Sergeant Thompson, Sergeant Sanborn und Specialist Eldridge leisten als Bombenentschärfungskommando einen der gefährlichsten und härtesten Dienste im Irak. Nachdem Thompson bei einem Einsatz ums Leben kommt wird Sanborn und Eldridge der waghalsige Staff Sergeant James zugeteilt, auf dessen Konto über achthundert Bombenentschärfungen gehen. Doch von Teamplay, einer der wichtigsten Überlebensgrundlagen, hält James nicht viel und startet einen risikoreichen Alleingang nach dem anderen…
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Manche Filme bauen ihn sanft auf, diesen gewissen Druck des Realen, den sie auf den Zuschauer laden, indem sie ihn den Gedanken fassen lassen: „Whao, sowas passiert tatsächlich gerade auf der Welt / vor der Haustür / in der Nachbarschaft.“ Das kann durchaus mit dem Zweck eskapistischer Unterhaltung einhergehen, wie es beispielsweise der Oscarabräumer 2009 „Slumdog Millionaire“ bewies, der um die Armut und Lebenslage der Bettlerkinder in Indien eine fast märchengleiche Story sponn und daraus Schwupps ein Feelgood-Movie werden ließ, ohne jedoch die Zustände in Mumbai zur Trivialität zu degradieren. Kathryn Bigelow schlägt mit „The Hurt Locker“ eine andere Richtung ein. An ihrem Film ist nichts sanftes, vielmehr drückt er einen über zwei Stunden unbarmherzig zu Boden, beleuchtet einen Soldatenalltag, dessen Passieren sich in dieser Form wohl nur die wenigsten bewusst sind und der in seiner vollen Härte fern jeglicher Schönung hereinbricht. Das fühlt sich zwar nicht gut an, ist aber so spannungsgeladen und eindringlich, dass selbst Wunderlampenbesitzer auf den Wunsch nach etwas angenehmerem verzichten würden.
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Auch Bigelow verzichtet bei „The Hurt Locker“, und zwar auf zwei elementare Dinge, deren Fehlen man einem gewöhnlichen Blockbuster gepflegt um die Ohren hauen würde. Allerdings grundet Bigelows Verzicht nicht darauf, hier eine Independentproduktion vorgelegt zu haben, sondern auf einer knochenharten Konsequenz im Umgang mit der Geschichte ihres Films. Jenes Kino, das sich aus dem Umstand Krieg destilliert, schafft meist und dann seine stärksten Momente, wenn es auf ein herkömmliches Erzählen verzichtet und die Dinge, Taten und Aktionen einfach passieren lässt. Ob der zermürbende Marsch durch eine unwirtliche, fremdweltlich anmutende Wüste in „Jarhead“ (2005), oder der wohl berühmteste und wahrscheinlich auch beste Vertreter des Just let it‘ happen-Moments, die Landung der Alliierten in der Normandie in Steven Spielbergs „Der Soldat James Ryan“ (1998), zwischen nicht selten pathetisch aufgeblasenen und verklärenden Schlachtgemälden bleiben solche Sequenzen im Gedächtnis. Während Sam Mendes und Spielberg eben auch noch eine Geschichte erzählen, lässt Bigelow „The Hurt Locker“ von Anfang bis Ende passieren, fast völlig ohne zu Erzählen.
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Die Anfangssequenz schmettert einen unmittelbar in den Alltag des Bombenentschärfungskommandos. Thompson, Sanborn und Eldridge leisten auf einer staubigen Straße Dienst strikt nach Vorschrift und Vorsicht, schicken eine ferngelenkte Drohne vor, um den Sprengsatz zu prüfen, aber als Thompson schließlich doch in den monströsen Schutzanzug steigen muss, um die kontrollierte Sprengung von Hand vorzunehmen, ist es bei aller Obacht ein kurzer Moment des Zögerns Eldridges, der Thompsons Leben kostet. Die Anspannung und Strapazen, das ständige Vorausahnen des Unerwarteten und die Disziplin, mit der die Männer ihre bereits von ersten Haarrissen zersetzten Nerven zusammenhalten müssen, vermitteln Bigelows Inszenierung und Barry Ackroyds in alle Blickrichtungen zuckende Kamera nicht als etwas abstrakt Erahnbares, sondern machen aus der psychischen und physischen Grenzerfahrung der Soldaten eine ebensolche für den Zuschauer. Da sind Spezialisten am Werk und dennoch fühlte man sich selten so sehr in Unsicherheit, denn auch diese Profis wissen: die Risiken, die sie eingehen, sind absolut unberechenbar.
