Chris Evans – ein doch eher mittelmäßiger Schauspieler wird zum Phänomen?! Mitnichten sagen die einen, können aber nicht widersprechen, dass das „Fantastic Four“ - Desaster aufgesaugt wurde und klinisch sauber wieder reproduziert wird. So bleibt uns vor allem der Evans der Neuzeit erhalten, der auch in ungewohnten Rollen wie in Danny Boyle's „Sunshine“ oder Edgar Wright's „Scott Pilgrim“ Kapital schlagen konnte und mit der Captain America - Rolle seinen vorläufigen Zenit bestaunen darf. Es manifestiert sich auch in Joon-ho Bong's „Snowpiercer“, was der charismatische Amerikaner in Interviews durchscheinen ließ, seine Wahl für Rollen ist wohl überlegt.
Denn „Snowpiercer“ ist DER Blockbuster des laufenden Jahres, da lege ich mich zwar ziemlich früh fest, aber ein solche Dichte an kritischen Tönen und psychologischen Differentiationen der Charaktere, sowie fulminant kraftvollen Inszenierungen, wird das Genre dieses Jahr nicht mehr hervorbringen.
„Snowpiercer“ ist einer dieser Pulsschläge des modernen Blockbusterkinos, an dem Kritiker und Filmliebhaber beidergleichen jährlich messen, ob sich noch etwas bewegt, etwas Brücken schlagen oder eben aufrütteln kann. Alles andere ist dann Plastik.
Und für die enormen Erwartungen, die „Snowpiercer“ zurecht schürt, beginnt Joon-ho Bong's Werk doch locker leicht, eignet sich die Mechanismen des Blockbuster – Genres an, um sie anschließend unerwartet zu unterlaufen und das in geradezu handlichem Erzählton.
Denn „Snowpiercer“ funktioniert einfach geradlinig wie sein Fortbewegungsmittel. Er prescht von Raum zu Raum und verkantet dabei nie in seinem Fluss, hat auch keine Gelegenheit dazu, dafür fungiert die Handlung schließlich als Rekursivität.
Was im Laufe erklärt wird, könnte zwar schnell simplifiziert aufgefasst werden, hat aber eine bedeutsame Doppelbödigkeit, die sich erst rückblickend betrachten lässt. Und so funktioniert das Werk wie sein Zuggetriebe, alles steht in Relation zueinander und verbindet sich miteinander. Einer der interessanten Schlusstwists mit den Telefonen untermauert diese These, wenn sie sich nicht sogar überhöhen lässt und den Zug als Kreis beschreibt, in dem sich Anfang und Ende nur schwer unterscheiden lassen. Aber das geht an der Stelle eventuell etwas weit, denn die Symbolik von Kreisen und Anfang und Ende finden verschieden deutbare Anknüpfungspunkte: Der Zug als Ökosystem, der Zug als Welt, wie eines der Zugkinder naiv und richtiggehend behauptet, sowie der Zug als unaufhaltsame Maschine, als fortschrittliche Ingenieurskunst sowie todbringender Rückschritt. Der Palette an Themen verdankt „Snowpiercer“ sein Interesse, das weit über das Vorstellungsende hinausgeht und die berühmte „what if“ - Prämisse, die jeder richtig gute Sci – Fi – Film aufbauen sollte, in Zukunft, Dystopie und aktuellen Bezug einbettet ohne esoterisch oder pathetisch verklärt zu wirken.
Die Idee, den Zug als letzte Bastion der Menschheit zu wählen, ist dabei wohl gewagt und stößt nicht allerorts auf Gegenliebe, obwohl sich Regisseur Bong soweit verteidigen kann, als dass er die französische Graphic Novel „Schneekreuzer“ als Inspirationsquelle nutzte. Vielleicht ist aber auch die unbequeme und allenfalls als drastische Notlösung erscheinende Zukunft gerade das Unbehagliche, dass „Snowpiercer“ seine weitere Faszination verleiht. Ist das wirklich Ablehnung aus bloßem Unglauben oder doch eher das Unvermögen diese persönliche Mischung aus Leugnen und Sorge, dieses weitere dystopische Bild könne ein Platz in der Reihe unangenehmer Zukunftsvisionen sein, anzuerkennen. Eine Frage, die jeder für sich frei und auch gerne kritisch, in Bezug auf die Qualität des Films, beantworten darf.
