"Doctor, Doctor, gimme the news, i got a bad case of ...." Na der Rest wird sich noch zeigen. Und ich brauchte ein dämliches Zitat, um reinzukommen. Denn genug geredet wurde über das MCU schon, sowohl in der (Laufzeit)Länge als auch in der (Qualitäts-)breite.
Was gibt es also nach dem gefühlten "Alles schon gesehen, alles schon erlebt, alles schon gef****" - Raunen der Presse und des Publikums, noch zu erzählen?
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Dem einfachen "Entertain me" des liebenden Marvel-Publikums, sowie dem Einheitsbrei-rufenden kritischen Publikum (man kann auch normal sagen) wirft sich Horrorfilmer Scott Derrickson nun gleichermaßen mit seiner Comicfilm-Darbietung "Doctor Strange" entgegen. Nach gefühlten Jahren der Dürre nun "endlich" also wieder eine Origin Story und da kann man sich mit vorgezeichneten Story-Arcs ganz schnell die Finger verbrennen. Held wird vorgestellt, erlebt Katastrophe, findet seine Berufung, trainiert, zweifelt, hadert, triumphiert über das Böse. Als Sideorders werden dann noch Love-Interest und (schwarzer) Kumpel gereicht. Soviel zum Kalkül.
Und es ist nur irgendwie logisch, dass auch "Doctor Strange" im Großen und Ganzen alle diese Dinge beinhaltet.
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Wichtig scheint bei Marvel aber, wie man mit diesen Zutaten umzugehen weiß. Und da ist eine kreative Handschrift des Regisseurs unabdingbar. Wie auch ein überzeugender, wie PR wirksamer Protagonist. Wo wir bei Benedict Cumberbatch wären. Dessen Einleitung wohl überflüssig erscheint.
Tatsächlich, so scheint sofort klar, ist der narzistische und geniale Stephen Strange, nicht nur eine wortgewaltige Alliteration, sondern auch ein Bruder im Geiste einer von Cumberbatch's hinreichend bekannter Figur, Sherlock Holmes. Trotzdem ist es seinem sehr genauen Schauspiel zu entnehmen, dass die Porträtierung Strange's mit ungelenken Gefühlsausbrüchen vom Sherlock – Muster abweicht. Zudem verstehen es die drei Autoren auch der Figur Stephen Strange, die Tony Stark's Narzismus in einer unterkühlteren Art sicherlich nochmal unterbietet, einige slapstickartige Humoreinlagen zu verpassen. Was Cumberbatch tatsächlich auch augenzwinkernd runterspielt, indem er sich bei einer Rückwärtsfall in eine plötzlich öffnende Eingangstür noch bedankt oder völlig überzogen mit seinem lebenden Mantel zofft.
Zudem sei nicht zu vergessen, dass Cumberbatch seinem Comic-Ich wie aus dem Gesicht geschnitten scheint.
All das passt, all das macht Spaß und man wünscht sich Strange schon jetzt an der Seite des dauerfeuernden Sprücheklopfers Tony Stark. Der Autor, der die Dialogkaskaden dann bald entwerfen muss, ist allerdings auch nicht zu beneiden. Denn man hat jetzt ganz zwingend eine gewisse Erwartungshaltung.
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Wie bereits erwähnt, ist hinter dem, was Strange tangiert, involviert und am Laufen hält, auch einiges an Kalkül. Aber es ist den Interaktionen der Schauspieler zu verdanken, dass Strange's Lebenswelt durchaus authentisch aufgenommen wird. Die als blass verschriene Rachel McAdams macht für die Origin Story eines Superhelden einen tatsächlich guten Job. Sie spiegelt zum einen Strange's Hilfbedürftigkeit wie Wut durch ihr couragiertes Auftreten wieder. Zum anderen besitzt sie eine gewisse Eigenständigkeit. Sicherlich ist die knappe Screentime bedauernswert, aber sie ist weit davon entfernt als Love Interest abgestempelt werden. Im von Machonmännern bevölkerten MCU beschreitet sie nämlich einen gar nicht so oft beleuchteten Weg: Stephen Strange BRAUCHT sie. Umgekehrt ist das nicht unbedingt der Fall. Das gibt auch der darauf aufbauenden Handlung mit Magie und Illusion einen soliden Anker, der das Fantastische von der "klinischen" Reinheit der Realität sehr wirkungsvoll trennt.
