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    Spurlos - Die Entführung der Alice Creed
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Spurlos - Die Entführung der Alice Creed
    Von Marian Petraitis

    Wo andere Debütfilmer sich oft in ihren Ambitionen verheddern, fällt J Blakesons Erstling „Spurlos – Die Entführung der Alice Creed" bemerkenswert bescheiden aus – lediglich drei Figuren braucht Blakeson, der neben der Regie auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, für seine Erzählung. Die titelgebende Entführung findet fast ausschließlich in den Räumen einer heruntergekommenen Wohnung statt. Das schlanke Grundgerüst erweist sich als echter Glücksfall und eröffnet ein nervenaufreibendes Kammerspiel. „Spurlos" fesselt bis kurz vor dem Schlussakt als dichter Psychothriller, verliert dann jedoch mit ausufernden Wendungen den roten Faden und landet so schließlich doch nur im oberen Genre-Mittelfeld.

    Ex-Knacki Vic (Eddie Marsan) plant zusammen mit dem zwielichtigen Danny (Martin Compston) durch eine Entführung das große Geld zu machen. Das gewählte Opfer heißt Alice (Gemma Arterton) und soll ihren gut betuchten Vater dazu bringen, die ein oder andere Million springen zu lassen. Der Plan scheint aufzugehen, die beiden Entführer warten nur noch auf die Übergabe des Lösegeldes. Doch dann gibt es Probleme. Vic und Danny geraten zunehmend aneinander und je näher die Übergabe rückt, desto mehr sorgsam gehütete Geheimnisse kommen ans Licht. Die Situation gerät außer Kontrolle...

    Die reduzierte Inszenierung sorgt für einen gelungenen Einstieg in das bevorstehende Psychoduell. Während Vic und Danny die Entführung vorbereiten, fällt zwischen beiden kein Wort. Beide präparieren das Bett, auf dem das Opfer später geknebelt und festgehalten werden soll, sortieren ihr Folterwerkzeug und errichten aus einem heruntergekommenen, unscheinbaren Apartment eine Festung, aus der es kein Entkommen zu geben scheint. Der Verzicht auf expositorische Dialoge und die klaren Bilder, die nur das Nötigste erfassen, schaffen schnell eine intensive Atmosphäre. Obwohl der Gewaltakt der Entführung noch nicht stattgefunden hat, fesselt der Film hier bereits durch die dunkle Vorahnung, zu was diese mit chirurgischer Präzision arbeitenden Entführer fähig sein werden, um ihr Ziel zu erreichen.

    Wenig später findet sich Alice in der Gewalt der beiden Täter wieder. Hautnah erlebt der Zuschauer das Leid des hilflosen Opfers mit, durch die Verzweiflung und den Kampf gegen die beiden Peiniger erzeugt der Film eine beklemmende Authentizität. Dabei spart Regisseur Blakeson insbesondere die allgegenwärtige Erniedrigung der Geisel nicht aus, etwa wenn Alice in einen kleinen Behälter pinkelt, den ihr einer der Geiselnehmer zwischen die Beine hält; oder wenn sie immer wieder einen Mundknebel anziehen muss, der nicht umsonst einem Sexspielzeug ähnelt. Alice wird zum sexualisierten Objekt degradiert, das Beschützer- und Erotikphantasien gleichermaßen bedient. Doch die gepeinigte Frau bleibt nicht lange in ihrer Opferrolle. Jederzeit, so scheint es, könnte alles passieren, die Unberechenbarkeit und Undurchsichtigkeit aller drei Figuren sorgt für Hochspannung.

    Blakeson erweist sich im Umgang mit Genre-Versatzstücken als souverän, kokettiert gekonnt mit dem Täter-Opfer-Verhältnis und den damit verbundenen Zuschauererwartungen. Nicht zuletzt gelingt ihm dies dank der Leistungen seiner drei Protagonisten, allen voran Eddie Marsan als kontrollsüchtiger Sonderling Vic. Wären da nur nicht die plötzlich hereinbrechenden Wendungen, die dem spannenden Thriller seine Zugkraft nehmen. Anstatt auf das Potential der Kammerspiel-Handlung zu vertrauen und den aufkommenden Konflikten innerhalb des Trios Raum zu geben, treibt Blakeson seinen Erstling mit dem aufgemotzten Zickzack-Kurs in Richtung Mittelmäßigkeit und bläst ihn mit vertrackter Liebesthematik ordentlich auf.

    Phasenweise wirkt das, als habe der Regisseur Angst, sein Publikum ohne große Aha-Momente und 180-Grad-Wendungen zu langweilen. So wird „Spurlos" immer unglaubwürdiger, die Figuren verlieren zunehmend an Profil. Die Frage, wer aus dem tödlichen Machtspiel als Gewinner hervorgeht, ist schlussendlich fast belanglos. Auch die Figuren gleichen dann bloß noch Puzzleteilen, die nunmehr beliebig zusammengefügt werden können. Und wer in den Besitz der Pistole kommt, ist der neue Boss; für einige Augenblicke zumindest. Mit „Spurlos – Die Entführung der Alice Creed" legt Regisseur und Autor J. Blakeson ein über weite Strecken präzise und spannend inszeniertes Debüt vor; für höhere Weihen fehlt jedoch ein zwingendes Finale.

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