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KritischUnabhängig
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3,0
Veröffentlicht am 25. Oktober 2011
„Carlos“ ist in der fünfstündigen Fassung definitiv zu lang. Das liegt mitunter daran, dass der Film etliche Terroranschläge aneinanderreiht, aber die Zeit zwischen diesen Anschlägen nicht nutzt. Dadurch entstehen immer wieder unnötige Längen, die „Carlos“ doch eher zu einem zähen Stück Geschichte machen. Trotz der überdurchschnittlich langen Spieldauer wird das Leben von Carlos vor 1970 überhaupt nicht beleuchtet. Gerade das wäre aber interessant gewesen, weil für mich nämlich völlig unklar ist wie ein 19-Jähriger Venezolaner in ein Trainingslager von palästinensischen „Freiheitskämpfern“ gelangt. Ich denke, hier hätte man wenigstens versuchen sollen, Hinter- und Beweggründe aufzuzeigen. Ansonsten werden 3-4 Stunden lediglich alle Anschläge, an denen er beteiligt gewesen sein soll, halb dokumentarisch abgearbeitet. Weniger wäre mehr gewesen. Das Ende des Films widmet sich dann Carlos' Zeit nach seinen terroristischen Aktivitäten bis zu seiner Festnahme im Sudan. Schauspielerisch bewegt sich der Film auf einem guten Niveau und auch sonst wird der Terror gekonnt dokumentiert. Über den Menschen Carlos und seine Hintergründe erfährt man aber leider zu wenig.
„Carlos“ entwirft über gut drei Stunden (Kinofassung) das Portrait eines Top-Terroristen, ohne dabei zäh zu werden. Die handwerkliche Klasse des Films, also Kamera, Ausstattung, Musik und nicht zuletzt das Schauspiel sichern im Zusammenspiel Spannung und Zuschauerinteresse. Es gelingt, sowohl das Faszinierende, als auch das Verabscheuungswürdige und Bigotte der Hauptfigur zu zeigen. Wenn es aber um Erklärungen geht, versagt „Carlos“ nahezu komplett. Sicher müssen prinzipiell weder politische Hintergründe, noch Motivationen historischer Personen im Detail dargelegt werden, ist letzteres wegen der Gefahr grober Vereinfachung sogar gefährlich, aber das völlige Außerachtlassen jedweder Thematisierung von terroristischen Nährböden beraubt dem Thriller der Möglichkeit, einen Beitrag zur Aufklärung des Phänomens „internationaler Terrorismus“ zu leisten. Mag sein, dass das überhaupt nicht gewollt war oder dass dahinter die lobenswerte Intention stand, dem Publikum das Denken nicht abzunehmen – so oder so bleibt eine verpasste Chance. „Carlos“ beschränkt sich in seiner ganzen Klasse nur aufs Zeigen, wo er doch mit ein bisschen mehr Fokus auf historische Rahmenbedingungen wirklich bedeutsam hätte werden können.