Genereller Spoiler-Alarm (damit ich nicht jeden zweiten Satz markieren muss):
Und vorsicht: Langer Text, ich neige ebenfalls zum Ausschweifen.
Vorweg:
Der Dunkle Turm ist für mich persönlich der heilige Gral der Literatur. Das muss man mal so stehen lassen und sich dann fragen, ob der Typ, der diese Rezension schreibt, noch alle Latten am Zaun hat. :-)
King ist natürlich kein großer Literat im Sinne eines Schriftstellers, der höchste Ansprüche an den Leser stellt, ich weiß… das beansprucht er für sich auch gar nicht. Er schreibt Geschichten, die meist sehr geradlinig verlaufen. Selbst in umfangreicheren Werken wie „Es“ verlaufen die einzelnen Handlungsstränge (sowohl die vergangenen als auch die gegenwärtigen) recht linear, vom Leser wird diesbezüglich nicht besonders viel abverlangt. DAS ist King, wie ich ihn kennen und mögen gelernt habe. Er schreibt eine Geschichte, die man entweder mag oder nicht. Nach meinem Empfinden hat King oft eine tolle Idee, fängt an zu schreiben, die Story verdichtet sich und zum Schluss…. na zum Schluss hat man als Leser oft so das Gefühl, dass man sich lieber die letzten hundert Seiten des Buches geschenkt und sich ein eigenes Ende ausgedacht hätte.
Ich lese King seit ich 13 bin. 1994 zu Weihnachten habe ich von meiner Oma die 5 Hörbuchkassetten „Schwarz“ (gelesen von Klaus Guth) geschenkt bekommen, den ersten Band Der Turm-Saga. Ich habe mich parallel ans Hören und Lesen gemacht… irgendwie kam ich in die Story nicht richtig rein. Roland, der Revolvermann hatte für mich keinen emotionalen Anker, an dem ich mich mit ihm hätte identifizieren wollen, überhaupt traten keine Charaktere auf, die ich als Jugendlicher mit mir verband… keiner außer Jake… und Jake wurde getötet… sogar gleich zweimal… und einmal mehr oder weniger von Roland selbst… ich habe mich irgendwie betrogen gefühlt, mich an der Seite eines solchen Besessenen wie dem Revolvermann durch ein Buch durchzuquälen, das mir unendlich langatmig und stellenweise langweilig erschien, obwohl es doch im Vergleich zu anderen Büchern, die ich zu dem Zeitpunkt schon gelesen hatte, eher eine überschaubare Seitenzahl hatte.
Gegen Ende des Buches Schwarz führen Roland und der Mann in Schwarz ein Gespräch. Da jagt dieser Typ mit Revolvern das ganze Buch über diesen Kerl in Schwarz und am Ende sitzen sie da am Feuer und quatschen… ich habe das als Jugendlicher nicht erwartet. Und während sie so reden über die Größe des Universums und die Nichtigkeit des Seins, erwächst in mir das Gefühl, dass es einfach mehr als das Augenscheinliche und Offensichtliche geben muss… nicht, Gott, nicht Schicksal, sondern eine Größe, die so gewaltig ist, dass sie alles andere in der Dimension eines Staubkorns erscheinen lässt (oder wie in dem Fall des Gespräches als Atom in einem Grashalm). Die Idee unendlicher Welten in den Welten ist nicht neu, sie eröffnete mir aber einen Zugang zu der weiteren Geschichte um den Dunklen Turm.
So betrachtete ich retrospektiv die Mühe, die ich mir mit Schwarz machte als eine mir verdiente Eintrittskarte in die Welt des Revolvermanns. Dass Jake dann im zweiten Band „Drei“ wieder auftauchte und schließlich in „tot“ zurückkehrt und Roland sich zu diesem Zeitpunkt verändert hat, „heller“ wurde, zugänglicher, emotionaler… hat mich in der Auffassung bestärkt, dass es sich gelohnt hat, diese Geschichte nicht zu früh aufzugeben. Nach „tot“ (1994) sollte ich also erst mal ein paar Jahre warten… und das zu einer Zeit, in der mich Selbstzweifel, Melancholie, Omnipotenzdenken und gleichzeitiger Nihilismus in der vollen Härte in Form der sogenannten „Pu-ber-tät“ beschäftigten. In dieser Zeit gab mir „der Pfad des Balkens“ eine gewisse Richtlinie, hielt mich selbst in einer Balance. Ich begann, eigene Kurzgeschichten zu schreiben und wollte den Stil Kings treffen. Ich entwickelte 1995 die Idee, dass mir dies am besten gelänge, wenn ich die Geschichte um den Dunklen Turm abtippe… rückwirkend betrachtet vielleicht Zeitverschwendung, andererseits tippe ich mit sechs Fingern auch heute noch fast so schnell wie manch einer sprechen kann...
