„Little Miss Sunshine“, „Juno“, „Away We Go“ und der vor kurzem erschienene, wunderbar-gespielte Streifen „Up In The Air“ fahren allesamt im erfolgreichen, weil frischen und modernen Fahrwasser der intelligenten Independent-Tragikomödien. Dass sich jene prinzipiell als Highlights eines Kinojahres bezeichnen lassen, verdanken sie oftmals einem unkonventionellen, schlüssigen und äußerst amüsanten Drehbuch, authentischen und doch eigenwilligen Charakteren und bemerkenswerten Darstellerleistungen. All diese Motive möchte man im aktuellen Independent-Film „The Kids Are All Right“ von Lisa Cholodenko ebenso wieder- und gut finden. Dass sich diese Suche als absolut lohnenswert herausstellen würde, hätte ich nach verhaltenen Rezessionen bei der Berlinale Anfang des Jahres für nicht mehr möglich gehalten. Doch Kino ist neben Unterhaltung eben auch Belehrung. Im Falle dieser Komödie des Jahres lässt man sich gerne belehren – und unterhalten.
Ausgangssituation des Plots ist realistisch wie außergewöhnlich zugleich und eben der Antagonismus versprüht doppelten Spaß und Tragik. Der Film weicht geschickt der möglichen Falle aus, die Ehe zwischen zwei Lesben, welche zu allem Überfluss auch noch zwei künstlich gezeugte Teenager im Haushalt unterbringen, unnötig zu trivialisieren. In Erklärungsnot oder Anlässen zur Rechtfertigung sieht sich das durch und durch intelligente Drehbuch nie. Die Charaktere, deren Lebenswirklichkeiten und Entscheidungen sind etabliert, emanzipiert und damit erfrischend anders und modern gelöst. Aller Modernität zum Trotz muss sich jedoch der Film eingestehen, dass er im Handlungsstrang stellenweise in die Fänge eines konventionellen Konstrukts gerät, der sich weniger stimmig in eine sonst so alternative Komödie einfügt. Darüber lassen jedoch pointierter Wortwitz und brillante Situationskomik hinwegsehen, die zum Brüllen komisch wie traurig sind und damit Herz und Verstand gleichermaßen wundervoll bedienen – ein Kunststück, welches sich rar in der vergangenen Kinosaison gemacht hat.
Neben einem sicherlich für den Oscar nominierten Drehbuch glänzt vor allem die Schauspielerriege, angeführt von einer Idealbesetzung namens Moore und Bening. Wenn sich die beiden über partnerschaftliche Sexualität und neue Grenzüberschreitung, persönliche Ängste und Nöte oder über alltägliche Themen im Sinne Small-Talk-Öde im hauseigenen Badezimmer unterhalten, verdrängt man augenblicklich den Gedanken, die Arbeit zweier ausgezeichneter Schauspielerinnen in einem Studio vor einer Kamera zu beobachten. Ihre natürlich wirkende Interaktion, die Chemie zwischen den beiden Hollywoodgrößen nimmt den Zuschauer unmittelbar für sich ein und vermittelt ununterbrochen das Bild eines lesbischen Haushalts. Das ist großartiges Schauspielkino in allen emotionalen Hinsichten und ein längst überfälliger Oscar-Regen in ausnahmslos jeder Szene, der sich hoffentlich für beide bei der nächsten Verleihung im Februar bewahrheiten wird. Verdient hätten sie es beide. Der ewig unterschätzte Mark Wahlberg als liberaler, hipper Samenspender präsentiert seine bislang beste Leistung, zwar wieder in einer Nebenrolle, die er aber durch eine gekonnte Portion Charme und fantastischer Präsenz zu einer heimlichen dritten Hauptrolle transformiert. „Alice im Wunderland“-Darling Mia Wasikowska und dem jungen Matt-Damon-Verschnitt Josh Hutcherson stehen den großen in nichts nach und komplementieren ein herrlich natürliches und ergreifend gespieltes Ensemblestück im besten Sinne.
Zwar bleiben filmtechnische Kniffs aus und Cholodenkos Arbeit ist mit Sicherheit kein Paradebeispiel in Sachen Innovation, doch sind die Darsteller vor der Kamera bekanntlich immer so gut wie die Darsteller dahinter. Betrachtet man die Arbeit der Regisseurin aus dieser Perspektive, muss man unzweifelhaft gestehen, dass die „reale Lesbe“ des Films alles richtig gemacht hat.
„The Kids Are All Right“ ist für mich persönlich die Komödie des Jahres und hat demzufolge nicht nur Jason Reitmans tragisch-bissige Satire “Up In The Air” erfolgreich verdrängt, sondern sich auch ein gemütliches Plätzchen in der Top-Ten der besten Filme 2010 sichern können. Sie hat einen ungeheuren Charme wie kein anderes Filmjuwel aus den vergangenen zwölf Monaten und kommt durch erfrischende Authentizität in Kopf und Herz des Publikums an. Tragisch komisch, herzergreifend ehrlich, liebenswert anders. Und dazu erschreckend viel Platz für eigene Familien-Identifikationen.