Trommeln zur Selbstfindung: „Die Reise des chinesischen Trommlers“ ist die Geschichte eines jungen Mannes, der in den Bergen Taiwans mit Hilfe von Musik zu einem neuen Menschen wird. Leider war sich Regisseur und Drehbuchautor Kenneth Bi („Rice Rhapsody“) offensichtlich nicht ganz sicher, ob sein Film eher Familienporträt, existenzielle Entwicklungsgeschichte oder eine Hommage an die Trommler des U-Theatre sein soll.
Sid (Jaycee Chan) kann sich als Sohn des herrischen Gangsters Kwan (Tony Leung Ka Fai) eine Menge herausnehmen. Als er allerdings eine Liaison mit der Geliebten des Unterweltbosses Stephen (Kenneth Tsang) eingeht, bekommt er dennoch ernsthafte Schwierigkeiten. Denn dieser fordert von Sids Vater als Kompensation nichts weniger als die Hände seines Sohnes. So bleibt Sid nichts anderes übrig, als unterzutauchen. Gemeinsam mit Ah Chiu (Roy Cheung), dem treuen Diener seines Vaters, flieht er in die Berge Taiwans. Zunächst kommt der junge Mann mit dem Leben im Exil nur schwer zurecht. Bei einem Spaziergang stößt Sid dann allerdings auf eine Gruppe buddhistischer Trommel-Mönche. Sid, der selbst Schlagzeug spielt, wird neugierig und bittet die Mönche, bei ihnen einsteigen zu dürfen…
Inspiriert wurde Regisseur Kenneth Bi für seinen zweiten Langfilm von einem Auftritt der Trommler des U-Theatre. Bi besuchte die buddhistischen Mönche auf ihrem Berg bei Taipeh und verabredete mit deren künstlerischen Leiterin Ms. Liu Ruo-yu, einen Film über die Gruppe zu drehen. Die Vorarbeiten erforderten monatelange Recherchen und Interviews mit den obersten Mitgliedern des U-Theatre. Bi wollte ihre Tagesabläufe, ihre Philosophie und möglichst viel über ihre Art zu Leben in Erfahrung bringen, bevor er sich an die Arbeit machte, ein Drehbuch zu entwickeln.
„Im Dezember 2000 sah ich in Hongkong den Auftritt einer taiwanesischen Trommel-Gruppe, die meine Lebenseinstellung komplett veränderte. Sie sagten nicht ein Wort während des gesamten Auftritts, doch sie schienen Bände zu sprechen.“ - Kenneth Bi
„Die Reise des chinesischen Trommlers“ erzählt nicht von einer wirklichen Reise, sondern vielmehr von einer inneren Entwicklung, die der Protagonist Sid im Laufe der Geschichte durchmacht. Als Sohn des Gangsterbosses Kwan, der ohne Mutter aufwächst, ist aus ihm ein egoistischer junger Mann geworden, der nicht zwei Mal überlegt, bevor er zur Tat schreitet. Interessant ist „Die Reise des chinesischen Trommlers“ vor allem wegen der angedeuteten Familiengeschichte. Es gibt nur vage Hinweise auf Sids Beziehung zu seiner verstorbenen Mutter, das schwierige Verhältnis zu seinem Vater, den er gleichermaßen verachtet und idealisiert, sowie die Verbindung zu seiner Schwester Sina (Josie Ho), die Sid ständig aus der Patsche hilft. Sein ungestümes Verhalten und die achtlos begonnene Affäre mit der Geliebten eines Konkurrenten stellen ihn nun zum ersten Mal vor ernsthafte Schwierigkeiten.
Erst in den Bergen Taipehs beginnt Sid durch seine Aufnahme bei den Trommlern eine Veränderung zu durchlaufen. Anfangs noch sehr auf sich selbst bedacht, lernt er stetig, sich der Gruppe und seinem Instrument unterzuordnen. Durch konzentrierte Arbeit an sich selbst löst er sich von seinem alten Leben. Nicht sofort versteht der junge Mann die Aufgaben, die ihm vom Meister der Trommler gestellt werden. Doch Schritt für Schritt entfalten die Lektionen ihre Wirkungen und Sid beginnt zu erkennen, was wirklich wichtig für ihn ist.
Zu den Vorzügen der zweiten Filmhälfte gehören zweifelsohne die atemberaubenden, farbsatten Landschaftsaufnahmen (stimmungsvoll eingefangen von Kameramann Sam Koa), die während Sids Training zu sehen sind. Außerdem faszinieren die Zen-Trommler, die ein ungeheures Maß an Körperbeherrschung, Rhythmusgefühl und Sanftmütigkeit ausstrahlen. An dieser Stelle beginnen aber auch die Probleme des bis dahin weitgehend überzeugenden Films.
Kenneth Bis Faszination für die Trommler ist durchaus nachvollziehbar, doch eine andere Perspektive als die des naiven Bewunderers nimmt der Regisseur nicht ein. Mit huldigendem Blick verfolgt Bi eine Weile das Leben der Mönche und bietet letztendlich, trotz seiner gründlichen Recherchen, kaum mehr als die üblichen fernöstlichen Buddhismus-Gemeinplätze, die auch gerne mal die Grenze zum Kitsch überschreiten. Entlang der Analogie von Trommelrhythmus und Herzschlag entfaltet Bi seine Geschichte - ein Ansatz, den man schon von Jacques Audiards psychologisch wesentlich differenziertem und auch insgesamt stimmigerem Der wilde Schlag meines Herzens kennt. Am deutlichsten wird das Missverhältnis zwischen Filmthema und Umsetzung an der Musik: Hier traut der Regisseur der Philosophie, die er mit seinem Film zu veranschaulichen versucht, selbst so wenig, dass er den Sound der Trommeln fast immer mit sphärischen Synthesizer-Klängen (vom deutschen Andre Matthias) übertönt. Gerade an dieser Stelle wäre etwas mehr Natürlichkeit angebracht gewesen.
Warum Sid Zen-Trommler werden will und was ihm das Leben bei den Mönchen gibt, darauf hat Kenneth Bi keine Antworten. Es scheint, als wären sein bloßer Aufenthalt in den Bergen, die schöne Landschaft und die Natur bereits Erklärung genug für die Transformation. Ähnlich vage und an einer Stelle sogar etwas weit hergeholt schließt auch die filmische Rahmenhandlung um Sids Familie ab, so dass am Ende ein zwiespältiger Eindruck bleibt. Das Ergebnis wäre bestimmt überzeugender ausgefallen, wenn Bi sich mehr auf die interpersonellen Konflikte im Hause Kwan oder Sids Wandel zum Trommler konzentriert hätte. In dieser Form wirken sowohl der Familien-Gangster-Part als auch die innere Reise des Protagonisten nicht rund.
Fazit: „Die Reise des chinesischen Trommlers“ ist ein gut gespielter und toll fotografierter Film, der allerdings in der zweiten Hälfte zu sehr auf Klischees setzt, wodurch es ihm nur in Ansätzen gelingt, den Wandel des Protagonisten glaubhaft zu machen und die Geschichte zu einem befriedigenden Abschluss zu bringen.