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Für einen Blockbuster für die ganze Familie, ein Actionfest von Disney 2.0, wirkt sowohl der illusorische Trip wie der teilweise schwarzhumorige Actiongehalt
(z.B. Als sich Cumberbatch gegen Ende immer und immer wieder umbringen lässt)
fast schon subversiv. In einer von Strange's ersten Lektionen, der "Schubser" in andere Dimensionen, cinematisch einer der absoluten Augenöffner im MCU und wohl auch generell, wirkt "Doctor Strange" eher wie eine Mischung aus "2001 – Odyssee im Weltraum" und "Fear and Loathing in Las Vegas". Optische Feuerwerke entbrennen sich gleichsam wie illusorische Tricks, beispielsweise dem Verkleinern eines Gangs, in den Strange läuft. In einem OP wird dann auch mal ein "Kampf der Geister" zelebriert, ehe sich Hochhäuser wie in einem Mandala verdrehen. Und wenn dann von Zeit zu Zeit mal "Inception" grüßt, sei's drum, wartet der Film doch mit einer weiteren kleinen Spielerei hinter der nächsten Ecke. Auch wenn die experimentelle Art aufgrund seiner obligatorischen "Kampf gegen das Böse" – Attitüde nicht durchgezogen werden kann, ist es immer wieder erfreulich, wenn Derrickson die plattgetretenen Pfade seiner Vorgänger verlässt.
Das verpasst dem Film eine eigene Note und hat fast schon etwas charmantes.
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Was dann doch bedauerlich ist, dass man diesen mythischen Kosmos rund um seine magischen Beschützer und bösen Widersacher etwas verschenkt. Hier lässt die geradelinige Story dann doch Federn. Das alles ist mehr oder weniger mundgerechte Portionsware aus den Comics, auch für Nichtkenner verständlich vorbereitet und ein wenig spannungsarm. So lernt Stephen Strange schnell seine Fähigkeiten zu nutzen, klar der Film geht 115 Minuten, trifft auf das Auge des Agamotto, klar das braucht Avengers 3 als Plotkrücke und bekommt seinen widerspenstigen Mantel. Der hat's aber zumindest ganz faustdick hinter seinen Stofffetzen.
Mads Mikkelsen's Darstellung hingegen ist zunächst nur einmal darauf bedacht, böse zu sein. Hier hat Marvel wieder mit einem Pre-Comic zugeschlagen, eine neue Eigenart, in der die Motive des Widersachers in schriftlicher Form erklärt werden, sozusagen als Vorbereitung für den Film.
Der gemeine Zuschauer rätselt hingegen ganz gewaltig, wen oder was dieser ehemalige Schüler Kaecilius denn da so verloren hat, dass er alles und jedem mit Vergeltung droht. Zumindest aber mal in zwei Szenen macht er einen launigen Kommentar, was trotzdem nicht darüber hinwegtäuscht, dass Marvel hervorragende Schauspieler auf Schurkenplätzen verfeuert als wären sie Briketts.
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Denn es wäre auch anders gegangen, zumindest bei den Rollen um Chiwetel Ejiofor als Mordo und Tilda Swinton's diskutable Wahl als Ancient One. Ersterer könnte zu Beginn zu Augenrollen führen. Schließlich quillt das Universum mit schwarzen Sidekicks mittlerweile über. Latenter Rassismus oder Quote, was auch immer, im Falle von Mordo allerdings entscheidet Derrickson einen kritischen Charakter ins Rennen zu bringen. Waku hinterfragt das Handeln seiner Kollegen und bleibt daher auch als interessanter Charakter erhalten, der sich ähnlich dem Zuschauer bis zum Ende nicht ganz entscheiden kann, was das eigentlich für Typen sind, mit denen er zusammenarbeitet.
Tilda Swinton, ohnehin wandlungsfähig wie ein Kölner an Karneval, kann man natürlich nehmen, als Ancient One. Wo sie doch schon irgendwie alles gespielt hat. Nimmt man das kritisierte #Whitewashing aus dem Kontext der schauspielerischen Betrachtung, ist sie ohnehin für jedes Projekt ein Glücksgriff. Beharrlich, augenzwinkernd und sehr eigen interpretiert Swinton ihren Charakter und eröffnet Strange und dem Zuschauer einen wunderbaren Moment inmitten der Irren und Wirren dieses interdimensionalen Krieges.
Im Rahmen eines augenscheinlich einfachen Figurenkonstrukts hat sich Derrickson also tatsächlich den ein oder anderen Gedanken gemacht, um den Zuschauer zu überraschen und so erscheint das Ensemble in "Doctor Strange" als eines der Ambivalentesten im Marvel – Kosmos. Und mal ehrlich, ein sich selbst reparierendes Finale ist die Kirsche auf der Torte der Selbstreferentialität des Marvel – Universums.
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Fazit: Optische Brillanz und eingestreute Kreativität durchbrechen die Schablonen seiner eigenen Origin – Pfade und verpassen "Doctor Strange" so ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal. Das es braucht, um in der Flut an Comicverfilmungen nicht unterzugehen. Ein wirkungsvoller wie oft auch sehr spielfreudiger Cast lassen diesen Film in sehr guter Erinnerung zurück. So heißt es nicht nur, "Doctor Strange will return", er darf sogar sehr gerne. "....lovin' you!"
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Wertung: 7.5/10