Was ich damit sagen will: Alles benötigte seine Zeit. Es brauchte fast 12 Jahre, bis King diesen ersten Roman der Reihe fertiggestellt hat. Es benötigte Zeit und Geduld, als Leser in die komplexe Welt einzutauchen und es benötigte Zeit, eine persönliche Beziehung zu den Hauptcharakteren aufzubauen. Fast 20 Jahre wartete ich dann auf den heutigen Tag, auf den Tag, an dem der Epos des Dunklen Turms endlich in die Kinos kommt…
Ich schrieb damals mit 15 - inspiriert vom Drehbuch von "Der Werwolf von Tarker Mills" - als Schreibübung die ersten Kapitel des Dunklen Turms, wie ich ihn mir auf dem Screen vorstellte. Und ich hätte den Film sehr linear umgesetzt. Ich hätte mit der Zwischenstation begonnen, in der sich Roland und Jake das erste Mal begegneten. Ich hätte - damit es nicht so lange dauert, bis man den tatsächlichen Bezug zu unserer Version der Welt bekommt - direkt mehr Elemente aus Jakes Leben in New York mit rein gebracht, ich hätte die Durchquerung der Wüste kurz gehalten und die gesamte Episode aus der Kleinstadt Tull raus gelassen (vielleicht später in Form von Rückblenden kurz aufgegriffen), ich hätte Roland von Anfang an etwas zugänglicher als in den Büchern gemacht, damit man ihn nicht schon gleich verabscheut….
nun zu dem Film:
Das, was ich mir damals mit 15 vorgestellt habe, haben sie auch tatsächlich in der Filmadaption mehr oder weniger so gemacht… aber selbst ich bemerkte damals nach dem Schreiben der ersten Seiten Drehbuch, dass das so unmöglich die Stimmung der Geschichte wiedergeben wird… es fehlte mir dabei einfach die geradlinige konsequente Entwicklung des Revolvermanns…. nachdem man "Glas" gelesen hatte und dadurch einen Einblick in die Entwicklung des jungen Revolvermanns, dem Verlust seiner Liebe und seines Ka-Tet erhalten hat, wurde "Schwarz" irgendwie "Halbschwarz"…es wurde deutlicher und heller, Roland erschien wesentlich mehr ausdifferenziert....aber das benötigte - wie schon gesagt - Zeit.
In einem knapp anderthalbstündigen Film kann das alles nicht aufgegriffen und umgesetzt werden, das ist klar… wenn man das aber nicht kann, sollte man es aber vielleicht auch nicht anreissen. Es sind als "Appetithappen" einfach zu viel vorweggenommene Informationen aus den verschiedenen Büchern in diese kurze Zeit gepackt.
Es erscheinen die Taheen, das Devar-Toi, das Dixie Pig, Merlyns Kugeln, die Brecher und - schon in der ersten Minute des Films - der Turm selbst…. das geht meiner Ansicht nach gar nicht. Erst im letzten Band der Buchreihe ("Wind" lasse ich als eigenständiges Werk jetzt mal aus dem Zyklus draussen) wird der Leser wie ein Begleiter einer schmerzvollen und langjährigen Odyssee mit der Anteilnahme an der universellen Größe des Turms, von der im Gespräch des Mannes in Schwarz und dem Revolvermann im ersten Band "Schwarz" die Rede war, belohnt. Hier dem Zuschauer schon direkt zu Beginn des Films ein Bildnis des Turms zu zeigen, gleicht in meinen Augen einem blasphemischen Akt und liegt meiner Ansicht nach nur in einem Wort begründet: Effekthascherei.
Man hat ohnehin insgesamt den Eindruck, dass einerseits verdeutlicht werden soll, dass die Geschichte noch lange nicht zu Ende ist, dass man andererseits aber für den Fall, dass der Film doch nicht weitergeführt wird, einen eigenständigen Streifen kreieren wollte, in dem dann wenigstens ein bisschen von allem - und vor allem auch der Turm selbst - zu sehen ist. Mit dieser Strategie macht man es unter Umständen aber niemandem wirklich recht.