Es sollte aber unbestritten bleiben, dass „Snowpiercer“ eine weitere grandiose Regieleistung in der Vita des Südkoreaners Joon-ho Bong ist. Ideenreich spielt Regisseur Bong mit den typischen Elementen postapokalyptischer Szenarien, diskutiert über die Länge des Films Lebensmittelversorgungen und adäquate Unterkünfte kritisch aus, ohne den Blick von seinem treibenden Handlungsgenerator zu nehmen, der unaufhaltsam von Tür zu Tür, Waggon zu Waggon bricht. Was Bong in seinem Szenenbau zu Gute kommt, ist der Facettenreichtum verschiedener Waggons, die er surreal und augenscheinlich wahllos aneinanderreiht und so immer wieder Momente der Überraschung generiert. Dabei fallen die Partyexzesse bedenkenloser feiernder Zugbewohner oder auch die Propagandaklasse einer völlig überdrehten Lehrerin schnell ins Auge. Wandlungsreich wie das Leben selbst agiert „Snowpiercer“ meist schneller als man sich versieht und da ist das Risiko groß, etwas falsch, garnicht oder missverstanden aufgefasst zu haben. Trotzdem setzt Boo hier seine Reize, geht höchst unkonventionell in atmosphärische Szenen, überwirft sich dabei zumeist sogar gewollt, aber sehr effektiv und schneidet seine Actionsequenzen mal authentisch wackelnd, mal wie in Trance (in anmutigem Ballett) und manchmal auch mit krachender Slowmotion, die eine wahre Gänsehaut durch die Bestie Mensch hervorruft.
Es ist sehr selten, dass sich ein Film so genau und auf derart verschiedenen Ebenen auf die Urkraft des Menschen versteht. Bong durchläuft so mit dem Zuschauer durch seinen Protagonisten Curtis, der dem Zuschauer zu Beginn als kommenden Herrscher und Heroe vorgestellt wird, einen Marsch tiefliegender, persönlicher Ängste, drastischer Situationen und sogar weiterentwickelt bis hin zu menschlichen Perversionen, die ihn als Wesen fast selbst aufzulösen, geradezu verlieren, scheinen.
Gerissen spaltet Bong hier zudem Künstlichkeit von der lebenden Komponente seines Films. Denn selbst wenn sich der Mensch, die wohl einzig offensichtliche Lebendigkeit als amoralische Bestie offen zeigt, sucht der Zuschauer auch weiterhin nach Trost, nach einem glücklichen Schlusspunkt für den Film und das eigene Gewissen. In diesem Zusammenhang setzen auch die unwirklich erscheinenden Spezialeffekte einen entscheidenen Punkt, trotz der Schwäche sogar zu Gunsten des Films. Denn wenn das Ende das Rückwirken zur Natur anzupreisen scheint, setzt ein schlecht animierter Eisbär einen wirkungsvollen Konter. Der Mensch mag sich besinnen können, doch wartet hinter dieser Moral eine weitere unangenehme Wahrheit: Was einmal zerbrochen, wird nie ganz wieder heilen.
Fazit: Das ist er also, „Snowpiercer“, ein Zug von einem Film, ein gigantisches maschinelles Monster, das in seiner Geschwindigkeit und Kraft alles vor ihm Liegende verschlingt und ein Nein niemals akzeptiert. Mit diesem herausragenden Film auf allen Ebenen zerschlägt, quält, begeistert und euphorisiert Regisseur Joon-ho Bong seinen Zuschauer und lässt ihn ausgelaugt auf der Strecke liegend vermuten, bei etwas ganz Großem dabei gewesen zu sein.