Ist in der Welt der Großwäschereien wirklich alles so blütenweiß, wie es den Anschein hat? Hans-Christian Schmid hat diesem Mysterium nun einen Dokumentarfilm gewidmet. Anhand von vier Einzelschicksalen zeigt er ein vielschichtiges, globalisierungskritisches und visuell ansprechendes Porträt der Textilreinigungsbranche. Die eingangs gestellte Frage beantwortet „Die wundersame Welt der Waschkraft“ dabei erwartungsgemäß mit „Nein“!
Vier Frauen - vier Geschichten: Die alleinerziehende Beata arbeitet in einer deutschen Wäscherei in Polen. Sie lebt mit ihren drei Kindern, ihrem Freund und dessen Ex-Frau in einer kleinen Wohnung. Aufgrund der vielen Arbeit sieht die Mutter ihren Freund und ihre Kinder nur selten. Lidia, die Mutter von Beata, macht sich auf die Suche nach einem besseren Leben: Sie reist nach Schottland, um dort für ein halbes Jahr Tulpen einzutopfen. Sie stellt jedoch fest, dass das Leben dort für sie auch nicht einfacher ist. Monika und ihr Mann arbeiten ebenfalls im Schichtdienst und sehen sich nur selten. Monika sorgt sich um ihre Tochter Marta, die ihren Job in der Wäscherei verloren hat und nun einen Kosmetiksalon eröffnen will…
Wahrscheinlich haben sich die wenigsten Gäste des Nobelhotels Grand Hyatt Berlin Gedanken darüber gemacht, welchen Weg die Handtücher haben, die im blitzeblanken Badezimmer hängen. In jedem Zimmer fallen täglich um die acht Kilo Wäsche an, die aber nicht in Deutschland, sondern – aufgrund der niedrigeren Löhne - im Nachbarland Polen (genauer: in der Kleinstadt Gryfin) von der deutschen Wäscherei Fliegl gereinigt werden. Täglich wird die Wäsche per Lastwagen hin und her chauffiert. Mit Beata, Monika, Lidia und Marta stehen drei Generationen von Frauen im Mittelpunkt von „Die wunderbare Welt der Waschkraft“, die durch ihre Arbeit in der Wäscherei Fliegl direkt mit den Auswirkungen der Globalisierung verknüpft sind. Polens Beitritt zur Europäischen Union hat die Grenzen zu Deutschland zwar geöffnet, doch der Reichtum des westlichen Nachbarn liegt für die polnischen Arbeiterinnen noch immer in weiter Ferne.
Hans-Christian Schmid (23, Crazy, Lichter, Requiem, Sturm) ist „Die wundersame Welt der Waschkraft“ mit einem ungewöhnlich offenen Konzept angegangen – ein Ansatz, der ihn gerade im Kontrast zu seiner Spielfilmarbeit reizte. So gab es kein Drehbuch, stattdessen begleiteten er und sein kleines Team eine Gruppe von Menschen über ein paar Monate hinweg - mit einer nicht mehr als skizzenhaften Absichtserklärung im Kopf. Ursprünglich verfolgte Schmid den Plan, einfach mit einer Videokamera in die Wäscherei zu fahren und möglichst viele der 400 dort beschäftigten Menschen zu interviewen. Doch die Arbeiter fürchteten, ihnen würde durch die Interviews zu viel Arbeitszeit verloren gehen. Deshalb disponierte der junge Filmemacher um und sprach über mehrere Tage hinweg gezielt Beschäftigte an. Letztlich kamen nur kurze Interviews mit knapp 40 Mitarbeitern dabei heraus. Dafür aber konnte Schmid nun einige wenige Personen umso intensiver in seine Dokumentation einbinden.
„Man sammelt Material, noch ohne eine abgeschlossene Vorstellung der Dramaturgie im Kopf. Die Arbeit am Schneidetisch hat mehr Gewicht als der Schnitt eines Spielfilms.“ - Hans-Christian Schmid
Bei Dokumentarfilmen steht meist die Vermittlung von Informationen im Vordergrund. Der Unterhaltungsaspekt und auch die Ästhetik bleiben dabei oft auf der Strecke. Doch Schmid ist mit seinem Drei-Mann-Team, bestehend aus ihm, Bogumil Godfrejów (Kamera) und Malgorzata Zacharko-Galinska (Produktionsleiterin und Übersetzerin), immer ganz nah dran am Geschehen. Und das sieht nicht nur sehr gut aus, sondern schafft zugleich auch eine unheimliche Nähe zu den vier Frauen. Genau wie bei Lichter hat Schmids Stammkameramann Godfrejów mit einer Schulterkamera gearbeitet und versucht, das Geschehen so direkt wie möglich einzufangen. So übertragen die Einstellungen die emotionale Essenz der Szenen unmittelbar auf den Zuschauer.
„Die wundersame Welt der Waschkraft“ verzichtet auf jeglichen Kommentar. Einige wenige Male hört der Zuschauer Zacharko-Galinska oder Godfrejów eine Frage stellen, aber stets lässt Schmid die Interviewpassagen für sich sprechen. Dieser Minimalismus ist sicher nicht Jedermanns Sache, zumal manche Szenen doch etwas lang geraten sind. Dennoch zahlt sich diese Machart bei einer Dokumentation, die vor allem auf Authentizität bedacht ist, unbedingt aus. Die Kritik an den Arbeits- und Dienstleistungsbedingungen ist vielleicht nicht sonderlich spektakulär, dafür aber umso eindringlicher.
Ist sie also wunderbar, die wundersame Welt der Waschkraft? Für viele am unteren Ende der gesellschaftlichen Nahrungskette ganz sicher nicht! Das zeigt Schmid mit seiner Dokumentation, die die Kehrseite einer globalisierten Wirtschaft ins Bewusstsein ruft, auf völlig unprätentiöse Weise auf. Man muss nicht in die Ferne schweifen, um negative Folgen der zunehmenden internationalen Verflechtungen aufzuspüren – auch ein Blick in unser Nachbarland reicht vollkommen aus, um Ungerechtigkeiten im System auszumachen.