Es gibt Filme. Es gibt Kino. Und es gibt Kinoerlebnisse.
Nicht immer haben diese KinoERLEBNISSE,die sich von einem beliebigen KinoBESUCH unterscheiden,einen positiven Grund für ihre Außergewöhnlichkeit.
Doch manchmal haben sie sie! Nur selten!! Viel zu selten!!!
"Drive" war gestern für mich eines dieser seltenen Kinoerlebnisse.
Der erste Höhepunkt umfasste nicht weniger als die ersten 10 Minuten dieses stilistischen Genre-Kunstwerkes. Begünstigt durch ein vortreffliches Kino,welches der hervorragenden Akustik des Filmes Gott sei Dank mustergültig Rechnung tragen konnte,wurde ich förmlich in meinen Kinosessel gepresst,meine schweißnassen Hände umschlangen den Hals meines bemitleidenswerten Bierglases und Atmen schien in dem Moment schlichtweg überflüssig zu sein.Noch nie habe ich eine in solch unnachahmlicher Brillianz gefilmte Verfolgungsjagd gesehen: Pure Spannung ohne Lärm und Hektik; Pulsierendes Adrenalin auf Höchststufe ohne die geringste Unruhe.
Nicolas Winding Refn,der schon mit 30 Jahren (zurecht!) zum Regie-Wunderkind des europäischen Kinos erklärt wurde, benötigt dafür bei seinem US-Debüt keine Blechschäden,keine transformierenden Autobots,keine ruckelnde Handkamera und keine Pixelschlachten.Seinen Meisterhänden genügt das perfekte Zusammenspiel aus Timing,Tempo,Licht und Ton. Der begnadetste Handwerker seit Tarantino.
Apropos,an letzteren fühlt man sich denn auch noch mehrmals erinnert,wenn der Film dann fortschreitet.Zugegeben,die Genialität des Filmgeschichte schreibenden 10-minütigen Prologs erreicht der Film bis zum Schluss nicht noch einmal.Und doch hält er das Niveau bis zur letzten Sekunde auf einer Ebene,wie man es in den letzten Jahren nur selten erlebt hat. Die jeden räumlichen Punkt bis zum letzten Millimeter in allen Facetten auskostende Kamera,der traumwandlerisch sichere Schnitt(von dem jeder Cutter Hollywoods arbeitsvertraglich gezwungen werden sollte,sich eine Scheibe abzuschneiden),das pointierte Sounddesign,die atemberaubende Lichtsetzung und das elektrisierende musikalische Fundament von Cliff Martinez zerschmelzen unter Refns Regie zu einer audiovisuellen Harmonie,deren Atmosphäre einen nicht mehr los lässt.
Es sei gleich vorweggenommen: Wie Tarantinos Filme ist "Drive" kein spaßig-beliebiger Hollywood-Schokoriegel für zwischendurch,sondern geschmacksintensiver Kaviar für Filmliebhaber. Stilistische Gourmetkost! Purer Style auf Zelluloid gebannt!
Zärtlich! Blutig! Bittersüß! Brutal! Opernhaft! Monströs! Von schmerzhafter Schönheit!
Ebenso wie Tarantino hat Refn eine Leidenschaft fürs Zitat und für die Hommage. Ins Visier nimmt er hier nun das Actionkino der 80er Jahre. Dem folgend ist die Story eine Aneinandereihung vergleichsweise bekannter Genremuster und Prinzipien des Rachethrillers. Doch hinter der vordergründig simplen Fassade durchzieht den Film auch eine dezent philosophische Komponente,die sich allerdings faszinierenderweise nicht wirklich aus dem Drehbuch,sondern aus der Inszenierung heraus entwickelt. Indem Refn das Handeln des Drivers(stoisch, karg, explosiv, eiskalt, sensibel..... schlichtweg ikonenhaft: Ryan Gosling) und seine schicksalhaften Verstrickungen mit Irene(eindimensional,aber reizend: Carey Mulligan),ihrem Sohn,Drivers Freund Shannon(souverän: Bryan Cranston) und den beiden "Mittelstands-Gangstern" Bernie Rose(stark: Albert Brooks) und Nino(gewohnt herrlich: Ron Perlman) nahezu ins Opernhafte überhöht,sie in einen vom uhrzeigerartigen Rhythmus der Musik begleiteten Strudel der gewaltsamen Kausalität (actio et reactio) reißt,gibt er den nicht unbedingt von psychologischer Tiefe geprägten Figuren eine deutlich existenzialistische Note,die sich vorallem im überraschenden Finale des Films niederschlägt.Als Symbol kann schon der Skorpion auf Drivers Jacke gesehen werden: Keine der Figuren ist von sich aus auf den gewaltsamen Konflikt bedacht,erst als ein Schicksalsschlag selbigen provoziert und sich jeder bedroht fühlt,wird der tödliche Stachel zur reactio eingesetzt.
FAZIT: Meine Erwartungen an diesen Film waren immens...endlich einmal wurden sie nicht enttäuscht. Mit einer der technisch begnadetsten Umsetzungen des letzten Jahrzehnts,hoher Kunstfertigkeit in der Erschaffung seiner Bilder,subtil philosophischem Anklang,gnadenloser Coolness und einer guten Besetzung gelingt Nicolas Winding Refn ein Genre-Meisterwerk höchster Klasse.