Wann hat man es als Filmemacher geschafft? Vielleicht wenn die Reaktionen auf den neusten Streifen in Selbstzerfleischung ausarten. Auf soweit allen Medien werden zu Interstellar meist viele „Punkte“ vergeben und oft steht dazu irgendwo „…doch kein Meisterwerk, nur ein kleines“, oder halt „…doch, es ist ein großes…“.
Das ist doch mal ein untrügliches Zeichen dafür, mit welch imenser Erwartungshaltung einem neuen Nolan-Film begegnet wird: Ist der Film nun „zeitlos geil“, oder doch nur „ein bisschen zeitlos geil“? Ist Regisseur Christopher Nolan nun Gandhi und Einstein in einem, oder doch nur ein bisschen? Willkommen im Streitpunkt über Schwachsinn,… oder eben nur ein bisschen Schwachsinn.
Die Erde sagt allmählich „Goodbye!“. Klima, Wetter und Tierwelt sind mehr oder minder dahin. Noch gibt es aber regierungstechnische Apparate. Kindern wird das Scheitern der einstigen Apollo Missionen aufdiktiert (denn ein Fehlverhalten das zum Weltenende führt darf sich unter keinen Umständen wiederholen). Von Smartphones wurde sich verabschiedet, stattdessen baut man Maisplantagen, denn nur die scheinen noch den widrigen Umständen zu trotzen und Menschen ernähren zu können.
Unser Hauptakteur Cooper (Matthew McConaughey), ehemals Astronaut, hat also zum Bauern umgeschult. Gezwungenermaßen. Seine geistigen Clever-Gene, sprangen aber auch auf die Tochter über. Praktischerweise im Kinderzimmer entdeckt die Kleine etwas ungemein Bedeutungsvolles. Letztlich führt dies zum Geheimversteck der Nasa! Dort hat man offenkundig mehr als einen Plan im Ärmel, um doch noch die Menschheit zu erretten. Na welch ein Glück dass Cooper Astronaut war - und sein Name bei der Wissenschaft noch immer hoch im Kurs steht. Er soll ins All reisen und dort seinen Teil dazu beitragen.
Eine ganze Weile stand das Projekt „Mann reist durchs All und erlebt faszinierende Dinge“, auf der to-do-list Steven Spielbergs. Und als Christopher Nolans Bruder Jonathan von Herrn Spielberg angeheuert wurde, aus diesem Oneliner etwas mit vielen Seiten zu schreiben, fiel es zu gegebener Zeit dann auch komplett in die Hände des Geschwisterpaares. Wohlgemerkt vergingen dabei mehrere Jahre.
"…Mein Job ist es mit ein paar großartigen Ideen zu kommen, diese in ein komplett unverfilmbares Drehbuch zu packen und dann den Filmemacher die Entscheidungen überlassen…". Und da sein Bruder und Regisseur Christopher Nolan nach Filmen wie Memento, Batman und Inception sowieso alles verfilmen darf, war es wohl einfach nur ein weiterer logischer Schritt.
Es ist die Geschichte über das Wohl des Einzelnen, der sich doch bitte freiwillig dem Wohlergehen aller anderen unterzuordnen habe. Der Philosoph fragt also: Hat er dies zu tun? Und dann noch: Welche Umstände würden „andere“ berechtigen, diese Entscheidung zu übernehmen?
Natürlich wird Cooper ins All reisen, um die Menschheit zu retten, aber eben um der Tochter willen. Sein Sohn versteht es, die Tochter nicht. Cooper jedoch weiß: Geht er nicht, wird ihre Zukunft grausam. Für sie beide wird er fortgehen.
Jede einzelne Figur, die mehr als einen Satz in Interstellar zum Besten geben darf, hat ihre Gründe, und seien sie noch so naiv. Gerade diese Zurschaustellung über die Moralvorstellungen von uns als Menschen, regelt quasi den Inhalt von Nolans Science Fiction Mar. Die unendlichen Weiten des Raumes werden nur die Spielregeln sein, an die sich alle werden halten müssen. Jedenfalls solange, wie sie nur jene Regeln (er)kennen mögen.
Interstellar befindet sich, mit einem Konfliktpotential irrsinnigen Ausmaßes, also auf einer sehr spannenden Reise.
Einen weiteren Höhepunkt entfaltet der Handlungsort Universum.
Das inhaltliche Spiel mit dem „rasch eine Lösung finden müssen“, es hätte für die meisten Filme gereicht - und auch in Nolans Inszenierung weiß dessen Umsetzung zu überzeugen.
Aber erst die Konfrontation Coopers gegenüber den Mächten der Naturgesetze, nämlich sehr viel Lebenszeit zu verlieren, entfaltet einen ungeheuerlichen Sog.