Ich als eingefleischter Turm-Junkie kann mit vielen Veränderungen zwischen Buch und Film gut leben. So lösten sich meine anfänglichen Befürchtungen bezüglich der Besetzung ziemlich schnell im Laufe des Films auf.
Idris Elba hat die "edle" Aura des Revolvermanns mit - etwas übertriebenem - Pathos gut verkörpert. Da sehe ich auch darüber hinweg, dass er fast eine Minute braucht, um auf die Idee zu kommen, sich von den "Baumschlingpflanzententakel", die ihn festhalten, mit seinem Messer loszuschneiden, nachdem er seine Revolver verloren hat. Auch war es wohl dem dramaturgischen Effekt geschuldet, dass der Revolvermann, der in den Büchern anscheinend noch nicht mal richtig schlafen muss, sondern mehr oder weniger in einem Zustand ständiger Vigilanz durch die Welt rennt, hier im Film nicht mitbekommt, dass Jake aufsteht, durch den Wald mitten in die Arme irgendeines bösen Dämons läuft und er erst aufwacht, nachdem der Mann in Schwarz ihm im Traum eine Botschaft schickt. So konnte er den Jungen natürlich im letzten Moment retten, was immer noch besser wirkt, als ihn - wie im Buch - irgendwo in einem dunklen Berg die Tiefe runter stürzen zu lassen.
Der Mann in Schwarz, verkörpert durch Matthew McConaughey, wirkt trotz der schwarz gefärbten Haare - was ich persönlich nach wie vor stylistisch als weder notwendig noch sinnvoll erachte - so, wie ich es mir bei der Besetzung erhofft habe: Seine Untergebenen oder Widersacher mit einem Sunnyboy-Lächeln auf den Lippen ohne mit der Wimper zu zucken killend.
Auch Tom Taylor leistet als Jake Chambers gute Arbeit. Seine Rahmengeschichte hat mich zunächst etwas verunsichert, da im Film sein Vater gestorben ist und seine Mutter einen neuen Partner hat. Wenn damit auch ein wenig von der Atmosphäre dessen verloren geht, was seinen Hintergrund im Buch ausmacht (ein Vogel in einem goldenen Käfig, der alles hat, was er braucht, außer einer tatsächlichen Bindung zu irgendjemandem außer vielleicht der Haushälterin Miss Greta Shaw). In den Büchern betrügt Jakes Mutter ihren Mann mit ihrem Masseur, die Parallele zwischen Jakes und Rolands Eltern wird dadurch deutlicher als durch den Tod von Elmar Chambers. Im Film wird also die Beziehung zwischen Vater und Sohn positiv dargestellt und genutzt, um den Jungen emotional zu treffen, als der Dämon die Gestalt des toten Vaters annimmt, um sich des Jungen zu bemächtigen.
Kurzum: Jakes Isolation in den Büchern ist nicht auf ein seltsames Verhalten seinerseits zurückzuführen, während im Film seine für Außenstehende als psychische Störung betrachteten Visionen ihn nach und nach in eine isolierte und verzweifelte Position bringen….kann man zwar machen, mir gefiel die Story um Jake in der Buch-Version aber besser, weil seine "Andersartigkeit", sein - wie es in dem Film genannt wird - "Shining" eigentlich nur das I-Tüpfelchen zu seinem tragischen Leben ist… und ich empfinde emotionale Vernachlässigung eines Kindes schlimmer als den Tod eines geliebten Elternteils, aber vielleicht wirkt "Tod" einfach im Film schneller und besser.
Zu den Charakteren selbst ist also eigentlich nicht viel zu meckern. DAS macht auf jeden Fall Lust auf mehr und könnte auch die Möglichkeit eröffnen, dass der nächste Film - wenn denn einer folgt - etwas mehr in die Tiefe der Charaktere geht. Ich sehe hier aber momentan zu viel Kalkül und mangelnden Mut, so als wolle man erst nach einer Bilanzierung des Erfolges oder Misserfolges dieses Films überlegen, wie und ob es weitergeht. Das ist mehr als schade, denn die zwangsläufigen Unterschiede im Drehbuch zu der Buchreihe (kein Fan hätte wirklich eine 1:1-Umsetzung erwartet) sind mit dieser durchaus gelungenen Besetzung gut zu kompensieren.
Etwas mehr Ruhe und Zeit und etwas weniger verschiedene Anteile aus allen Büchern hätte hier in diesem Film aber echt Not getan. Ich frage mich nämlich, was die Suche nach dem Turm jetzt noch soll, nachdem das Devar-Toi und die Brecher dem Erdboden gleichgemacht wurden und der Turm nicht mehr weiter angegriffen wird.
