Dürfte ich meine persönliche Liste der 50 besten Filme aller Zeiten aufstellen, dann wäre "Im Westen Nichts Neues" sicher mit dabei -allerdings zumindest bisher in Form von Lewis Milestones kongenialer und oscarprämierter Schwarzweißverfilmung von 1930.
Nun: Wer auch immer Erich Maria Remarques Roman neuverfilmt, weiß, dass die Latte sehr hoch liegt und dass er irgendewtas anders machen muss, um sich cineastisch behaupten zu können.
Edward Berger hat das getan, in dem er sich sehr viele Freiheiten gegenüber dem Roman herausgenommen hat. Manche davon sind wirklich gelungen, manche allerdings auch weniger. Wenn der von falschem Ehrgeiz zerfressene Preußen-General Friedrichs zum Beispiel die komplett ausgelaugten Soldaten noch einmal ins gegnerische Trommelfeuer schickt, weil man ja noch 15 Minuten bis zum Inkrafttreten des längst vereinbarten Waffenstillstands hat, und jeder weiß, wie komplett, total, vollkommen und widerlich sinnlos diese letzte blutige Aktion doch ist und sich trotzdem jeder Soldat resigniert in sein Schicksal ergibt -genau dann hat Bergers Film seine ganz großen Momente!
Aber die in den Film eingebauten Szenen der Friedensverhandlungen der deutschen Politikerdelegation mit den französischen Generälen im Wald von Compiègne funktionieren dagegen z.B. nicht. Denn sie wirken eben auch genau so: "Eingebaut" -so, als ob man vor dem geistigen Auge schon eingeplant hätte, dass der Film mal ein Stück für den Geschichtsunterricht in der Schule werden soll.
Remarques Roman ist nun mal in allererster Linie die Geschichte des persönlichen Leidenswegs des jungen Paul Bäumer und es ist gerade diese Ich-Bezogenheit der Erzählung, welche die Geschichte so schmerzhaft eindrücklich macht.
Obschon sich der Film fast zweieinhalb Stunden Zeit nimmt, strafft er den Roman überraschend stakr: Der demagogische Lehrer Kantorek, der Pauls ganze Klasse zum Kriegsdienst aufhetzt, fehlt beispielsweise ebenso, wie die Episoden mit ihrem sadistischen Drill-Unteroffizier Himmelstoß im Ausbildungslager. Auch die beiden Kapitel mit Pauls Heimaturlauben und seiner Entfremdung von Freunden und Familie wurden ebenso weggelassen, wie Pauls Lazarettaufenthalt, seine verzweifelten Selbstgespräche über Leben und Krieg, oder auch die Geschichte mit seiner krebskranken Mutter.
Das ist sehr schade, denn dadurch verliert die Handlung natürlich auch an Tiefe: Paul bleibt als Figur leider meistens irgendwie unnahbar -es ist fast so, als würde man ihn aus einer Art "sicherer Distanz" leiden sehen.
Berger konzentriert stattdessen nahezu die gesamte Handlung auf das Schlachtfeldgeschehen: Dorthin wirft er seinen Protagonisten immerzu von einem Kampf in den nächsten. Und zugegeben, das macht er richtig gut: Die Kamera fängt stets wuchtige Bilder ein, egal, ob nun in der elegisch ruhigen Einstellung als langsamer Schwenk von oben über das leichenübersäte Schlachtfeld hinweg, als zittrig fahrige Handkamera durch die klaustrophobische Enge aus Matsch, Dreck und Angst der Schützengräben fahrend oder als rasante Begleitung der stramm nach vorne stürmenden Landser in einem Inferno aus Bomben, Granaten und Kugelhagel. Die Bilder sind stets eine perfekt eingefangene Ästhetik des Grauens, welche dem Thema absolut angemessen sind: Wenn dieser Film einen Oscar verdient hat, dann sicher den für die beste Kamera.
Die Figurenzeichnung bleibt dagegen leider eher blass: Pauls im Roman minutiös herausgearbeitete eigene innere Verwandlung sehen wir praktisch gar nicht. Und alle anderen Protagonisten haben schon schlichtweg zuwenig Bildschirmzeit, um überhaupt groß sichtbar werden zu können. Ausnahme davon ist maximal noch Albrecht Schuch, der es in der Rolle des Stanislaus "Kat" Katczinsky versteht, seiner Figur durch den Wechsel zwischen väterlichem Freund und kaltem Frontsoldaten ein echtes Profil zu verleihen.
Fazit: Mich hat der Film -trotz seiner beeindruckenden Bildsprache- eher enttäuscht. Ich musste auch erst eine Weile darüber nachdenken, warum er mich denn eigentlich enttäuscht hat, bis ich darauf kam: Im Roman steht Paul im Mittelpunkt und unser Entsetzen resultiert (trotz aller Kriegsgräuel) daraus, zu sehen, wie er sozusagen "auf Raten" stirbt; in Bergers Inszenierung steht dagegen eher der Krieg selbst im Mittelpunkt, wie er die Soldaten "auf Raten" umbringt.