeit sah. In diesem Sinne ist ein gewisses Grundwissen über die Vergangenheit Neapels und seines Musiklebens sicherlich von Nutzen, unbedingt notwendig ist es jedoch nicht.
„Passione" ist die lebendigste Symbiose von Musik und Film seit langem. Turturro geht es darum, die Vielfalt Neapels anhand seiner Künstler abzubilden. Dies gelingt ihm mit einer scheinbar mühelosen Anmut, welche die anderthalb Stunden Laufzeit wie im Flug vorbeigehen lässt. Beeindruckend ist dabei Turturros Fähigkeit, die Kulisse der Stadt vielfältig einzusetzen. Man könnte es die Suche nach der Schönheit im Verfallenen nennen, was der Regisseur inszenatorisch abliefert. Auf dem Pfad zur Seele Neapels bilden das Auge Turturros (der auch einen kurzen Gastauftritt als Darsteller absolviert) und die Musik eine untrennbare Einheit. Wenn dann im Laufe des Films immer wieder Passanten dazu angehalten werden, doch selbst mal ein Stück zum Besten zu geben, wird deutlich, dass die Traditionen dieser alten Stadt am Fuße des Vesuvs noch immer lebendig sind.
Fazit: „Passione" ist ein Liebesbrief an Neapel, seine Bewohner und natürlich seine Musik. Irgendwo zwischen Dokumentation, Musikfilm und Musical angesiedelt, schafft John Turturro ein Werk, das mit einer fantastischen Songauswahl und reizvollen Bildern besonders an die Sinne appelliert, ohne dabei ästhetisch ins Maßlose abzudriften. „Passione" ist ein Film für Liebhaber neapolitanischer Musik und für solche, die es werden wollen.