Der scharlachrote König wurde zwar in dem Film erwähnt, jedoch wirkt es in dem Film, als habe der Mann in Schwarz die alleinige Befehlsgewalt, zumal ER offenbar die Kugeln Merlyns besitzt. Wirkt also auch so, als wolle man sich ein Ass in der Hinterhand behalten, falls der Film weitergeht. Wie aber die Suche nach dem Dunklen Turm wieder aufgegriffen werden soll, ohne sich in zu viele Fehler zu verstricken, bleibt abzuwarten und gibt mir zu denken.
Jetzt noch ein paar Klugscheißer-Anmerkungen:
Die "Fundamentale Welt" ist UNSERE Welt…. also keine Hollywood-Version unserer Welt und keine Roman-Version….dies wird gerade in den Büchern immer wieder erwähnt, so liegt die Co-Op-City in Eddies Version der Welt in Brooklyn anstatt in der Bronx. Wenn im Film der Mann in Schwarz in Midtown an einem Schild vorbei läuft, das in Richtung "Broadway" zeigt, er aber direkt im nächsten Schnitt im Haus, das ein Portal beinhaltet in Brooklyn erscheint, dann hat das meiner Ansicht nach entweder den Grund, dass
a) gezeigt werden soll, wie schnell der Mann in Schwarz mehr als 10 Meilen zu Fuß geht oder
b) man mit "Broadway" eine Anspielung auf Broadcloak machen wollte, als kleines "easteregg" für die Fans, die wissen, dass Walter auch Marten Broadcloak, der Geliebte von Rolands Mutter Gabrielle war.
c) wenn b) zutrifft, man darauf aufmerksam machen wollte, dass in den verschiedenen Variationen der Welt eben der Broadway direkt in oder nahe Brooklyn liegt.
Ein "fundamentaler" Fehler ist den Filmemachern dabei aber wohl in jedem Fall unterlaufen: Die "fundamentale Welt" ist UNSERE Welt, wie sie wirklich ist… diese Tatsache ist immer wieder in der Buchreihe ein wichtiges Element, wenn wir von Realität oder Parallelwelt reden… es ist also nett, im Film eine "King Jewelry" einzubauen, die es sogar tatsächlich in der Bronx gibt (wenn auch nicht die im Film gesehene) dass aber "Barlow and Straker" auch mit ihrem Geschäft in den Film gebracht werden, entlockt den hartgesottenen King-Fans zwar ein Schmunzeln, lässt aber darauf schließen, dass niemandem bewusst war, dass gerade die Fans dadurch bemängeln könnten, dass es sich also nicht - wie im Film erwähnt - um die fundamentale Welt handeln kann.
Ach ja: Beschwören kann ich es nicht, aber ich meine mehr als einmal mehr als 12 Schüsse aus beiden Revolvern gehört zu haben, bevor Roland wieder nachlud…. so was interessiert aber wohl auch niemanden sonst.
Fazit:
Kurzversion des Films:
Junge mit Visionen (Shining) trifft - nachdem er vor Mitarbeitern der Klapse flieht, die in Wirklichkeit Diener des schwarzen Magiers sind und Kinder mit diesem Shining entführen - auf Revolvermann, der schwarzen Magier jagt, weil der seinen Papa getötet hat, Magier will Jungen mit starkem Shining, um Dunklen Turm kaputt zu machen, Revolvermann und Junge nehmen Abkürzung zu schwarzem Magier über Portal, das in unserer Welt liegt, dadurch lernt Revolvermann Coca Cola und Schmerztabletten kennen und lieben, Junge und Revolvermann befreien zurück in der Welt des Revolvermanns nicht die anderen Shining-Kinder, sondern machen statt dessen gemeinsam den schwarzen Magier mitsamt allen unschuldig entführten Kindern platt…. weil böser Magier alle dem Jungen nahestehenden Menschen gekillt hat, der Revolvermann auch alleine durch die Welt zieht, ziehen sie fortan gemeinsam durch die Welt des Revolvermanns. Ende.
Was soll man dazu sagen? Wo der erste Band der Buchreihe zu langatmig war, haben sie mit diesem Film das Gegenteil gemacht…. ich kann also nur hoffen, dass eine geplante Serie mehr die Komplexität beleuchtet, die diese Geschichte ausmacht. Der Turm wackelt, aber er ist noch nicht gefallen.