Der Vorleser (The Reader)
1995 gelang dem deutschen Autor Bernhard Schlink ein beeindruckender Erfolg. Nicht nur die Kritiker waren dem Werk wohlgesonnen, sondern schaffte er es auch als erster Autor der Bundesrepublik auf Platz eins der Bestsellerliste der New York Times. Somit standen zwar die Vorzeichen auf eine erfolgreiche filmische Umsetzung recht gut, jedoch ist eine Buchverfilmung immer eine schwierige Gratwanderung zwischen der Nutzung der neuen Möglichkeiten, die der Film bietet, auf der einen Seite, und der Erhaltung des Geistes des Originals auf der anderen Seite. Da die Filmrechte 1996 an Harvey Weinstein verkauft wurden, konnte man sich auf etwas großes freuen, da die Weinstein Brüder für Oscarerfolge wie ,,Shakespeare in Loveââ, ,,Chicagoââ, ,,There will be bloodââ oder ,,No country for old menââ stehen. Jedoch hat sich das lange Warten auf die Adaption hat nur bedingt gelohnt. Spoiler
Im Jahr 1958 in Neustadt hat der Schüler Michael Berg auf dem Nachhauseweg einen Gelbsuchtanfall. Die 36-jährige Straßenbahnschaffnerin Hanna Schmitz hilft ihm, nach Hause zu kommen, und drei Wochen später begibt sich Michael zu ihr, um sich zu bedanken. Ab diesem Tag entwickelt sich eine Liebesbeziehung zwischen den beiden, doch Hanna hält ihn auch auf Distanz, nennt ihn âJungchenâœ. Michael lässt sich das gefallen. Es entwickelt sich das Ritual, dass Michael Hanna vor dem Sex aus Büchern vorliest. Er merkt jedoch nicht, dass Hanna Analphabetin ist. Eines Tages ist sie verschwunden. Erst 1966 sieht er sie, da er Jurastudent geworden ist, als Angeklagte KZ-Aufseherin wieder. Im Gegensatz zu den anderen Angeklagten gesteht Hanna, jedoch wird sie aufgrund eines von ihr unterschriebenen Dokumentes, das den Tod von 300 Juden verursacht hat, lebenslänglich verurteilt. Das Dokument kann aber nicht von ihr sein, da sie nicht schreiben kann. Michael weiß das, er traut sich aber nicht, es dem Gericht mitzuteilen. Der junge Rechtsanwalt schickt Hanna daraufhin Kassetten in den Knast, mit denen sie lesen und schreiben lernt. Die von ihr verfassten Briefe beantwortet Michael jedoch nie. spoiler ende Am letzten Tag der Haft bring sich Hanna um und vermacht ihr Vermögen der Jüdin, die sie mit ihrer Aussage Gitter brachte.
Das Hauptproblem des Films tritt hier auch schon zutage. Die dreiteilige Biografie von Hanna Schmitz und Michael Berg wird stupide abgehandelt. Anscheinend wollte man möglichst nah am Buch bleiben, gleichzeitig jedoch etwas wegkürzen. Da beides nicht geht, gibt es vor allem gähnende Langeweile.
Diesen Verlauf versucht man durch eine Rahmenhandlung aufzubrechen, die dem Zuschauer jedoch absolut sinnlos vorkommt, da der vollkommen verschenkte Ralph Fiennes (Schindlers Liste, Harry Potter) im immer gleichen weinerlichen Dackelblick durch Berlin schlurft. Das einzige, was passiert ist, das dem Film noch ein paar Extraminuten raus gepresst werden, und man irgendwann sehnsüchtig das Ende erwartet.
Dabei wäre eine Straffung noch nicht einmal notwendig. Heutzutage gehen viele Filme 2 Stunden. Viel wichtiger wäre eine konsequente Nutzung filmischer Mittel gewesen. Keine Szene, außer die, wo Hanna zu erklären versucht, warum sie die Juden ins Vernichtungslager geschickt hat, kann den Zuschauer wirklich mitreißen. Im Allgemeinen ist es Kate Winslet (,,Titanicââ, ,,Vergiss mein nichtââ) zu verdanken, dass der Streifen nicht im absoluten Mittelmaß stecken bleibt. Ihre Darstellung der widersprüchlichen Hanna Schmitz, die Verwundbarkeit, Aggression, ein unterentwickeltes moralisches Empfinden und erotische Anziehungskraft gleichermaßen zum Ausdruck bringt, wurde zu Recht mit dem Oscar geehrt.