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„The Hurt Locker“ könnte sich nach seiner würgegriffähnlichen Anfangsszene zurücklehnen und nun eine Geschichte zu erzählen beginnen, tut dies aber nicht. Nachdem Sergeant James zu Sanborn und Eldridge stößt lässt der Film per Texteinblendung wissen, dass der Kompanie Bravo noch 38 Tage bis zu ihrer Ablösung bevorstehen und diese letzten 38 Tage sind eine Routine, bei der sich nur eine entscheidende Variable verändert: statt des bedachten Thompson führt nun mit James jemand das Kommando, der die Risiken nicht zu minimieren versucht, sondern sich und sein Team frontal in sie hineinstürzt. Mit seiner Figur verzichten Bigelow und Autor Mark Boal auf das zweite Element, nämlich einen reinen Helden. James entschärft zwar Bomben und rettet damit Leben, gefährdet diese zuvor aber kaum weniger, als der ursprüngliche Bombenleger selbst. Er führt ein privates Duell gegen Kabel und Drähte, gegen Zünder und Schlösser und gegen jene, die sie zusammengelötet haben. Er versucht nicht bloß, den richtigen Draht zu kappen, James will dem Tod persönlich die Sense aus der Hand reißen und er scheut sich nicht davor, dieses Kräftemessen möglicherweise zu verlieren. Und je unkontrollierbarer die Situation dabei wird, desto wohler fühlt sich James, denn während alle um ihn herum nicht einmal die Angst vor der Bombe überwunden haben, hat er die größte aller Ängste hinter sich gelassen. Die Angst, die Kontrolle zu verlieren. Ein Risiko kann nur so groß sein, wie die Fähigkeiten desjenigen gering sind, der sich ihm stellt, und James weiß um seine außergewöhnlichen Fähigkeiten. Dennoch: als Helden kann man jemanden wie ihn schwerlich verehren.
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Innerhalb der ersten Dreiviertelstunde wiederholt „The Hurt Locker“ das Grundprinzip seiner Einleitung mit annähernd identischen Einsätzen zwei weitere Male, büßt dadurch jedoch keinen drahtbreit an Spannung und Dramatik ein, da das Interesse des Films eben nicht einer Geschichte, sondern den Charakteren gilt. James führt ein waghalsiges Manöver nach dem anderen durch, während Sanborn darüber immer erzürnter und Eldridge immer verängstigter wird. Gerade durch die Wiederholung der Ereignisse, die Aktionen und Reaktionen des Teams, baut „The Hurt Locker“ eine Wirkungsstärke auf, die mehrmals der Spitze des Erträglichen entgegen pegelt und auf bedrückende Weise deutlich macht, dass man hier (im Verständnis der Soldaten) keine Außergewöhnlichkeiten zu sehen bekommt, sondern eine Alltäglichkeit unter ständiger, nie abreißender Anstrengung. Entspannung von diesem permanenten Druck gibt es kaum. Wenn James sich mit einem Raubkopien vertickenden irakischen Jungen namens Beckham anfreundet und Eldridge in Gesprächen mit einem Psychiater seinen Tod heraufbeschwört, offenbaren sich auch darin nicht gerade Lockerungsübungen zwischen den Einsätzen, weshalb „The Hurt Locker“ nicht davor gefeilt ist, auf einen weniger in Extremsituation geübten Zuschauer durchaus ermattend zu wirken und ihn unter der schier unlösbaren Spannung erschlaffen zu lassen.
