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    With Gilbert & George
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    With Gilbert & George
    Von Sascha Westphal

    Seit 1968, als der in Südtirol geborene Gilbert Proesch und der aus Devon stammende George Passmore erstmals gemeinsam als „lebende Skulpturen“ auftraten, hat das Künstlerduo Gilbert & George mit seinen Arbeiten und Performances immer wieder für Aufsehen gesorgt. Vor allem in den Medien wurden die beiden, die immer nur zusammen auftreten und auch privat ein Paar sind, mit schöner Regelmäßigkeit heftig angegriffen und nicht selten offen angefeindet. Ihre meist um großformatige Fotos herum entwickelten Werke mit Titeln wie „Paki“ oder „Patriots“ sind gerade von linken Feuilletonisten und Kunstkritikern als Ausdruck rechter – wenn nicht gar rassistischer – Überzeugungen gewertet worden. Dieser tendenziösen Sicht tritt der Filmemacher Julian Cole mit seiner Dokumentation „With Gilbert & George“ entgegen. Sein Film, bei dem er auf Material aus mehr als 20 Jahren zurückgreifen konnte, ist ein faszinierendes, sehr intimes Porträt des Künstlerpaars und zugleich ein wahrhaft epochales Dokument zeitgenössischer Kunstgeschichte, das es verdient, in einem Atemzug mit Henri-Georges Clouzots Klassiker „Picasso 1955“ genannt zu werden.

    Den Konventionen biographischer Dokumentationen folgend spannt Julian Cole einen Bogen, der von der Geburt der beiden Künstler bis hin zu ihren spektakulären Ausstellungen in der letzten Dekade des vorherigen und der ersten des jetzigen Jahrhunderts reicht. So kann er den Weg des wohl berühmtesten Paares der Kunstgeschichte in seiner ganzen Eigenwilligkeit nachzeichnen. Dass dabei den großen Werkschauen in Russland und in China, bei denen Cole die beiden begleitet hat, eine ganz besondere Bedeutung zukommt, versteht sich praktisch von selbst. Schließlich illustrieren sie am deutlichsten, was Gilbert & George meinen, wenn sie sagen, dass sie „Kunst für alle“ machen. Diesem hehren Ziel, nicht nur für einen Zirkel Eingeweihter zu arbeiten, hat sich auch Cole verschrieben. Sein biographischer Ansatz ist eben kein Zugeständnis an Konventionen, er schafft vielmehr die größtmögliche Transparenz.

    1986, ein Jahr bevor er mit „Ostia“, seinem transgressiven Kurzfilm über den Tod Pier Paolo Pasolinis, einen kleinen Meilenstein des britischen Queer Cinema schuf, stand Julian Cole dem Künstlerpaar Modell. Seither verbindet ihn eine Freundschaft mit Gilbert & George, aus der auch diese Dokumentation erwachsen ist. Die Nähe zwischen dem Filmemacher und den von ihm Porträtierten ist in jeder Einstellung des Films zu spüren – vor allem in der rückhaltlosen Offenheit, mit der Gilbert & George vor Coles Kamera auftreten. Doch sie hat Coles Blick nicht einen Moment lang getrübt. Ohne sie wäre diese radikal objektive Innenansicht eines Künstlerpaares, dessen größtes Kunstwerk ihr eigenes Leben ist, gar nicht möglich gewesen.

    Gilbert & George – das ist auch ein ewiger innerer Widerspruch. Seit beinahe 40 Jahren leben die beiden in Spitalfields, einem armen Arbeiterviertel im Londoner East End, durch das sie Tag für Tag in ihren überkorrekten grauen Anzügen spazieren – der Kontrast könnte kaum größer sein. Das gilt genauso für ihre avantgardistische Kunst, mit der sie unter anderem zu Umwertung des einstmals diskriminierenden Ausdrucks „queer“ beigetragen haben, und ihre konservativen politischen Ansichten und ihre Nähe zu den Tories. Einmal benennen sie diesen zentralen Gegensatz selbst und bezeichnen sich als „konservative Anarchisten“.

    Julian Cole versucht erst gar nicht, diesen Widerspruch aufzulösen. Er breitet ihn einfach in all seinen schillernden Facetten aus und stößt damit ins Zentrum des Denkens von Gilbert & George wie auch der modernen „Queer Studies“ vor. Letztlich ist auch dieser Gegensatz nur ein Produkt der (westlichen) Kulturgeschichte, die für alles Begriffe und Schubladen braucht. Nur passt dieses Künstlerpaar eben in keine von ihnen hinein. Also musste es sich seinen eigenen Raum schaffen, der das rein Artifizielle, das von der Gesellschaft Erzwungene gängiger Denk- und Verhaltensmuster sichtbar macht und zugleich aushebelt.

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