Was passiert bei einem Hype um einen Regisseur und seinen neuen Film? Nun da teilt sich die Kritiker- und Filmwelt gerne in die Parteien „Fans“ und „nicht zu überzeugender Gegenpol“, der ganz zwangsweise unparteiisch bleiben, aber zumeist auch einfach polarisieren will. Und wer hat jetzt recht? Die Einen, die Anderen oder die Dazwischen? Subjektivität.
Bei Martin Scorsese’s Film „The Wolf of Wall Street“ verhält sich das nicht anders. Das Werk wurde im Vorhinein von Fans ersehnt und in überirdische Weiten gestoßen, während sogar viele Stimmen laut wurden, sein Film sei abstoßend.
Eins kann man damit schon im Vorraus sagen, Scorsese hat bei diesem diskutablen Charakter wieder etwas Einzigartiges geschaffen. „The Wolf of Wall Street“ ist nicht das komplett ausgebrochene Unkonventionalitätskino, dass es gerne hätte, denn es ist doch immer noch stark an seine Vorbilder verankert, aber trotzdem extrem unterhaltsam, überbordend verrückt und besitzt einen Leonardo Di Caprio, der in seine Vollen geht.
Der rasante Aufstieg und tiefe Fall des Brooker Jordan Belfort, der sich mittels raffinierter Taktik und unmoralischem Ehrgeiz zum mehrfachen Millionär mausert. Doch in Bezug auf biographische Vorbilder ist Belfort’s Fall da wohl eher in Watte gefedert, in Scorsese’s satirischem Ambiente scheffelt Di Caprio’s Charakter Geld ohne Ende, unsympathisch bis zum geht nicht mehr überzeichnet, und erhält nach dem Ende doch nur ein paar kleine Jährchen.
Aber das ist vielleicht auch genau das Gefühl, was uns Scorsese vermitteln will. „Wenn ich zwischen Armut und Reichtum wählen könnte, würde ich immer den Reichtum nehmen.“ Denn „Wolf of Wall Street“ handelt keine tiefenpsychologischen Studien ab, er hinterfragt nicht einmal groß den Einfluss der Drogen auf seine Protagonisten. Nein, er darf in seiner Satire sogar die Oberflächlichkeit seiner Handlung zu seinen Gunsten nutzen. Und die zelebriert er dann auch in mustergültigen Orgien voller abstruser Idee, er schafft es damit sogar an den Hang zur Langeweile zu geraten, ohne ihn dabei hinabzufallen. Denn denkwürdige Szenen bietet Scorsese fast im Minutentakt, manche witzig, manche abstrus, manche aber auch bitterböse und magenumdrehend. Und wenn Jonah Hill und Di Caprio auf uralten Lemons sind und sabbernd und unkontrolliert durch die Gegend rollen, fühlt man sich gerne an den Trip von del Toro und Depp in „Fear and Loathing in Las Vegas“ erinnert.
Aber das ist vielleicht auch ein wenig das weitere Problem. Scorsese ist ein wahrer Meister der Inszenierung, vor allem in genialen Dialogszenen mit hyperbelartigem Klimax. Doch erfindet sein Werk irgendwo zwischen der Eigeninspiration („Goodfellas“) und Aneignung („Wall Street“) nicht das Rad neu. Oft genügt ihm hier die Verneigung oder das dezente Fingerzeigen, „The Wolf of Wall Street“ will lieber ein eigener Bastard sein, als ein ans Optimum entwickeltes Kunststück, was dem Zuschauer aber zu jedem Zeitpunkt völlig genügen sollte.
Denn absolut positiv einfärben kann das Werk die enorme Spielfreude des Casts. Die Oscarchancen von Di Caprio waren wahrscheinlich noch nie so groß wie in diesem Jahr. Nicht nur, dass er, die Presse, die Fans und eigentlich auch sonst jeder fordern, Jordan Belfort ist , auch in Bezug auf das 3-Stunden-auf-der-Leinwand-sein, eine meisterliche Schauspielleistung, zwischen Unsympath, Gierhals und emotionalem Wrack, eine Leistung, die reichen sollte. Auch wenn Di Caprio das Nonplusultra des Films ist, halten prominente Nebendarsteller wie Jonah Hill, Matthew McCaughney und eine verführerische sowie wirklich großartige Margot Robbie überraschend gut dagegen.
Auf der Gegenseite offenbart sich die Unausgeglichenheit des Films, die Antagonisten aus FBI usw. werden zwar miteinbezogen und sollen dem Film Erdung verschaffen, sind dann aber mit lediglich einer Figur besetzt, die sehr wenig Screentime erhält. Jon Bernthal obliegt es aber immerhin noch, eine wichtige Mimik zu ziehen.
Fazit: Subversiv? Revolutionär? Keine Ahnung. Aber „The Wolf of Wall Street“ ist genau das, was man von einem mittlerweile 71 jährigen Regisseur wirklich nicht erwartet hätte, hieße er nicht Martin Scorsese. Ein wirklich abgedrehter und berauschender Unterhaltungsmix, angelegt als beißende Satire über eine weitere spannende Geschichte der Wall Street. Weit weniger konzentriert und komplex, wie vielleicht gedacht, aber nichtsdestotrotz unbedingt sehenswert.