Ein Schwabe auf Wiedergutmachungskurs: während der VfB Stuttgart nach guten Leistungen in der letzten Saison nach dem ersten Drittel der aktuellen Bundesligarunde und zum Zeitpunkt des Kinostarts von „2012“ auf einem ziemlich unbefriedigenden 15. Platz dahindümpelt, meldet sich Roland Emmerich nach dem Fast-Abstieg mit „10.000 B.C.“ (2008) mit einem Katastrophenkracher zurück, der ihn sofort wieder in die Champions League katapultieren soll. So, wie erfolglose Fußballmannschaften sich auf die Grundtugenden des Sportes berufen, um wieder in die Spur zu finden, kehrt auch Emmerich zu dem zurück, was ihn ausgezeichnet und beliebt gemacht hat, nämlich übergroßen Weltuntergangsszenarien. Nach Riesen-Raumschiffen („Independence Day“, 1996), Riesen-Echsen („Godzilla“, 1998) und Riesen-Wellen, -Stürmen und -Eismassen („The Day After Tomorrow“, 2004), die wahlweise Städte, noch mehr Städte, oder die halbe Welt zerstören, darf es nun bei „2012“ noch ein bißchen mehr sein.
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Im Jahr 2009 entdecken die Wissenschaftler Dr. Satnam Tsurutani und Dr. Adrian Helmsley die nahende Apokalypse: durch heftige Sonneneruptionen und Neutronenstrahlung wird sich der Erdkern erhitzen und bis zum Jahr 2012 die Erdkruste schmelzen und der gesamte Planet im Zuge der auftretenden Katastrophen, wie Mega-Erdbeben und kilometerhohen Überflütungen, kollabieren. Die Regierung ergreift Maßnahmen zur Rettung der reichen und intellektuellen Elite, riesige Archen werden gebaut, der nahende Weltuntergang aber vor der Bevölkerung zunächst verschwiegen. Währenddessen begibt sich der bemühte, aber nicht gerade von Erfolgen verfolgte Romanautor und Aushilfschauffeur Jackson Curtis mit seinen Kindern auf einen Campingausflug in den Yellowstone-Nationalpark - dummerweise beginnt wenig später die Welt auseinander zu brechen und Curtis unternimmt den verzweifelten Versuch, mit seiner Familie die rettenden Schiffe zu erreichen...
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Emmerichs Aussage, er habe nicht zwingend einen weiteren Katastrophenfilm machen wollen, hätte diese „Story“ aber unbedingt verfilmen müssen, kommt natürlich irgendwie dem Verhungernden in der Einöde gleich, der meint, er vertilge die rohe Ratte ihres ausgezeichneten Geschmacks wegen. „2012“ ist im Rahmen des Master of Disaster-Images, mit welchem der Regisseur gebrandmarkt ist, selbstverständlich erst einmal nichts anderes, als ein klar durchkalkuliertes Projekt, das aus allen möglichen, aber ganz sicher nicht aus storytechnischen Gründen unbedingt erzählt werden musste. Aber ist dieser „2012“ nun bloß ein weiterer Schaulauf der Stärken seines Machers, eben nur in noch GRÖßER, oder ist Emmerich hier auch ein erzählerischer, ein inszenatorischer Sprung nach vorne geglückt?
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Nein, und zwar nicht mal a bissle. „2012“ beginnt mit der Entdeckung der gestiegenen Temperaturen des Erdkerns durch den Wissenschaftler Dr. Satnam Tsurutani, der seinem Kollegen Dr. Adrian Helmsley in einer Kupfermine in Indien das Ausmaß der nahenden und unausweichlichen Katastrophe klar macht. Samt dem obligatorischen Regierungbeamten, der sich erst zu wichtig ist, um mit dem hereinstürmenden Wissenschaftler zu reden und schließlich nach erhaltener Nachricht schockiert dreinschaut, ist das Szenario vom Fleck weg austauschbar, entdeckt doch immer irgendwo irgendwer irgendwas, wovon irgendwie erstmal keiner wissen will, nur um dann irgendwann den Präsidenten der Vereinigten Staaten benachtrichtigen zu müssen. Chiwetel Ejiofor ist als Helmsley fraglos eine der positiven Erscheinungen des Films und dennoch sträubt sich alles dagegen, diesem ewig gleichen Ablauf zu folgen, der Erklärung für die kommenden Ereignisse zu lauschen, man will sie verdammt nochmal einfach passieren sehen, statt dieser völlig variationslos aufbereiteten Präsentation zu folgen.
