Es gibt ihn eigentlich in jedem Jahr, den großen Überraschungshit, den in sämtlichen Vorschauen und Prognosen niemand auf dem Zettel hatte. Ob vor einem Jahrzehnt der Entjungferungsreigen „American Pie“ (1999; weltweites Einspiel: 235 Mil.), die Gyros-Romanze „My Big Fat Greek Weeding“ (2002; 368 Mil.), oder ganz aktuell der Schlafzimmer-Grusler „Paranormal Activity“ (2009), der besonders angesichts seines winzigen Budgets sensationelle Ergebnisse weit jenseits der 100 Millionen-Grenze erzielt, ganz ohne Starpower und omnipräsent-aufdringliche Marketingmaßnahmen eroberten diese Produktionen ihr Publikum. Sequels (die „Pie“-Reihe ist mit „American Pie präsentiert: Das Buch der Liebe“ demnächst 7-teilig) und ähnlich geartete Nachfolgeprojekte (wie der 2009 erschienene „My Big Fat Greek Summer“ und der angekündigte „Area 51“ von „Paranormal Activity“-Regisseur Oren Peli) bleiben dabei selten aus, verblassen aber meistens gegenüber ihrem zu unerwarteter Beliebheit gelangten Ursprung. Die unvorhergesehenen 459 Millionen, die „The Hangover“ seit seinem US-Start im Juni 2009 einsackte, sorgen ebenfalls für reichlich Fortsetzungswilligkeit. Doch bevor vorraussichtlich ab 2011 die zweite Runde mit den verkaterten Haudegen ansteht, sei der Blick zunächst einmal auf ihr erstes Abenteuer zwischen Party, Suff und Blackouts gerichtet.
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Für Doug ist der Tag der Tage gekommen: seine Hochzeit mit der bezaubernden Tracy steht an. Zwei Tage, bevor das Ja-Wort fällig wird, macht er sich mit seinen Kumpels, dem Lehrer Phil und dem Zahnarzt Stu, sowie Tracys leicht seltsamem Bruder Alan auf den Weg nach Las Vegas, um es noch einmal ordentlich krachen zu lassen. Nach dem Einchecken in die teuerste Suite des Caesars Palace und einem Vorglüher auf dem Dach stürzt sich das Quartett in die Nacht – um am nächsten Morgen ohne jede Erinnerung an die vergangenen Stunden aufzuwachen. Dabei sind die völlig verwüstete Suite, der Tiger im Badezimmer und das Baby im Kleiderschrank noch ihre geringsten Probleme. Denn Bräutigam Doug ist spurlos verschwunden. Nach und nach gehen Phil, Stu und Alan den Hinweisen nach, um die Ereignisse zu rekonstruieren und ihren Freund zu finden...
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Im Vergleich zu den Filmen des aktuell wohl angesagtesten Komödienlieferanten Judd Apatow, dessen Regiearbeiten Laufzeiten von zwei Stunden locker erreichen, beziehungsweise deutlich überschreiten und der immer auch das Drama 40jähriger Jungfrauen, unreifer werdender Väter und todkranker StandUp-Comedians mal mehr, mal weniger im Vordergrund inszeniert, fällt „The Hangover“ durch einen sympathischen Gegenentwurf auf. Mit seinen knapp einhundert Minuten bläht er sich nicht in epische Weiten und dramatisch wird es hier nie so sehr, dass man als Zuschauer das eigentliche Ziel, nämlich lachen, vergessen würde. „The Hangover“ ist seine Grundidee, er ist die Suche dreier Typen nach der Wahrheit, quasi die X-Akte unter den Las Vegas-Trips. Mehr ist nicht und mehr will nicht sein, keine Botschaft wie »Mit wahrer Freundschaft kann man alles schaffen«, kein moralischer Fingerzeig à la »Keine Macht den Drogen«, man ist nach dem Film weder schlauer, noch moralisch erleuchteter oder sonstwas. Um ein „nachher“ geht es Regisseur Todd Phillips und dem Autorenduo John Lucas und Scott Moore in keiner Sekunde, sie haben einzig das „währenddessen“ im Auge. „The Hangover“ soll Spaß machen und unterhalten, ein „Mehr“ überlässt er all jenen, die nicht mehr von „weniger“ sprechen wollen. Irgendwie nett ist dieses sich selbst nicht zu wichtig nehmende „No use for a use“-Konzept, ganz auf geht es allerdings nicht.
