Zu dick aufgetragen!
Allerdings kenne ich die autobiografische Romanvorlage nicht.
Ich setze jetzt hier mal den Inhalt als mehr oder weniger bekannt voraus (durch andere Kritiken oder, weil Film schon gesehen) und steige gleich bei den für mich entscheidenden Kritikpunkten ein.
Ob nun das eine oder andere Element satirisch rüberkommen sollte oder nicht ... zwei Dinge stoßen mir in Filmen (so auch in diesem) regelmäßig übel auf:
1. Wenn der Hauptdarsteller plötzlich mit dem Publikum spricht! Immer wieder wendet sich Leonardo DiCaprio alias Jordan Belfort direkt in die Kamera, läuft auch oft hinter ihr her (auch an anderen Menschen, die im Film mitspielen, vorbei) und spricht einen direkt an. Warum nicht, könnte man entgegenhalten, ist ja auch "seine" Erzählung. Es gibt viele Filme, bei denen immer wieder eine Erzählstimme aus dem Off eingestreut wird (was meines Wissens aber grundsätzlich auch nicht als angesehendstes filmisches Stilmittel gilt), also, warum nicht noch eine Stufe weitergehen und den Zuschauer direkt ansprechen und ansehen ... Trotzdem, ich emfpinde das jedes Mal als dramaturgische Unterbrechung. Durch die direkte Ansprache wird man regelrecht aus dem Film gerissen und muss sich dann immer wieder aufs Neue hineinfinden.
2. Musste man den wirklich soo dick auftragen? Höher, weiter, schneller ... Es wurden einfach noch mehr und noch mehr verschiedene Drogen konsumiert, als wir das schon in diversen anderen Filmen gesehen haben. Bei den orgiastischen Partys ging es noch übertriebener zu, es liefen noch mehr nackte "Bunnys" rum ..., die Motivationsansprachen, die Belfort in seiner Firma immer wieder gehalten hat, waren so dermaßen übertrieben, da hat man sich ja schon fremdgeschämt. Oder - um nur ein Beispiel etwas näher zu beleuchten - es waren z.B. übertrieben viele Mitarbeiter (die für Belfort arbeiten) in diesem Großraumbüro. Völlig unrealistisch. Man möge sich ja mal vergegenwärtigen: Das waren alles Telefonverkäufer! Aber es waren beiweitem nicht genügend Telefone, geschweige denn Sitzplätze für die ganzen Mitarbeiter vorhanden. Aber, so wie es dargestellt wurde, telefonierten die Leute ja auch eher im Stehen, weil sie so engagiert waren, und versuchten, sich gegenseitig den Hörer aus der Hand zu reißen! Dabei möge man aber bitte auch im Hinterkopf behalten: Jeder Mitarbeiter soll natürlich soviel verkaufen wie möglich. Da wäre natürlich so ein Handycap wie das der zuwenigen Telefone völlig absurd. Und dann ist auch bei so einem Geräuschpegel im Saal an einen seriösen Telefonauftritt nicht zu denken. Das wäre aber gemäß dem Verkaufskonzept (welches von Belfort erklärt und vorgemacht wurde) absolut unumgänglich gewesen. Also, alleine schon dieses Treiben in dem Großraumbüro - völliger Kappes!
Es mag wohl sein, dass sich solche Leute, die beruflich so unter Druck stehen, auch entsprechend extreme Ausgleiche (Sexsucht, Drogen u.a.) brauchen oder glauben zu brauchen. Das habe ich in seriösen Dokumentationen, in denen teils Wallstreet-Aussteiger berichteten, auch so bestätigt gesehen. Das stimmt schon alles im Ansatz so, wie es gezeigt wurde.
Trotzdem, eine Spur weniger Gigantismus, statt dessen etwas mehr Realismus und damit einhergehend etwas mehr charakterliche Tiefendarstellung, und der Film hätte richtig groß werden können. DiCaprio hätte schauspielerisch sicher nichts gegen eine etwas tiefsinnigere Darstellung seines Charakters gehabt und hätte es auch gekonnt. Auch in drei Stunden Filmdauer, sollte man meinen, wäre genug Gelegenheit dazu gewesen. Aber Scorsese hat ihn teilweise zum fratzenschneidenden Hampelmann degradiert - schade! Seine Gefühlswelt, sein "Innenleben" wurde, wenn überhaupt nur oberflächlich angeschnitten, statt dessen, hatte Leonardo ständig irgendein Röhrchen in der Nase oder hatte grimassenschneidend und wild rumhampelnd ein Mikrofon oder Telefonhörer in der Hand. Daneben fand ich es auch etwas unpassend, einen 40 jährigen einen anfang zwanzigjährigen spielen zu lassen.
Die Gags waren meist auch nicht so der große Wurf. Zugegeben, die Idee mit dem roten Ferrari, der dann weiß wurde, war pfiffig. Aber z.B. der cholerische Vater hat mit seinen ständigen Wutausbrüchen eigentlich nur genervt. Oder Kleinwüchsige auf eine Zielscheibe werfen - na ja.
Eine Erwähnung wert ist allerdings schon Belforts zweite Ehefrau Margot Robbie alias Naomi Lapaglia. Wenn auch dieser Frau etwas mehr charakterliche Tiefe eingehaucht worden wäre, man hätte hier durchaus einen Vergleich ziehen können zum legendären Auftritt von Sharon Stone in Casino.
Insgesamt bleibt in meiner Erinnerung nur ein etwas oberflächicher "Wallstreet-Transformers*" übrig!
(* Transformers als Synonym für einen typischen "Hollywood-Blockbuster". Gigantische Hochglanz-Action bei relativ blasser Story und blass bleibenden Charakteren. Ein oberflächlicher Augen- und Ohrenschmaus, der es nicht wirklich schafft, zu berühren.)
In meinen Augen nicht vergleichbar mit einem seiner ja durchaus vorhandenen Meisterwerke wie Casino, Hugo Cabret, Wie ein wilder Stier (extra einen wilden "Mix" genommen!) oder anderen.
Ähnliche Filme, die mir persönlich besser gefallen haben:
Middle Men (2009, Metier: Erwachsenenfilme via Internet/Kreditkartenbezahlung/-betrug)
Runner Runner (2013, Metier: Onlinepoker)
Und - na ja, auch irgendwie themenverwandt - ein mittlerweile schon Klassiker von 2001: Blow
Und, wenn ich schon bei Klassikern bin, natürlich: Wall Street (1988)