November '14, es ist wieder Zeit, die nolanesken Euphemismen "mind – blowing" und "magnificient" fliegen wieder durch die Kinosäle dieser Erde. Es zeigt sich etwas, was sich angebahnt hatte. Christopher Nolan's Filme werden zu Eventveranstaltungen hochmetaphorisiert. Ob das immer allen so recht ist?
Ich für meinen Teil bin wie in keinem Film in diesem Jahr so sehr an die Grenzen gestoßen, inwieweit Subjektivitätsempfinden dehnbar ist. Und das bei einem Sci – Fi – Abenteuer, bei dem man doch schon der Meinung ist, zumindest als Filmliebhaber, alles gesehen zu haben. Was soll man nun einleitend sagen? In meinen Augen treffend, Christopher Nolan setzt fort, was der Großmeister mit "2001" begann und seitdem der mutige Versuch vieler weltraumverrückter Regisseure wurde: Space - Adventure – Kino. Wenn du nicht verstehen kannst, was und wie es abläuft, stell auch ja genug Fragen, dass die anderen es auch nicht verstehen. Fertig ist der Weltraum -Thriller, denkste?!
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Wie lässt sich Theorie und Wissenschaft außerdokumentarisch in einen Unterhaltungsfilm verpacken, so oder so ähnlich muss die Frage von Kip Thorne gelautet haben, als er 2006 Spielberg und danach Nolan nach einer Antwort fragte.
Als Antwort gegeben: Groß, größer, Inception, Interstellar. Der neuste Film des Briten ist das bei weitem hochgegriffenste Projekt seiner Karriere. Und eckt deutlich an. Das alles genau zu betrachten ist schwer und die Schichten von "Interstellar" strukturiert abzutragen, ist in etwa so erfolgsversprechend wie mit einem Zahnstocher in einen Walkadaver zu pieken. Science Fiction – Abenteuer dieser Größe haben etwas derart Monumentales, dass sie zur Zielscheibe der Diskussion auserkoren werden MÜSSEN. Und da gehört positives wie negatives Renomee ganz zwangsweise dazu: Sehen sie sich das Echo von "2001" im Jahre '68 doch mal an? Oder das von Pink Floyd's "Dark Side of the Moon"? Jene ereilte der überwältigende Zuspruch dann später.
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Das mag zu hoch gegriffen sein, dennoch: "Interstellar" dieses Jahr sehen zu müssen, sollte unumgänglich sein. Und wer schon zuvor mit dem Briten nicht warm wurde, findet hier ein Buffett an Klagepunkten vor: Denn wo "Inception" bereits als gigantisches Angeberprodukt galt, wird "Interstellar" die Urform dessen. Es wummert, rummst und zerdreht hier ganz gehörig, vor allem hinter der Schädeldecke.
Das liegt auch damit zusammen, dass Nolan hier sein Vorbild "2001" und sein Paradoxon – Mindfuck "Inception" als Quelle benutzt. Genaustens erkannt, entwirft der Regisseur mit seiner "Dawn of the Man" - Dystopie das Knüpfen der Existenz der Menschheit mit der Fortführung auf einem anderen Planeten zusammen. Lässt seine Pioniere ganz angestachelt und mit gleicher Inbrunst (man kann manchmal sogar das Feuer in McCougneys Augen direkt erkennen) wie die technikbegeisterte "Wir machen das" – 68er Generation in den Weltraum starten und nach dem Unmöglichen suchen. Um abschließend nicht nur zu verwirren (Das berühmte Frage – keine Antwort – Spiel), sondern in den Tiefen des Universums neue Räume zu entdecken (wie bei Kubrick auch bei Nolan im wahrsten Sinne des Wortes).
Und im Fall wie "Inception" versucht er dem Publikum dann noch, die notwendigen Informationen nicht vorzuenthalten. Versucht, wohlgemerkt.