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Doch es dauert, bis „2012“ in die Vollen geht, zunächst wird mit Jackson Curtis der Held eingeführt. Man ist es von Emmerich gewohnt, dass er für die Hauptrollen eher Stars aus der zweiten Reihe auswählt, die den Blick nicht zu allererst auf sich als Person lenken. Mit John Cusack ist ihm da genau der richtige vor die Kamera geraten. Der sympathische Dackelblickler hat mit „Con Air“ (1997) erst einen einzigen waschechten Blockbuster in der Vita stehen und glänzt ansonsten lieber in kleinen, anspruchsvollen bis schrägen Produktionen. Ihm ist ein Millionenpublikum durchaus zu gönnen, begeistern können wird sein Jackson Curtis es allerdings nicht. Denn auch er ist als Charakter so austauschbar, wie die Henne in der Legebatterie. Mit nicht mal fünfhundert verkauften Exemplaren seines Buches als Autor gescheitert, geschieden von der Mutter seiner Kinder, deren neuer Mann Gordon erfolgreicher Schönheitschirurg ist, während Jacksons niedliche Tochter niedlich ist und sein Sohn sich die Taktik, wie er seinen Daddy verletzen kann, bei den meisten anderen scheidungsgeplagten Filmsöhnen abgeschaut hat, nämlich indem er ihn nicht Daddy nennt. Dieses ganze Familienkonstrukt ist in seinen Konflikten so vorhersehbar, so lieb- wie farblos erzählt, dass es, auch für Emmerichs bekannt bescheidene Verhältnisse, ärgerlich ausfällt und selbst den geringst möglichen Fitzel an Erwartung, den man an einen Film wie „2012“ hinsichtlich seiner Figuren noch stellen mag, mit einer Dreistigkeit wegfegt, die einen beim Versuch des Aufbringens von Mitgefühl enorm auf Distanz hält. Er war darin nie ein Meister und wird wohl auch niemals noch nicht mal ein Könner werden, aber nie war Emmerich in der Anlegung und Verarbeitung seiner Figuren uninteressanter, einfallsloser, schlechter. Unter dieses Urteil fällt auch der von Woody Harrelson gespielte Verschwörungstheoretiker Charlie Frost, der von seinem Wohnwagen im Yellowstone-Park aus via Radio den Weltuntergang prophezeit und die geheimen Pläne der Regierung zu kennen glaubt. Von ihm erfährt Jackson über den Bau der Archen, womit Charlie seinen Zweck für die Story erfüllt, mehr darf es dann aber auch nicht sein.