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Dem wirkt Kathryn Bigelow jedoch spätestens in der zweiten Hälfte durch gezielte Schläge entgegen, ohne sich dabei der Drastik eines „Der Soldat James Ryan“ bedienen zu müssen. Ein Gefecht in der Wüste, bei dem das Bombenentschärfungsteam zunächst auf ein paar gestrandete Söldner trifft und beide Gruppen wenig später unter Beschuss genommen werden, ist ein mörderisch durchdringend inszenierter Höhepunkt des Films, der eine weitere auslaugende Facette des Soldatenlebens und –leidens passieren lässt. Stundenlanges, unter sengender Hitze in der Deckung verharren, gelegentlich ein sich zeigendes Ziel ins Visier nehmen und eine weitere Ewigkeit auf die nächste Gelegenheit lauern, wenn man es verfehlt. Mit jedem Schuss, den Sanborn in eine Häuserwand statt in den Körper des Feindes setzt, verschärft sich diese vollständige Zwangslage, in der das Team zum ersten Mal wirklich eines ist, nachdem Sanborn kurz zuvor noch über die Möglichkeit eines „Unfalls“ sinnierte, um den ungeliebten James loszuwerden. Erstmals gönnen sie sich mit Triumpftrunk und Machogebalge im Anschluss an den Einsatz so etwas wie Gemeinsamkeit. Doch nicht erst, als sie unter James‘ Bett eine Kiste finden, die dieser nicht etwa mit Habseligkeiten von zu Hause, sondern mit entschärften Zündern, mit Dingen, die ihn beinahe getötet hätten, gefüllt hat, ist klar, dass diese Männer niemals den selben Krieg kämpfen werden. Für Sanborn und Eldridge soll er nach Hause führen. Für James nur immer wieder von vorne beginnen.
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Es ist zweifellos der Anziehungskraft ihrer Fähigkeiten zu verdanken, dass in Kathryn Bigelows „The Hurt Locker“ Namen wie David Morse, Guy Pearce, Ralph Fiennes oder Evangeline Lilly auftauchen, die sich allesamt nicht zu schade sind, nur für ein paar Minuten im Film zu sehen zu sein. Ihre Anwesenheit kommt einer gewissen Ehrerbietung gleich, die sich besonders Jeremy Renner als Sergeant William James redlich verdient. Mit seinen verantwortungslosen Handlungen, über die er sich jene Kicks holt, die ihm ein Leben ohne Bomben und Granaten, Sturmgewehren und Befehlsgebrüll nicht bietet, schafft er einen Charakter zwischen Junkiewahnsinn und dem Selbstbewusstsein eines Ausnahmekönners auf sehr speziellem Gebiet. Mark Boals Charakterzeichnung ist intelligent und Renners Spiel vielfältig genug, um ihn nicht als den typischen Draufgänger zu zeigen, der im Laufe des Films die Verantwortungslosigkeit seines Handelns begreift und sich zur personifizierten Fürsorglichkeit wandelt. James bleibt zwar nicht alles hinter seinen dringend benötigten Adrenalinschüben egal, aber er ist am Ende, wer er am Anfang war, denn zu etwas anderem ist dieser Mann überhaupt nicht mehr fähig. Dabei darf Renner einige Male aus sich heraus brechen und gibt die ganze Unlösbarkeit dieser Figur zu erkennen, etwa wenn James in voller Montur unter der Dusche in sich zusammenfällt. Mit Anthony Mackie und Brian Geraghty als Sanborn und Eldridge stehen Renner zwei Schauspieler gegenüber, die in ihren oppositionellen Rollen weniger Wucht erzeugen, diese aber überzeugend annehmen und ausfüllen.
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In seiner Tätigkeit als Journalist war Autor Mark Boal tatsächlich mit einem Bombenentschärfungskommando im Irak unterwegs, war pro Tag bei zehn bis fünfzehn Einsätzen dabei und unmittelbarer, als es „The Hurt Locker“ gelingt, hätten seine Erfahrungen kaum vermittelt und wiedergegeben werden können. Kathryn Bigelow und die Arbeit ihrer Crew wird dem Anspruch Boals, den wahren Alltag der Soldaten im Krisengebiet zu zeigen, absolut gerecht. „The Hurt Locker“ ist ein rauer, so schockierender wie faszinierender Einblick in eine Zwischenwelt aus Überlebenswillen und Todesmut, durch die man aufgrund der kompletten Abwesenheit einer wirklich so zu bezeichnenden Geschichte geradezu brutal geschleift wird, was den Abstand zum Geschehen aber umso schonungsloser reduziert. Bis man mit James durch den Staub kriecht und an seiner Seite die Entscheidung treffen muss, welchen Draht es zu kappen gilt. Jeden Tag auf ein Neues.
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komplette Review siehe: http://christiansfoyer.wordpress.com/2010/01/14/review-the-hurt-locker/