Walt Kowalskis Mundwinkel sind auf Kinnhöhe verankert: die Frau des pensionierten Koreakriegsveteran ist verstorben, seine Nachbarschaft in einer Vorstadtsiedlung von Detroit widert den knurrigen Rassisten an, besteht sie doch beinahe nur noch aus Asiaten, ausländischen Autos und Ganggewalt. Walt, selbst polnischstämmig, sieht die Ideale Amerikas Tag für Tag den Bach runtergehen. Eines Abends schlichtet er mit dem Gewehr im Anschlag einen aufkeimenden Krawall, als eine gewalttätige Gang den jungen Thao aus dem Nachbarhaus auf ihre Seite bringen will. Die aufgeschlossene Sue ist es schließlich, die den verbitterten alten Mann auftauen kann, der nun Thao mit seiner rauen Art unter seine Fittiche nimmt – mit verheerenden Folgen…
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Für Schauspieler ist der Schritt nach dem größten meistens der unsicherste und gefährlichste und endet nicht selten in einem verschreckten Hechtsprung zurück. (Einstige) Kassenmagneten und Superstars wie Harrison Ford, Bruce Willis oder Sylvester Stallone kehren nach reihenweise Misserfolgen und Stagnation zu ihren Idealtypen zurück, werden nach Jahren noch einmal zu Indiana Jones, John McClane oder Rocky Balboa, wollen am Ruhm ihrer berühmtesten Figuren noch ein letztes Mal teilhaben. Clint Eastwood hätte das eigentlich nicht nötig, zumindest nicht aus den selben Gründen, aus denen die vorgenannten Herren noch einmal die Peitsche schwingen, langsam sterben und die Fäuste fliegen lassen. Auch Eastwood schuf in den 1960ern und 70ern unvergessliche Typen, den schweigsamen Revolverhelden in diversen Western, den harten gewaltbereiten Cop in „Dirty Harry“. Ebenfalls Rollen, zu denen Eastwood immer wieder zurückkehrte (unter dem Titel „The Dead Pool“ erschien 1988 der fünfte „Dirty Harry“), über die er allerdings mit Darstellungen wie im bitterironischen Abgesang auf den Gunslinger in „Erbarmungslos“ (1992) oder als romantischer Landschaftsfotograf nebst Meryl Streep in „Die Brücken am Fluss“ (1995) letztlich schauspielerisch hinauswuchs. Dies gelang ihm jedoch besonders eindrucksvoll hinter der Kamera, denn es ist der Regisseur Eastwood, der sich über die letzte Jahre mit gefeierten Meisterwerken wie „Mystic River“ (2003), „Million Dollar Baby“ (2004), „Letters from Iwo Jima“ (2006) und „Der fremde Sohn“ (2008) den Ruf als großer weiser Mann Hollywoods erwarb.
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Mit „Gran Torino“ bringt Regisseur Eastwood nun ein letztes Mal die Ikone, das Image Eastwood zurück, doch (und darin zeigt sich die Größe dieses Mannes), er tut es nicht, um sich im Ruhm vergangener Tage zu sonnen. Vielmehr liefert Eastwood die ultimative Abrechnung und eine mutige Stellungnahme zu dem, was ihn einst populär gemacht hat. Ein Schlussakt, fern jeder Selbstverliebtheit, weit ab davon, Ausdruck des nicht wahrhaben Wollens des Alters zu sein. Eine keineswegs kalkulierte Rückbesinnung auf Bewährtes (selbst wenn „Gran Torino“ Eastwoods kommerziell erfolgreichster Film geworden ist), sondern das schließende Element eines Kreises, in dessen Mitte nun der Schauspieler Eastwood Platz auf seinem wohlverdienten Thron nimmt. Aber kann man es nun als Selbstverständlichkeit abhaken, dass der Film „Gran Torino“ diesem Anlass auch gerecht wird?
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Auch wenn es einzelne Punkte gibt, hinter die man den Haken nicht unbedingt in schwungvoller Begeisterung und nur mit Bleistift setzt, so verdient sich „Gran Torino“ aber insgesamt doch den verschnörkelten Abschlusshaken in strahlend blauer Tinte. Die Story ist vollgestopft mit allen erdenklichen Klischees über asiatische Güte, schwarzes Ghettogehabe und weiße Wannabes und Walt Kowalskis Wandlung vom Fremdenhasser zur Vaterfigur geschieht nicht nur allzu abrupt, sie ist auch keinen zelluloidstreifenbreit originell und findet sich sehr ähnlich nicht nur in Eastwoods eigener Performance aus dem Box-Drama „Million Dollar Baby“. Kowalski als Figur hingegen ist ein echtes Erlebnis. Schon in der ersten Szene, in der Kirche während der Trauerfeier für seine Ehefrau, hält er sich nicht mit Besinnung oder gar Tränen auf, sondern spießt mit argwöhnischen Blicken seine herumkaspernden Enkelkinder auf, presst grimmige Urlaute aus den Mundwinkeln und jede einzelne Falte scheint den Menschen um ihn die Luft zum Atmen rauben zu wollen.