In einer Handvoll Auszügen aus dem Leben seiner gealterten Kinder, reflektiert Cooper im Weltall den Zustand des „es begreifen müssen“. Vollzogen wird dies in lediglich wenigen Sekunden dauernden Videobotschaften. Dem Astronauten, seinen Kindern die Jahr um Jahr Botschaft senden und letztlich der Zuschauer begreifen, das ganze Jahrzehnte von Leben unwiderruflich verloren sind.
Hier preist Interstellar seine emotionale Wucht und hebt sich auf eine neue Ebene: Den Preis des Einzelnen, alle anderen erretten zu müssen. Es ist einer dieser ganz großen Kinomomente, weil so unerträglich schmerzhaft, dass man tatsächlich auf diese Erfahrung gern verzichtet hätte, statt es mitansehen zu müssen.
So ganz kritiklos ist aber auch dieses Sci-Fi-Drama nicht. Im Gegenteil: Ist man dem gegenüber gewillt, es wäre ein leichtes Interstellar in seine Bestandteile niederzureißen.
Hier sind es schlicht Vater und Tochter, ein kaputter Heimatplanet und der Zufall, dass Vater der weltbeste Astronaut ist.
Woher kommt die Technik? Wie funktioniert das „schlafen“ in den Kammern? Und wo bitte ist Platz für den Treibstoff? Wie gelingt es einem Roboter nur zu „90%“ ehrlich zu sein? Und warum sind bei solchen Geschichten überhaupt sprechende Roboter an Bord? (letztere Stellen aber Dank der einzigen humor- wie auch charmevollen Note einen Gewinn dar).
Die Liste ließe sich problemlos erweitern und man muss wirklich kein Physikstudent sein, um die Logiklücken zu verstehen.
Den Unterschied macht die Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Vorgaben. Christopher Nolan setzt schlicht alles voraus, damit sein Film funktioniert und er beweist damit, dass sich aus einem Exposé zum drohenden Weltuntergang, trotzdem ein Schwerpunkt entwickeln lässt.
Dieser ist bei Interstellar eben nicht laut und brachial, sondern findet sich, wohl kalkuliert und wohlplatziert, im dramaturgischen Aufbau wieder. Die Nolanbrüder wissen ganz genau was sie aus ihren Geschichten herausholen. Ein emotionaler Schub wird immer dann gegeben, wenn denn einer kommen muss, rein um der Unterhaltung willen.
Den Machern gegenüber erklingt’s wie ein Vorwurf, weil irgendwie sehr manipulativ und vom Reißbrett. Tatsächlich trifft es aber den Nerv der Zeit, wie eine Story über die Frage tiefster Moralvorstellung, als 2 ½ stundenlanger Film überhaupt funktionieren kann (sofern man denn eine breite Masse erreichen will).
Und dann gibt es da noch jenen Glücksgriff. Zu einem nahezu perfekten Zeitpunkt erwischt Christopher Nolan seinen Hauptdarsteller Matthew McConaughey. Dessen Oscarehren waren zuletzt sehr verdient – aber sein Auftritt in Interstellar profitiert angesichts seines überragenden aufspielens in der ebenso sensationellen Krimiserie „True Detective“ deutlich.
Die Umsetzung von Interstellar ist, das versteht sich schon von selbst, schier makellos.
Gesondert hervorzuheben wäre, weil dem Genre des Science-Fiction geschuldet, das außerordentlich stimmige Bühnenbild. Ob nun Raumschiffabteil oder Wohnzimmer neben Maisfeld: Es stimmt nicht nur optisch, sondern stets natürlich. Der gewieften Schnitt ist bravourös (denn er vereint die wilden Ort- und Zeithandlungen außerordentlich verständlich) und einer überraschenden Musikuntermalung des Komponisten Hans Zimmers. Interstellars Kraft an Bilderstrecken gewinnt durch den Komponisten enorm, was nicht zuletzt dessen stilistischen Neulands zu verdanken ist. Zuletzt vermochte ihm dies 1998 für „der schmale Grat“ gelingen.
Fazit:
Christopher Nolans und Coopers Reise über das „Für mich“ oder aber „für alle anderen“, hält dauerhaft den Spiegel vor und maßt den Zuschauer an das Geschehene reflektieren zu müssen. Humorvoll ist das überhaupt nicht, sondern sehr ernst und teilweise sogar anstrengend. Und gerade weil Christopher Nolan die Existenz von alles und jedem in Frage stellt - und es dazu vermag bittere Wahrheiten und Erkenntnisse in einer Science-Fiction Umgebung zu betten, bewirbt er sich für das Kinojahr 2014 auch für etliche Auszeichnungen.