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Während Emmerich mit einem schwarzen U.S. Präsidenten, einem ehemaligen Schauspieler mit österreichsichem Akzent als kalifornischer Gouverneur und einem weiblichen deutschen Regierungsoberhaupt auf politische Glaubwürdigkeiten setzt, die bis vor ein paar Jahren noch als Unglaublichkeiten den Sci-Fi-Aspekt des Films ausgemacht hätten, folgt nach dem langen Auftakt die pflichtgemäße Hiobsbotschaft: natürlich waren Helmsleys Berechnungen des Zeitunktes, an dem die Welt kollabieren wird, falsch. Und plötzlich bleiben nicht mehr einige Monate oder gar Jahre, plötzlich steht fest, in zwei, höchstens drei Tagen, beginnt das Ende. War ja klar, dass da was dazwischen kommt. Für diesen Allzwecktwist, diese hineingezwungene Eile, die nun zu herrschen hat, muss man dem Film allerdings danken, denn nachdem man die Apokalypse von Helmsley in wissenschaftlich, in verständlich und von Charlie Frost als selbstgezeichneten Cartoon erklärt bekommen hat, darf es nun auch endlich losgehen. Und als sich die Kontinentalplatten zu verschieben beginnen, in Los Angeles die Erde bebt und sich riesige Gräben durch das Stadtbild fräsen, legt „2012“ tatsächlich beispiellos gigantisch los. In einer Limousine rasen Jackson und seine Familie durch das auseinanderbrechende L.A., später wird in ein Flugzeug umgestiegen, zusammensackenden Wolkenkratzern und vorbeifliegenden U-Bahnen ausgewichen, überall kracht, scheppert und explodiert es und für die Wucht dieser Sequenz gibt es eigentlich keine Worte, das muss man gesehen haben. Bei aller übertriebenen Dramatisierung der Flucht zu Lande und in der Luft (so klafft jeder Riss immer schön exakt hinter der Limousine her und Gordon steuert das Fluzeug nach ein paar Flugstunden sowas von gekonnt an jedem Hindernis vorbei), was Emmerich und sein Effekt-Team hier abliefert, ist visuell absolut grandios und rechtfertigt die Floskel »das hat man so noch nicht gesehen«. Leider schleicht sich hier jedoch ein Aspekt des Films ein, der sich später immer wieder auf unangenehme Weise bestätigt. Während man mit den Helden mitfiebern soll und ihren waghalsigen Manövern folgt, stürzen überall um sie herum Tausende Menschen in den Tod. Davon bekommt man aufgrund der überwältigenden Bilder nicht unbedingt bewusst etwas mit, geschweige denn wird der Film dabei besonders explizit, dennoch steht die waghalsig-abenteuerliche Flucht in einem gewissen Gegensatz zum eigentlichen Schrecken, der der Szene innewohnt. Dem schließt sich später ein teils fast schon sadistisch zu nennender Umgang mit dem Ableben mancher Protagonisten an, was sich in vielen Fällen aus, das muss man einfach so deutlch sagen, einer inszenatorischen Mittellosigket ergibt, die Emmerich einen stimmigen Aufbau der Dramaturgie des Sterbens verweigert und die Botschaft vom Bewahren der Menschlichkeit nicht wirklich trifft. Auch etwas, das er schon mal besser hinbekommen hat.
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Nach der Flucht aus L.A. und dem Flug zum Yellowstone-Park, wo Jackson von Charlie Frost den Standort der Archen zu erfahren versucht, liefert „2012“ mal eben die wohl größte Explosion, die jemals auf einer Leinwand zu sehen war und kurze Zeit später wird erneut geflüchtet, diesmal vor herabregnenden Gesteinsbrocken und wiederum den sehr straßenverkehrkompatiblen, weil immer schön artig genug Abstand haltenden Rissen. Obwohl einem auch hier mit leckerstem EyeCandy vor der Nase herum gewedelt wird, schustert sich der Film ein weiteres Problem. Bei allem Gigantismus und der Gewissheit, dass mehr Zerstörung gar nicht mehr geht, bei der Vermittlung eines Gefühls, dass wahrhaftig die ganze Welt von der Vernichtung betroffen ist, scheitert „2012“. Da Roland Emmerich auch hier wieder der Meinung ist, das Ausmaß der Katastrophe nur durch die Vernichtung diverser Wahrzeichen verdeutlich zu können, entsteht gewisser- und natürlich fälschlicherweise der Eindruck, dass jede noch so heftige Naturgewalt überlebbar zu sein scheint, so lange man sich in keiner populären Großstadt wie Washington oder L.A. und nicht in der Nähe einer Sehenswürdigkeit aufhält. Diese Sightseeing Destruction Tour machte im stratetischen Angriff der Aliens in „Independence Day“ halbwegs Sinn, wirkte aber bereits in „Godzilla“ und „The Day After Tomorrow“ erzwungen. So auch in „2012“, in dem unter anderem der Vatikan, mehr oder weniger der Himalaya und (mal wieder) das Weiße Haus dran glauben müssen. Eine Montage mit Ausschnitten der Zerstörung aus aller Welt, und auch das hätte sich nicht auf Eiffelturm, Brandenburger Tor etc. beschränken müssen, hätte sicher keine unbedingt größere, wohl aber weitreichendere und nachhaltigere Wirkung erzielen können.
