Was ist der Unterschied zwischen einem Selbstjustiz- und Rachedrama im europäischen und einem Selbstjustiz- und Rachedrama im US-Kino? Im europäischen Kino wird der Held am Ende die völlige Absurdität und Ausweglosigkeit seines Vorhabens erkennen und einen moralisch korrekten Prozess der Läuterung durchlaufen, an dessen Ende er entweder für seine Hybris durch eine hypermoralische Nemesis existenziell bestraft wird oder vom Saulus zum Paulus wird und den Missetätern verzeiht. Im US-Kino wird der Held für seine Hybris nicht bestraft, er verlässt die Leinwand vielmehr mit zig Leichen im Keller und der Erkenntnis: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.
Damit ist die Handlung von »Death Wish«, dem Remake des im Original gleichnamigen und in deutscher Sprache unter dem Titel »Ein Mann sieht Rot« bekannt gewordenen Charles-Bronson-Klassikers von 1974, bereits hinlänglich wiedergegeben. Es beginnt wie so oft mit jedermanns schlimmstem Albtraum: Du arbeitest als Chirurg im Krankenhaus und eines Tages, als du nichts Böses ahnst, werden deine Frau und deine Tochter zu den Patienten, die dir in den OP geschoben werden. Beide sind (bzw. waren) strahlende Schönheiten, die dein Leben bisher in vollendeter Form glücklich gemacht habten, und dein Familienidyll ist jäh zerstört – von skrupellosen Bestien, die nichts anderes als den Tod verdienen. Die Ausgangslage ist Klischee und der Rest auch: Die Polizei kommt nicht recht voran, aber du kommst voran in deinen Überlegungen, wie es dennoch gelingen könnte, die Schufte zur Rechenschaft zu ziehen. Dabei helfen dir a) der Zufall und b) das amerikanische Waffenrecht.
Die filmstarts-Redaktion hat es treffend angemerkt: Es gibt einen Subtext zu diesem Film: Es ist die Frage nach dem Sinn oder Unsinn von legalem Waffenbesitz. An verschiedenen Stellen wird auf das amerikanische Selbstverständnis, sich weitgehend problemlos mit Waffen auszurüsten, Bezug genommen. Nur gibt es darauf eben keine Antwort, die mit der europäischen Prägung kompatibel wäre, da es nun einmal keine deutschen, französischen oder schwedischen Cowboys gibt, sondern höchstens hier und da ein paar hart gekochter Weicheier. Zu denen möchte Bruce Willis freilich nicht gehören. Der Film weiß aber natürlich um die Sensibilität des Themas und versucht sich in Selbstironie und augenzwinkerndem Humor. In diese Kategorie fallen die Ausflüge des Krankenhausarztes in ein Waffengeschäft. Er zeigt aber auch, dass das Unglück, das den von Bruce Willis verkörperten Mediziner trifft, vielleicht auch damit zusammenhängen könnte, dass Waffen in den USA kaum schwerer zu erwerben sind als Schraubendreher. Aber – das reicht »Death Wish« als Moral - es is' ja nu' mal, wie's ist.
Und mal ehrlich: Wer Tarantino als Propheten des modernen Kinos feiert, kann sich hier nicht in den Schmollwinkel stellen und zetern: Böses, gewaltverherrlichendes US-Kino! Die Wahrheit ist: »Death Wish« ist nicht weniger spannend und kurzweilig als »Taken«, er ist lediglich eine Spur realistischer. Denn anders als Liam Neeson in seinem Pariser Rachefeldzug zeigt Bruce Willis als gelernter Facharzt und ungelernter Rächer in seinem Kampf gegen das Böse mehrfach Schwächen. Das blutige Finale zielt ein wenig zu sehr auf den drastischen Effekt ab ("Final Destination" 1-5 lässt grüßen), das gehört zu den Schwächen von »Death Wish«. Dennoch muss kein Mensch, der in diesen Film geht, Angst vor Langeweile haben. Es handelt sich um einen Genrefilm und es ist wie bei allen Filmen des Genres: Man bekommt, was man verdient. Und das ist auch gut so.
P.S.: »Ein Mann sieht Rot« wäre auch für das Remake ein schönerer Titel gewesen.