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Denn auch wenn von überall schallt, "Interstellar" wäre Nolan's zugriffsfreundlichster Film, dann gilt das nicht für seine wissenschaftlichen Zusammenhänge. Paradoxerweise ziemlich brauchbar, vor allem für die Spannung des Films. Da ist es auch schonmal ganz unterhaltend, dass man einer Crew zusieht, bei der man den nächsten Schritt nicht kommen sieht und die dann aber trotzdem an banalen Problemen wie "Feind in eigener Reihe", dem berühmtem wie Weltraum – erprobten "Wir haben kein Treibstoff" oder dem Anhängen an familiären Banden zermürbt. Letzteres außergewöhnlich gut, denn hier kommt Erdung und Zugriff zugleich.
"Interstellar" ist in erster Linie und da widerspricht man Nolan wohl kaum, das Drama um ein Versprechen eines Vaters zu seiner Tochter, umwirbelt, getestet und involviert von Zeit, (Welt)Raum und unheilschwangerer Zukunft.
Gut, dass man dafür den Oscar – prämierten McConaughey und die für ihr junges Alter schon Leinwand erprobte Mackenzie Foy zur Verfügung hatte, denn sonst hätte Nolan's auch noch so durchdachtes Konzept schnell empfindliche Wackler einstecken müssen. Das wunderbare "Einspielen" in der Anfangsstunde ist der sichere Stand für die Emotionalität des Films, die "Interstellar" anschließend zu keinem Zeitpunkt mehr einbüßt. Und so reißt es dem Zuschauer jedes weitere Mal den Boden unter den Füßen weg, wenn sich Conaughey's Cooper und Foy's (oder eben die gealterte Jessica Chastin's) Murph begegnen oder sprechen. Den gewaltigen Einschlag erhält der Film vor allem an der Stelle, in der Cooper nach 23 Jahren seinen alternden Kindern zuschaut wie sie ihr Leben leben, verdammt, völlig handlungsunfähig danebenzusitzen.
Dass das nahezu perfekt gelingt, ist eigentlich wahnwitzig, wenn man bedenkt, welch kühle Berechenheit man Nolan zuvor vorgeworfen hatte.
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Fernab davon präsentiert sich Nolan aber wieder "back in form", nachdem er sich beim dramaturgisch überworfenen "Dark Knight Rises" Unkonzentrationen geleistet hatte. Das von den Gebrüdern entworfene Drehbuch umfasst wieder schön veranschaulichte Erklärmuster, eine dramturgisch ansprechende Intensität (denn das Konzept ist trotz einer Kapazität von 169 Minuten nicht eine Minute langweilig) und die ironisch unterlegten, messerscharfen Dialogfetzen, die man im Blockbusterbereich sonst so gut wie gar nicht findet.
Zudem ist "Interstellar" wohl der lustigste Film aus der Feder des Briten. Vor allem die Marine/Bordcomputer – Einheit TARS ist eine übersprudelnde Flachsrakete mit zahlreichen Witzauswürfen in Richtung "2001"("Dann finden Sie auch besser zum Schiff zurück, wenn ich sie aus der Luftschleuse puste!") und muss auch nach Humor/Wahrheitslevel gewartet werden.
Dass hier Nolan wieder gewagt und gewaltig inszeniert, bekommt man aber am deutlichsten in den Actionsequenzen zu spüren, da gibt es zurzeit weltweit keine Handvoll Leute, die diese Sparte so konsequent in alle Richtungen dreht wie der "Dark Knight" -Regisseur.
Drei – viermal schafft er es den Zuschauer sogar aus seinem Sitz zu holen, so plötzlich zielt der Klimax in der ein oder anderen Szene auf die Nerven des Zuschauers. Das bloße Andocken der Gleiter wird her zur Zitterpartie, der Flug durch Raum und Zeit zur Echtzeiterfahrung und das Flüchten vor monumentalen Naturschauspielen zum Spiel gegen die Zeit. Also alles keine schlechten Vorzeichen, um bei einem IMAX – Kino in der Nähe vorbeizuschauen.