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Leinwandfüllend beeindruckende Bilder bleiben auch in der Folge nicht aus und die Zwangsunterbrechungen der Action durch die Streitigkeiten zwischen Helmsley und dem Stabschef des Weißen Hauses Anheuser, den weiteren Weg von Jackson und Familie und kleinere Geschehnisse rund um Nebenfiguren sind weniger zäh, als es der Anfang befürchten lässt. Dramaturgisch platt und unausgewogen bleibt „2012“ trotzdem jederzeit. Die Idee, dass nur Menschen auf die Arche dürfen, die für ihre Rettnung eine Milliarde Euro zu zahlen bereit sind und die sich daran anschließende Frage, ob Reichtum das Recht auf Leben bedeutet, während das übrige Volk nicht einmal weiß, was ihm bevorsteht, wird insgesamt höchst halbgar behandelt und Emmerich „schafft“ es, den Film selbst dazu keinen richtigen Standpunkt finden zu lassen, da die Elemente rund ums Existenzielle holprig, unausgewogen und innerhalb der Logik des Films nicht einmal gut durchdacht in die Handlung gepresst werden. Die vertretenen Standpunkte sind schwammig und äußerst vage formuliert, am offensichtlichsten ist dies an der Figur des von Danny Glover gespielten Präsidenten fest zu machen, bei dessen Erwähnung zwar schon die standesgemäßen Trommeln ertönen, der aber konturlos und kaum nachvollziehbar bleibt. Vieles, was „2012“ aufwirft, entkräftet sich durch Schludrigkeiten in der Logik von selbst, was beispielsweise bei „Independence Day“ nicht minder der Fall war, dort wusste Emmerich dem aber sehr bewusst mit Ironie und allgemein dem Humor des Films zu begegnen, darauf verzichtet sein aktuelles Werk jedoch auch in Gänze. In viel zu seltenen Momenten steht der Film zu seiner grundlegenden Beklopptheit, nimmt sich zwar keineswegs bierernst, aber doch locker nicht nur eine Spur, sondern eine ganze Autobahn breit zu bedeutungsvoll, was Story und Charaktere nicht annähernd zu tragen befähigt sind. Das Argument des auf sinnlose Art gut unterhaltenden Fun Movies kann eben einfach nicht immer gelten, schon gar nicht, wenn es am Fun fehlt.
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Dramaturgisch absolut unausgewogen, wenn etwa Nebencharaktere einerseits erbarmunslos ausgelöscht werden, andererseits aber kreuzbrav, wenn man Jackson nach dem »Sch...«´nicht mal den fälligen Fluch zu Ende aussprechen lässt, ist „2012“ letztlich nicht mehr, als ein weiterer, lauter Beweis dessen, was Roland Emmerich als Regisseur und Autor kann und leider vorrangig dessen, was er nicht kann, aber zu seinem eigenen Pech immer wieder versucht. Mit seinen teils schier unbeschreiblichen Bildern in Verbindung mit einem zumindest gelegentlich passenden Einsatz des Soundtracks, löst „2012“ den Wunsch nach einem Werk Emmerichs aus, das auf jeden Storyquatsch komplett verzichtet und stattdessen eine einzige, achtzigminütige Apokalypse abbildet, ohne bescheuerte Erklärungen, ohne zentrale Charaktere, überwiegend ohne Dialoge, nur Bilder, Sound und Musik. DAS und nichts anderes wäre im Rahmen seiner Fähigkeiten, im Rahmen des Maßes, in dem dieser Mann das pure Spektakel atemberaubend abzubilden weiß, der perfekte Emmerich-Film. Das dürfte allerdings selbst dann nichts werden, wenn „2012“ der nächste Flop in seiner Karriere werden sollte. Und als nächstes plant er sowieso ein Drama über Shakespeare. Oder wollte der etwa ursprünglch mit seinen Theaterstücken die Welt vernichten? Oder wenigstens das Weiße Haus?
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komplette Review siehe: http://blogs.myspace.com/index.cfm?fuseaction=blog.view&friendId=418824324&blogId=518232099