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Mit ihren Figuren Doug, Phil, Stu und Alan landen Phillips, Lucas und Moore zunächst mal einen Treffer ins Bullseye. Dem Kater-Quartett sind keine besonderen, sondern eher die erprobten und massentauglichen Attribute zugeordnet, so ist Doug der loyale Normalo, Phil der charismatische Draufgänger, Stu der geknechtete Spießer und Alan der schräge Dicke. In der Einleitung, vom Aufbruch nach Las Vegas bis zum berüchtigten Morgen danach, werden die Charaktere mit dem entsprechenden Füllmaterial ausgestopft, ohne dass danach noch einmal nachgefüllt wird. Die Qualität von „The Hangover“ liegt somit natürlich nicht in der Tiefe, wohl aber in der Klarheit der Figuren, die sich so oder ähnlich sicher in manchem durchschnittlichen‘ Freundeskreis wiederfinden lassen. In Bradley Cooper, Ed Helms, Zach Galifianakis und (den Umstand bedenkend, dass er die meiste Zeit abwesend ist) auch Justin Bartha hat man zudem eine tolle Besetzung zusammen. Cooper spielt wunderbar verschmitzt, Helms macht dem Vorzeigecholeriker Jon Cryer aus der TV-Serie „Two and a half Men“ alle Ehre. Der bis dahin eher im „Underground“ amerikanischer Comedy unterwegs gewesene Bartträger Galifianakis transportiert seinen unkonventionellen, staubtrockenen StandUp-Stil gepaart mit physischem Einsatz gut in den Film, bietet durch einiges, das einfach zu erzwungen spleenig wirkt, aber nicht die ultimative Performance in schräg-Moll, diese Ausnahmeleistung voll akzeptabler, weder aufgesetzter noch nerviger Verschrobenheit beansprucht weiterhin Michael Richards und sein Kramer aus „Seinfeld“ für sich.
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Nach durchzechter Nacht entfaltet sich das enorm kurzweilige Konzept von „The Hangover“. Das übriggebliebene Trio macht sich nach dem Verlust Dougs auf eine rasante Schnitzeljagd quer durch Las Vegas. Besonders am Anfang ihrer Odyssee, wenn in der komplett zerdepperten Suite ein Huhn, ein Tiger und ein Baby entdeckt werden und niemand auch nur die geringste Ahnung hat, wie diese Konstellation zustande gekommen sein mag, wartet auf die planlosen Paddelköppe und den Zuschauer eine irre Überraschung nach der anderen. In episodisch angelegten Abschnitten klären sich langsam die Rätsel um einen geklauten Streifenwagen, Phils nächtlichen Krankenhausaufenthalt, Stus verlorenen Zahn und seine Spontanhochzeit mit einer Stripperin. Dem auf den Grund gehen der absurdesten Umstände wohnt sogar eine gewisse Spannung inne und die Fragen nach dem „wo“, „wie“ und vor allem dem „was“ der vergangenen Nacht werden in gutem Tempo und immer mit genau so vielen offen bleibenden oder neuen Fragen beantwortet, das man vergnügt zusehen mag. Konzept und Umsetzung funktionieren hier nahezu einwandtfrei, doch von der Grundidee des Gesamten losgelöst ergeben sich in Aufbau und Auflösung der Gags dann doch einige Schwächen. Denen geht der Überraschungseffekt nämlich des öfteren ziemlich ab. Nacktheit dient mehrmals als Pointe, kündigt sich als solche aber so absehbar an, dass der Witz am entblößten Fleisch sich nicht mehr erschließt und es die Mundwinkel eher in Richtung Kinn zieht und man sich denkt: »Och nö, das hätt‘ man nun aber nicht unbedingt sehen müssen«. Am Beispiel: ein nackter Asiate, der aus dem Kofferraum Bradley Cooper ins Gesicht springt = witzig, weil unerwartet. Zach Galifianakis nackter Arsch = nicht witzig. Der nackte Arsch eines uralten Mannes = definitiv nicht witzig. In einer Filmkritik zu oft „Arsch“ schreiben = irgendwie auch ziemlich lahm...
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Mit massenhaft durchgeknallten Einfällen und Peinlichkeiten, abgedrehten Nebencharakteren, wie dem „In the Air Tonight“ schmetternden Mike Tyson und Ken Jeong als entblößter Asiate, und den fabulös verplanten Hauptfiguren kann „The Hangover“ über viele der Mängel, die in der teils arg billigen Gagstrukur begründet liegen, hinwegtrösten. Das ganze Szenario ist einfach zu zugkräftig, mit knackiger Schadenfreude angereichert und in locker unkorrektem Ton gehalten, als das man es ihm übel nehmen könnte, wenn es einen nicht durchgehend zum Lachen bringt. Etwas überragendes, etwas großartiges oder gar einzigartiges kann „The Hangover“ auf diese Weise allerdings auch auf keinen Fall sein. Eher die Art Film, die man einmal richtig guckt, sich gut unterhalten fühlt und ihn danach immer mal wieder ganz gerne nebenher laufen lässt, um dann nur noch an gewissen Stellen hinzuschauen.
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komplette Review siehe: http://christiansfoyer.wordpress.com/2009/11/28/review-the-hangover/