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Dass gilt natürlich in allererster Linie für den Soundtrack von Hans Zimmer, der durch das IMAX – Kino – Design hier zum "Mittendrin statt nur dabei" – Erlebnis wird. Zunächst macht sich Zimmer ganz eindeutig an eine Vorbeugung vor dem "Also sprach Zarathustra" – Intro von Strauss, um anschließend seine klassischen Streicher mit elektrischen Impulseinflüssen und rythmischen Auf und Ab's zu divergieren. Und dann ist da noch diese Orgel. Die malträtiert Zimmer bis zum Anschlag, um aus "Interstellar" wirklich alles herauszuholen. Was in jedem anderen Film vor die Wand musiziert wäre, klappt hier auf's Eindrucksvollste. Durch Zimmer trennt sich "Interstellar" nun völlig vom herkömmlichen Film und schwingt dem Erlebniskino entgegen.
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In welche schwierigen Gebiete der Sinnsuche sich Nolan zum Schluss begibt, dürfte klar sein (wobei eher unklar, sorry). Mit seinem vorherigen Konzept kann er sich dann aber logischerweise nicht mehr arrangieren und löst hier die Strukturen des Zeitempfinden auf, was zur wahnsinnigen Geduldsprobe für den Zuschauer werden kann, wenn er sich bei dem Vater/Tochter – Konflikt ausgeklinkt hat. Oder auch bei Dylan Thomas vielfach wiederholtem "Do not go gentle in the stars" , das hier von den zahlreichen Menschen erzählt, die dem Tode trotzen sollen und damit ebenso kurios eingebettet ist wie der Umstand, dass fallende Bücher im Medium Film zum zeitübergreifenden Phänomen werden und damit ihrem Alter trotzen.
Nolan opfert hier, wohl zum ersten Mal in seiner Karriere, seine klinische Akkuratheit und geht damit das Wagnis des Stilbruchs ein, dass einem bis zum Abspann sauer aufschlagen kann. Seine gewaltige Odyssee, die mit dem Pioniergeist, der Wertschätzung der Technik und dem Überlebenswillen der menschlichen Existenz so wunderbar in Symbiose tritt, bekommt durch seine Emotionalität einen entweder melodramatischen oder eben humanistischen Einschlag. Diese mögliche Angriffsfläche kann besonders bei mehrmaligem Sehen somit "Interstellar"'s Damoklesschwert werden.
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Fazit:
Doch letztlich sind das Dinge über die Nolan nur müde lächeln kann, wenn er denn will. Wieso negative Kritik einfach keine erschütternde Relevanz erfährt, ist leicht erklärt. "Interstellar" ist darüber schlichtweg erhaben, seine epochale Stimmung, sein übergroßes Konzept erfährt in diesem Kinojahr keine Konkurrenz. Was hier enstanden ist, ist ein Sci – Fi – Abenteuer, das in Sphären vorstößt, die nicht nur kaum erforscht sind, sondern so gut wie unmöglich sind, gewagt zu werden.
Nolan will zu Kubrick vorstoßen und wenn ein Film diesen Anspruch überhaupt erheben darf, in diesem, nein nicht Filmaspekt, sondern Erlebnisaspekt des audiovisuellen Reizes zu denken, dann ist es "Interstellar".
Was sich im Laufe herauskristallisiert hat, wird hiermit zur Tatsache. Indem er mit der emotionalen Wucht seiner Erzählung auch das letzte Spektrum abdeckt, was ihm noch fehlte, erheben ihn seine Klasse, Kraft und sein Umfachreichtum des Filmschaffens zum Erben der größten Geschichtenerzähler des Kinos.
Aber, und das ist das dicke Aber, welches man eben auch nicht weggestrichen bekommt, episches Sci – Fi – Kino ist und wird immer ein Phänomen der Zukunft bleiben und erhält genau daraus seine Wertigkeit. Was der Film also noch bringt, steht *zwinker**zwinker* in den Sternen. Somit nehme ich hier bewusst den einen Punkt weg. Denn wie sagte ein uns bekannter Onkel eines Superhelden mal (hier also mein emotional wuchtiger Einschlag): "Aus großer Kraft folgt große Verantwortung...."