Nicht erst seit gestern boomt das Dokumentarfilmgenre. Daher schaffen es nicht nur Blockbuster wie Unsere Erde und erfolgreichen Dokus wie Prinzessinnenbad oder Full Metal Village in die deutschen Kinos, sondern auch relativ kleine Filme wie etwa die Künstler-Doku „Max Bill – Das absolute Augenmaß“. Max Bill ist hierzulande und generell in Europa recht unbekannt – und das, obwohl er zu den bedeutendsten Vertretern der Bauhaus-Schule zählt. In den USA und vor allem im asiatischen Raum ist der 1994 verstorbene Bill hingegen ein verehrter Künstler. Regisseur Erich Schmid zeichnet den Lebensweg seines Protagonisten behutsam und ohne Eile nach: Interviews, ein Off-Kommentar, klare Bilder und eine ebenso klare Struktur dienen ihm dazu. Insgesamt ist Schmids Herangehensweise am besten mit einem leicht negativ konnotierten Adjektiv zu beschreiben: konventionell. Aber das gereicht seinem Film nicht zum Nachteil, im Gegenteil: Gerade durch seine klassische Form gewinnt „Max Bill“ eine bemerkenswerte Klarheit. Erst kürzlich konnte man anhand von Peter Schamonis Dokumentarfilm Botero sehen, wie leicht der Versuch einer experimentellen, stilistisch innovativen Umsetzung nach hinten los gehen kann.
Max Bill wird 1908 in Winterthur in der Schweiz geboren. Dort wächst er mit seinen Eltern in einem Haus am Bahnhof auf. Schon früh begeistern ihn die geometrischen Formen der Schienen und Bahnübergänge sowie das Kommen und Gehen der Passagiere. Mit 15 wird er beim Ladendiebstahl erwischt und ist auch ansonsten kein unauffälliger Jugendlicher. Als Konsequenz schicken ihn die Eltern in ein Erziehungsheim, das er 1924 verlässt, um an der Kunstgewerbeschule Zürich zu studieren. Drei Jahre lernt er dort sein Handwerk, dann wird er der Schule verwiesen. Es folgt ein Studium am Bauhaus, wo er unter anderem Paul Klee kennenlernt. Während des Naziregimes beteiligt sich der Schweizer am geistigen Widerstand, etwa dadurch, dass er das Layout für eine Widerstandszeitung anfertigt. Max Bills weiteres Leben ist überaus produktiv: Er malt Bilder, fertigt kleine und große Skulpturen an und betätigt sich als Architekt. In letzterer Funktion entwirft er beispielsweise die Hochschule für Gestaltung in Ulm; dort wird er auch der erste Rektor. Bis ins hohe Alter drückt er sich – teilweise auch mit politischen Ambitionen - künstlerisch aus, bis er 1994 im Alter von 86 Jahren mit einem Herzinfarkt auf dem Berliner Flughafen Tegel zusammenbricht.
Erich Schmid nähert sich der bewegten Lebensgeschichte des Künstlers recht konventionell. Bilder, Skulpturen und Bauwerke Bills zeigt der Regisseur relativ selten und wenn, dann gibt er ihnen ausreichend Zeit, ihre Wirkung zu entfalten. Vor allem bei den in sich verschlungenen, mathematisch aufgebauten Skulpturen Bills fällt das ins Auge: Gemächlich umkreist die Kamera sie in 360-Grad-Fahrten. Ähnliches gilt für die architektonischen Werke. Hier ist es vor allem die Kunsthochschule in Ulm, die der Film immer wieder fokussiert. Langsame Schwenks und Kamerafahrten machen die Räumlichkeiten für den Zuschauer greifbar – so gut das eben mit dem Medium Film möglich ist. Denn es ist klar, dass konstruierte Filmbilder, seien sie auch im besten Sinne um Authentizität bemüht, nie den realen Blick ersetzen oder eins zu eins abbilden können. Daran liegt es auch, dass Schmid Bilder von Bills Werken nur dann zeigt, wenn sie mit der Biografie eng verknüpft sind, sie unterstreichen oder ihr widersprechen.
Einen zentralen Platz in „Max Bill“ nimmt Angela Thomas ein, die letzte Lebensgefährtin des Künstlers. Zwanzig Jahre lebte die Kunsthistorikerin an seiner Seite und kann so tiefe Einblicke in Bills Leben und Werk bieten. Seltsamerweise deckt Schmid erst im letzten Viertel des Films auf, dass es sich bei Angela Thomas um Bills verwitwete Frau handelt. Den Großteil der Laufzeit weiß der Zuschauer die Dame nicht recht zuzuordnen, er kann sich allenfalls darüber wundern, dass sie so gut über den Künstler Bescheid weiß. Neben Angela Thomas werden auch andere Wegbegleiter Bills – Freunde, Kollegen, Verwandte – in Interviews befragt. Hier kommt es dann mitunter zur wenig wünschenswerten Tendenz der Glorifizierung: Bill sei „der vielleicht größte Künstler des 20. Jahrhunderts“, er sei „genial“ und „unvergleichbar“, seine Skulpturen seien „einmalig“ - und so weiter… Mit einem distanzierten Blick hat das wenig zu tun, aber es ist letztlich nicht Erich Schmid Schuld, dass seine Gesprächspartner teilweise über das Ziel hinausschießen.
Der Off-Kommentar ist neben den Interviews das wesentliche erzählerische Mittel. Präzise und sachlich liefert er Fakten, berichtet von Anekdoten und stellt Verbindungen zwischen verschiedenen Lebensabschnitten her. Glücklicherweise wird er dabei nie zu geschwätzig – ein Problem, unter dem etliche Dokumentarfilme leiden. Anders die musikalische Untermalung: Weiß die beschwingte Jazz-Musik zu Beginn noch zu gefallen, wird sie im Verlauf des Films immer mehr zu einem Ärgernis. Zu oft wird Musik eingesetzt, beinahe durchgängig ist dasselbe Grundmotiv zu hören. Das hätte der Film in dieser aufdringlichen Form nicht nötig gehabt.
Erich Schmid hat seinen Dokumentarfilm mit den üblichen filmischen Mitteln des Genres inszeniert, womit ihm ein klar strukturiertes Porträt Max Bills gelungen ist, das geschickt Leben und Werk vielschichtig verbindet. So verweilt der Film des Öfteren, sozusagen leitmotivisch, bei einer Skulptur Bills, die in der Innenstadt Zürichs aufgestellt worden ist. Senkrechte und waagrechte Säulen markieren ein Gebilde, das Bill selbst als das „Gegenteil eines Labyrinths“ bezeichnet hat: Es ist klar überschaubar und bietet verschiedene Möglichkeiten des Durchgehens – und des Verweilens, denn die Quersäulen können auch als Bänke genutzt werden. Anhand dieser Skulptur, die Max Bill als eine seiner besten Arbeiten ansah, macht Schmid verschiedene Aspekte von Bills Biographie deutlich. Und dort, wo Angela Thomas auf Wunsch ihres Mannes dessen Asche verstreute, endet der Film auch. Die Maxime des Bauhaus-Künstlers, komplizierte Sachverhalte so einfach und klar wie möglich darzustellen und greifbar zu machen, erfüllt Erich Schmid in seinem Film mit einfachsten Mitteln und – abgesehen von der Musikgestaltung – ohne Schnörkel und unnötiges Schmuckwerk.