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»We used to stack fucks like you five feet high in Korea«, »Relax, zipperhead«, »Good day, pusscake«, »You're wrong, eggroll«. Kaum ein Satz, den Walt nicht mit abwertenden Beleidigungen zuckert und dabei macht er keinen Unterschied zwischen Schwarzen, Weißen, Asiaten, Italienern, Iren, Söhnen, Schwiegertöchtern oder Geistlichen wie dem eifrig bemühten Pater Janovich, der Walt nur zu gerne die Beichte abnehmen würde, um ihn von seinen Dämonen zu befreien. »I think you're an overeducated 27-year-old virgin who likes to hold the hands of superstitious old ladies and promise them everlasting life. I confess that I have no desire to confess.« Sein Sohn fährt einen ausländischen Wagen, will ihm Altersheime schmackhaft machen, zum Geburtstag bekommt er eine Greifhilfe und ein Telefon mit riesigen Tasten. Für all das hat Walt nichts anderes, als ein angewidertes Schnauben und Grunzen übrig, seine Hündin Daisy akzeptiert er als einzige Instanz neben sich.
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Mit den Vang Lors, einer Hmong Familie, die vor kurzer Zeit im Nebenhaus eingezogen ist (»How many swamp rats can you get in one room?«), trifft Walt aufeinander, als der zurückhaltende Thao zwecks Aufnahme in die Gang seines Cousins Walts heißgeliebten 1972er Ford Gran Torino Sport stehlen soll. Wenig später rettet‘ Walt Thao vor der Gang, obwohl er nur sein Grundstück verteidigen will (»Get off my lawn!«) und bringt die selbstbewusste Sue vor ein paar zudringlichen Posern in Sicherheit. Die größtenteils aus Hmongs bestehende Nachbarschaft überhäuft ihn mit Geschenken und Walt lässt sich an seinem ernüchternd verlaufenen Geburtstag zu einem Fest bei den Vang Lors breitschlagen. Tatsächlich entdeckt er Gemeinsamkeiten zwischen sich und den verhassten Einwanderern und als Thao zur Wiedergutmachung des geplanten Autodiebstahls Walt seine Dienste anbietet versucht der abgebrühte Alte einen harten Kerl aus ihm zu machen.
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»Sounds like you know a lot more about death than you do living« sagt Pater Janovich bei einem Kneipengespräch zu Walt. »Maybe so, Father«, antwortet er. »Maybe so.« Wieviel und was auch immer Walt darüber weiß, Eastwood jedenfalls spielt die Figur mit einer Menge Leben, wenn auch zutiefst verbittertem und von Hass und Groll geprägtem. Hier und da gerät die Figur an den Rand der Überzeichnung, wirkt in einigen schattendominierten Einstellungen mit ihrer bedrohlichen Haltung beinahe wie einem Slasher entronnen und wenn Eastwood Augen und Mund zu Strichen zusammenpresst, sein Gesicht zu scharfkantigem Granit wird und er dann ein Knurren hervorpresst ist dies beinahe so etwas wie das lebensverachtende Gegenstück einer Jim Carrey-Grimmasse. Doch wenn man ihn liebevoll über seine Frau sprechen hört, deren Liebe ihn den Hass nicht hat überwinden und die Dinge, die ihm im Koreakrieg wiederfahren sind, nicht hat vergessen lassen, und sich eben an jene Ereignisse die Erinnerung in seine Worte und seine Augen schleicht, wenn er als letzter Hüter der durch Krisen und Misswirtschaft zerrütteten Werte auf seiner Veranda sitzt, dann ist dieser Walt Kowalski auch ein melancholischer und trauriger Mann, den Eastwood nicht weniger ausdrucksstark einzufangen und zu spielen versteht.
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Obwohl die Story von „Gran Torino“ nur auf oberster Ebene und auch recht überraschungsfrei passiert, ist Eastwoods gewohnt apodiktische Inszenierung, die keinen Zweifel daran zulässt, ob irgendeine Szene anders hätte gestaltet, gespielt oder geschrieben werden müssen, das auf wenige, aber die wichtigsten Funktionen ausgelegte Kontrollboard des Films. Der Rhythmus stimmt, Eastwood rafft, beruhigt und strafft die Handlung stets im richtigen Moment, gemeinsam mit Kameramann Tom Stern, der seine Filme seit "Blood Work" (2002) bebildert, bildet Eastwood ein bildsprachlich untrügliches Duo. Die Musik von Sohnemann Kyle Eastwood und Michael Stevens erklingt nicht oft und nicht einmal unbedingt einprägsam, wird aber bei Ertönen zum klanglich feinen Hintergrund der jeweiligen Momente. „Gran Torino“ erzählt damit eine im positiven Sinne schlichte Geschichte auf einwandfreie Weise, deren politische Unkorrektheit sie zudem ungekünstelt und natürlich wirken lässt, da hier weder Tabubrüche provoziert werden, noch pietistische „eigentlich wollen wir ja niemandem wehtun“-Zurückhaltung herrscht.
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»What the hell does everybody want with my Gran Torino?« fragt sich Walt und während die Frage in Bezug auf sein Auto von PS-Fans sicher auch zu beantworten ware, fällt sie beim Film „Gran Torino“ auf jeden Fall eindeutig aus: man will ein weiteres Eastwood-geprägtes Meisterwerk und spätestens mit der grandios bitteren Schlusspointe bekommt man es auch. Eastwood führt seinen Mythos als Schauspieler zu einem konsequenten, aber gerechten Ende, das sich zwar abzeichnet, aber dennoch berührt und ihm einen würdigen Abgang von seiner Arbeit vor der Kamera verschafft. Allein diesem natürlich mit wenigstens leichter Wehmut verbundenen Gedanken wegen wird "Gran Torino" seinen besonderen Platz in der Karriere Eastwoods sicher haben, wobei man zugeben muss, dass dies ohne diese außerordentliche Note vom Film selbst ausgehend möglicherweise nicht der Fall gewesen wäre.
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Kompletter Blog siehe: http://christiansfoyer.wordpress.com/2010/02/22/review-gran-torino/