Dass der Film auch zu Recht keinen Goldjungen bekommen hat, ist zum Großteil dem meiner Meinung nach dem aus welchen Gründen auch immer oscarnomminierten Drehbuch geschuldet. Hier wurde der Film nicht wegen seiner Leistung, sonder wegen des von ihm behandelten Themas ausgewählt. Alles wirkt halbherzig. Die letzte Konsequenz fehlt eindeutig. Man erwartet als Zuschauer immer, das jetzt was passieren muss, doch man wird jedes Mal enttäuscht. Besonders schlimm ist das an der Szene, in der Hanna Neustadt verlässt, weil sie von ihrem Job als Straßenbahnschaffnerin ins Büro befördert wurde und deshalb berechtigte Angst hat, dass ihr Analphabetismus entdeckt wird. Die Musik von Nico Muhly suggeriert einem zwar, das gerade etwas Wichtiges passiert, doch das Geschehene kommt total nebensächlich und ohne richtige Emotion, ja geradezu unbedeutend herüber. Dabei ist diese Szene von essentieller Bedeutung für den ganzen Film. Leider ist diese kein Einzelfall, und Regisseur Stephen Daldry (,,Billy Elliotââ) sollte sich an die eigene Nase fassen.
Da der Film den Zuschauer nicht sonderlich fesseln kann, bleibt auch die Spannung auf der Strecke. Dabei sind die äußerlichen Voraussetzungen geschaffen. Das Studio Babelsberg hat ganze Arbeit geleistet, wobei man eigentlich keine Kulissen aufbauen musste. Deshalb wird wohl der Großteil der 32 Mio. $ Produktionskosten in den Taschen der Stars verschwunden sein. Davon wird David Kross (,,Krabatââ) als Michael nicht viel gesehen haben. Teilweise auch zu recht, da er mit zunehmender Filmdauer in ein dauerheulen verfällt, und dadurch die wirklich emotionalen Szenen ein wenig untergehen. Am für ein Drama etwas schnellen, aber gelungenen Anfang, zeigt sich, welches Potential in ihm steckt.
Generell spielen viele deutschsprachige Schauspieler der Güteklasse A mit. Während Alexandra Maria Laras Auftritt in der Rolle der im KZ Inhaftierten Zeugin der Anklage als Cameon gewertet werden kann, ist Brune Ganz (,,Der Untergangââ, ,,Der Manchurian Kandidatââ) als Juraprofessor Rohl wie immer eine Offenbarung.
Ein Hauptproblem bei der Verfilmung literarischer Werke ist die Gedankenwelt der Protagonisten. Durch den Verzicht von Monologen kann diese nur durch Kameraeinstellungen auf die Gesichter der Schauspieler gezeigt werden. Da sich in diesem Bereich die von mir genannten Unzulänglichkeiten einschleichen, gehen einem solche Szenen nach einer Weile nur noch auf den Geist, da man immer nur das gleiche, nämlich heulende Gesichter, sieht.
Zu allerletzt ist da noch eine Sache, um die man in der Bewertung nicht drum herum kommt. Ich meine die Einstellung des Filmes zur Vernichtung in den Konzentrationslagern. Es ist mir klar, dass es in der Figur der Hanna Schmitz liegt, welche Entscheidung sie trifft, doch sich wegen Analphabetismus mehr zu Schämen als für die Ermordung von hunderten Menschen, ist indiskutabel . Denn am Ende ist die Hauptbotschaft des Filmes jene, die den Deutschen der Nazizeit eine Absolution erteilt, die etwas von der Endlösung gewusst haben. Doch da ist dem Film kein Vorwurf zu machen, da man den Sinn des Buches nicht grundlegend ändern kann.
Was bleibt am Ende zu sagen? Der Vorleser ist kein schlechter Film geworden, aber auch nichts großes, der im Endeffekt hinter Meisterwerken wie ,,Schindlers Listeââ oder ,,Das Urteil von Nürnbergââ deutlich zurückbleibt.