In den Neunzigerjahren erlebte Dieter Wedel seine Blütezeit als König des TV-Mehrteilers. Nach seiner bissigen Reise-Satire „Wilder Westen inklusive“ (1988) lieferte der Regie-Zampano mit der ungeheuer sympathischen Kaufhaus-Saga „Der große Bellheim“ (1993) und dem spannenden Undercover/Mafia-Krimi „Der Schattenmann“ (1996) zwei herausragende Werke ab, bevor die Erfolgsserie mit dem lahmen Kiez-Epos „Der König von St. Pauli“ (1998) durchbrochen wurde. Mit der soliden Wirtschaftpolitik-Saga „Die Affäre Semmeling“ (2002) ging es wieder aufwärts. Bei seiner neuen Hochstapler-Satire „Gier“ musste Wedel aber wie schon in dem Scheidungsdrama „Papa und Mama“ (2006) den Budgetkürzungen der Fernsehanstalten Tribut zollen und sich auf zwei Teile beschränken. Allerdings trägt die Geschichte, die Wedel seltsam anachronistisch in Szene setzt, kaum die 180 Minuten, die der Film nun dauert.
Dieter Glanz (Ulrich Tukur) ist der neue Goldesel der Hamburger High Society. Der Finanzjongleur hat einen illustren Freundeskreis um sich versammelt, der ihm das Geld für abenteuerliche Investments geradezu nachwirft. 1.300 Prozent Rendite verspricht Glanz seinen Anlegern, die ihm die Bude einrennen. Andy Schroth (Devid Striesow) ist mit seinem Job als Angestellter einer Immobilienfirma unzufrieden. Er kratzt sein gesamtes Geld zusammen und leiht sich noch viel mehr von Freunden und Verwandten hinzu, um über Glanz groß abzusahnen. Allein 1,5 Millionen Euro investiert er, während die elitäre Sippe von einer rauschenden Party zur nächsten tingelt und ihren weltmännischen Guru Glanz als Wasser in Wein verwandelnden Finanzgott abfeiert. Zu dem exklusiven Club zählen auch der prollige Unternehmer Leon Grünlich (Uwe Ochsenknecht), der Juwelier Alfi Baumer (Kai Wiesinger) und der millionenschwere Firmenerbe Hajo Novak (Harald Krassnitzer). Als sich die angekündigten Auszahlungen der Gewinne immer wieder verschieben, wird Glanzs Klientel langsam unruhig, aber noch vertröstet er seine „Freunde“ erfolgreich. Weil die Steuerfahndung ihm in Hamburg im Nacken sitzt, hat sich Glanz mittlerweile nach Kapstadt abgesetzt, wohin ihm auch seine Gläubiger folgen…
2003 erschütterte ein Eklat die Welt des erfolgsverwöhnten TV-Regisseurs Dieter Wedel und leitete dessen schleichenden Abstieg ein. Die Stadt Hamburg hatte seinen berühmten Bewohner damit beauftragt, einen Imagefilm für die Bewerbung der Metropole für die nationale Ausscheidung zu den Olympischen Spielen 2012 zu drehen. Kurz vor der Präsentation beim Nationalen Olympischen Komitee zog Hamburg den Beitrag Wedels völlig überraschend zurück, weil dieser vollkommen am Thema vorbei inszeniert hatte und sich die Stadt nicht blamieren wollte. Der harte Schlag ins Gesicht kratzte gewaltig am großen Ego des Meisters. Mit „Gier“ wollte Wedel sich nun endgültig zurückmelden. Die Chancen standen nicht schlecht. Der selbstbewusste Regisseur nahm den realen Fall des Betrügers Jürgen Harksen, der Ende der Achtzigerjahre die Hamburger Promiszene nach Strich und Faden ausnahm und später vom Landgericht Hamburg zu sechs Jahren und neun Monaten Haft verurteilt wurde, als Vorbild für seinen Dieter Glanz.
Was „Gier“ von Beginn an behindert, ist Wedels seltsam antiquierter Regiestil. Schaut man sich heute „Der Schattenmann“ an, ist der einst grandiose Sechsteiler immer noch toll, hat aber inzwischen schon deutlich Staub angesetzt. Und genau dieser Staub garniert auch „Gier“ unvorteilhaft. Sein Inszenierungsstil scheint in der Zeit stehen geblieben zu sein. Die Charaktere wirken allesamt wie Fernsehdinosaurier, die nicht einmal von der etablierten Darstellerriege gerettet werden können. Die Charaktere scheinen einem Paralleluniversum entsprungen, weil Wedel die Figuren überzieht, ohne daraus aber satirische Schärfe zu ziehen. Er macht aus seinem Personal Witzfiguren und Pappkameraden.
Da kann der ein eigentlich immer überzeugende Devid Striesow (Lichter, So glücklich war ich noch nie, This Is Love) noch so gegen anspielen, Erfolg ist ihm ebenso wenig beschieden wie Ulrich Tukur (Das Leben der Anderen, John Rabe), der hier im luftleeren Raum agiert. Seine Vorstellung scheint zwar makellos, aber eine Erklärung für das Handeln des Hochstaplers Glanz liefert er in keiner Sekunde. Sein Charakter bleibt pure Behauptung. Am besten kommt noch Uwe Ochsenknecht (Das Boot, Die Bluthochzeit, Erleuchtung garantiert) weg, der als ruppiger Unternehmer immerhin Ereignischarakter hat. Die Frauen sind nur schmückendes Beiwerk, die ihren Männern bestenfalls zur Seite stehen oder eben auch das nächstbeste Alphamännchen vögeln, wenn das eigene nicht mehr genug Dampf hat.
Dramaturgisch kommt „Gier“ nie so richtig von der Stelle. Nachdem die Geschichte in Gang gesetzt ist und alle auf die angekündigte Auszahlungen warten, wiederholt sich das Prozedere lange Zeit… Glanz hat kein Geld, verspricht Ausschüttung, die Gläubiger sind freudig erregt, es fließt kein Cent, der Ärger ist groß… und dann geht das Spiel wieder von vorne los. Der einzige Punkt, in dem „Gier“ vollends überzeugt, sind die Produktionswerte. Wenn die Welt schon zugrunde geht, dann bitte möglichst edel. Und das zeigt Wedel auf gewohnt elegante Weise.
Fazit: Mit der Hochstapler-Satire „Gier“ greift Dieter Wedel ein hochspannendes Thema auf, das in Zeiten riskanter Investments, die den internationalen Bankensektor gerade erst an den Rande des Abgrund gedrängt haben, aktueller ist denn je. Doch atmosphärisch haut Wedel daneben und präsentiert ein seltsam aseptisches Kuriositätenkabinett an Figuren, das nie dem Vergleich mit der Realität – auch nicht in überspitzter Form – standhalten kann.